Priorisierung im Gesundheitswesen - Anlässe Methodik und ethische Positionen am Beispiel der rehabilitativen Versorgung |
Journal/Book: DRV-Schriften Band 11/98 Seite 22-34 Interdisziplinarität und Vernetzung 7. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium vom 10. bis 12 März 1997 in Hamburg Tagungsband. 1998;
Abstract: Institut für Sozialmedizin Medizinische Universität Lübeck 8. Zusammenfassung und Abschluß Zusammenfassend wird also das oberste Priorität haben was - in Übereinstimmung mit definierten ethischen Grundsätzen und in Abstimmung mit den Präferenzen der Betroffenen - am deutlichsten sichersten und kostengünstigsten zum gewünschten Erfolg führt. Dem wird jeder sofort zustimmen können. Schwieriger ist es im unteren Bereich der angedeuteten Skala: wann ist die Grenze erreicht unterhalb derer man ein Verfahren eine Indikation ganz aus der solidarischen Finanzierung ausnehmen möchte. Besonders in diesem Bereich schiene es mir sinnvoll von Gesundheitsbewußtsein privater Krankenversicherung und - komplementär dazu - von Kundenorientierung zu reden. Für diesen Bereich ist auch die Diskussion um unser Krankheitsverständnis (s.o.) besonders wichtig. In der holländischen Diskussion hat als nachgeordnetes Kriterium eine Rolle gespielt welche Versorgungsleistungen "may be left to individual responsibility and individual payment" (Scheerder 1993 53). Auch wir kennen das sog. Subsidiaritätsprinzip bisher besonders im Bereich der Sozialhilfe. Im Bereich der GKV und RV (§ 1 SGB V § 9 (2) SGB VI) ist von Eigen- und Mitverantwortung und Mitwirkungspflicht die Rede. In der GKV ist der angedeutete Weg u.a. durch den Verordnungs-Ausschluß einiger Arznei- Heil- und Hilfsmittel beschritten. Diese richten sich gegen weit verbreitete und/oder rasch vorübergehende "geringfügige Gesundheitsstörungen" sind von geringem oder umstrittenen Nutzen oder verursachen nur geringfügige Kosten (§ 34 SGB V). Hier scheint mir eine Weiterentwicklung möglich - unter strikter Beachtung auch der Belastbarkeit der einzelnen Versichertengruppen. Es ist noch einmal hervorzuheben daß die Frage nach der Grenze zwischen ein- und ausgeschlossenen Personengruppen Verfahren und Indikationen von der Priorisierung im engeren Sinne getrennt werden kann und muß. Das eine ist eine Feststellung das andere deren Umsetzung. Nichts spricht dagegen daß sich diese Grenze je nach Knappheit der Ressourcen verschieben kann; man sollte sie - wie in Oregon - als grundsätzlich variabel betrachten (Bodenheimer 1997a b). Keine Erfahrungen haben wir in Deutschland bisher mit dem besonders schwierigen mittleren Bereich der Skala dort also wo die Grautöne vorherrschen und abgestuft werden müssen. Um solche Erfahrungen zu sammeln habe ich vorgeschlagen sich zuerst auf einen Versorgungsbereich (etwa die medizinische Rehabilitation durch die RV oder GKV) zu konzentrieren und sich in ihm einzelnen der großen Indikationsbereiche zu widmen (kardiologische onkologische rheumatologische etc. Erkrankungen). Beginnen könnte man parallel auch an ganz anderer Stelle etwa im relativ übersichtlichen Bereich der Transplantationsmedizin oder im weiten Feld der primärärztlichen Versorgung. Hierzu noch ein abschließender technischer Hinweis: Priorisierungsdiskussionen leben von Multidisziplinarität: zu beteiligen sind neben Klinikern und Therapeuten auch Methodiken Epidemiologen Gesundheitssystemforscher Ökonomen Sozialwissenschaftler Ethiker/Juristen und Patientenvertreter. Solche multidisziplinären Gruppen wären am ehesten wohl dort zu bilden wo die jeweilige Strukturverantwortung und der Sicherstellungsauftrag angesiedelt sind. ___MH
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