Homöopathie in der Diskussion: mehr als nur Plazeboeffekte? - Eine Metaanalyse plazebo-kontrollierter Studien. (Referat) |
Journal/Book: Phys. Rehab. Kur Med. 7 (1997) 6 S.M57-M58. 1997;
Abstract: Referat der Arbeit von Linde K. et al.: Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? A meta-analysis of placebo-controlled trials. Lancet 350 (1997) 834-843. Die vier häufigsten Therapieformen innerhalb der Homöopathie sind die klassische Homöopathie die klinische Homöopathie die Komplexmittel-Homöopathie und die Isopathie. Die klassische Homöopathie basiert auf individuellen Diagnosen. Die drei übrigen Modalitäten beziehen sich auf Diagnosen der konventionellen Medizin. Kennzeichnend für die klassische Homöopathie ist die Annahme daß bei der Auswahl eines geeigneten Simile mehr die personen- als die krankheitsspezifischen Symptome von therapeutischem Interesse sind [1]. Die Isopathie verwendet "dynamisierte" Verdünnungen von Kausalfaktoren beispielsweise eine Bleipotenz bei einer Bleivergiftung. Sie ist im eigentlichen Sinne keine Homöopathie (Gleichheits- statt Ähnlichkeitsregeln). Die Komplexmittel-Homöopathie unterscheidet sich von der klinischen Homöopathie im wesentlichen unter formalen Gesichtspunkten. Anstelle von drei gestaltbaren Kombinationen von Einzelpotenzen kommen "standardisierte" Fertigarzneimittel zum Einsatz. Zu den typischen Indikationen der Homöopathie nach konventioneller Diagnose zählen Pollinose Migräne Infektionen der oberen Luftwege postoperativer Ileus rheumatoide Arthritis oder Geburtserleichterung. Die naturwissenschaftliche Implausibilität der Homöopathie v. a. die Anwendung von Potenzen jenseits der Loschmidtschen Zahl verhindert bis heute eine allgemeine Akzeptanz des Therapieprinzips [2]. Ohne Molekül erscheint eine biologische Aktivität und damit ein Verumeffekt ausgeschlossen. Demgegenüber steht die klinische Datenlage die neben Plazebowirkungen auch Verumeffekte vermuten läßt. 1991 veröffentlichten Kleijnen et al. [3] den ersten umfangreichen systematischen Review. Von 105 interpretierbaren kontrollierten klinischen Studien wiesen 81 Studien positive und 24 Studien negative Ergebnisse auf. Die Resultate waren weitgehend von der Studienqualität und der Therapieform unabhängig. Die Autoren vermuteten jedoch eine Effektüberschätzung aufgrund unpublizierter negativer Studien (Publikationsbias). Die Metaanalyse von Linde u. Mitarb. unternimmt erstmals den Versuch die Effekte der homöopathischen Therapie quantitativ zu erfassen und das Ausmaß des Publikationsbias durch ein statistisches Modell abzuschätzen. Methode: Über verschiedene Datenquellen wie computerisierte Bibliographien Kongreßberichte Abstraktbände Referenzlisten aus Büchern Kontakte zu homöopathischen Forschern und Institutionen usw. wurden kontrollierte homöopathische Studien identifiziert. Zwei unabhängige Reviewer führten die Studienselektion die Datenextraktion und die Bestimmung der internen Validität durch. Eingeschlossen wurden randomisierte und/oder doppelblinde plazebokontrollierte Studien aller Sprachen - sowohl Behandlungs- als auch Präventivstudien die in Zeitschriften Abstrakt- und Tagungsbänden oder Bücherkapiteln bis 1995 veröffentlicht wurden. Ausgeschlossen wurden Arzneimittelprüfungen an Gesunden (physiologische Studien) Studien mit nichtparallelen Designs (keine unkontrollierten Studien oder Cross-over-Studien) oder Studien mit inadäquaten Ergebnisparametern. Die Datenextraktion erfolgte auf der Basis vordefinierter Kriterien wie "behandelte Störung" Therapieform Verdünnungsgrad (tiefe mittlere hohe Potenzen) Arzneimittel Population Ergebnisparameter (a priori definierter Hauptzielparameter subjektive Einschätzung ärztliches Rating) usw. Die interne Validität wurde mit der Jadad-Skala [4] einem Qualitätsscore mit abgesicherter Testgüte und einem selbstentwickelten bereits wiederholt eingesetzten Verfahren bestimmt. Die quantitative Datensynthese erfolgte über die Berechnung von gepoolten Odds Ratios (ORs). Die ORs wurden auf die Zahl der randomisierten Personen bezogen (intention to treat analysis). Zur Aufdeckung spezifischer Effekte wurden Subgruppenanalysen nach Potenzierungsgrad und Therapieform durchgeführt. Die Robustheit der Ergebnisse wurde mittels verschiedener Sensitivitätsanalysen getestet. Als "Empfindlichkeitskriterien" dienten verschiedene Kategorien wie Studienqualität MedLine-Listung oder ein "Worst-case-Szenarium". Das Publikationsbias wurde mittels einer nichtparametrischen Modellanpassung abgeschätzt. Ergebnisse: Insgesamt konnten 186 kontrollierte Studien durch die Literaturrecherchen identifiziert werden. 119 erfüllten die Kriterien der Studienauswahl 89 Studien waren für die Metaanalyse geeignet. In den 89 auswertbaren Studien waren 24 Indikationen 4 Therapieformen und 50 Arzneimittel berücksichtigt. Zu den häufigsten Indikationen zählten Infektionen der oberen Luftwege (15mal) Pollinosen (6mal) und postoperativer Ileus (5mal). In 49 Studien (55%) wurde die klinische Homöopathie in 20 Studien (22%) die Komplexmittel-Homöopathie in 13 Studien (15%) die klassische Homöopathie und in 7 Studien (8%) die Isopathie untersucht. Das häufigste verordnete Arzneimittel war Arnica montana der Berg-Wohlverleih (7mal als Einzelmittel 4mal als Kombinationen). In 33 Studien (37%) wurden tiefe (D1-D8 C1-C4) in 31 Studien (37%) hohe (> - D24 C12) und in 20 Studien (22%) mittlere Potenzen eingesetzt. Fast ein Drittel der Studien (26/89) erreichte nach vordefinierten Kriterien eine hohe interne Validität. Die tendenziell eindeutigsten Effekte ergaben sich für allergische Störungen (Pollinosen allergisches Asthma). Für diese Indikationsgruppe fiel nur eine von sieben Studien negativ aus. Die meisten kontradiktorischen Ergebnisse zeigten sich in der chirurgischen Indikationsgruppe (Zahnextraktionen postoperativer Ileus und postoperative Infektionen zusammengefaßt). Hier fielen 7 von 12 Studien negativ aus. Demgegenüber wiesen die Ergebnisse der quantitativen Datenanalysen konsistent signifikante Effekte auf (Tab. 1 ). Hohe und mittlere Potenzen waren den niedrigen Dilutionen überlegen. Bei den Therapiearten zeigten die Modalitäten "Isopathie" und "klassische Homöopathie" die besten Effekte. Für alle Sensitivitätsanalysen lagen die 95%igen Konfidenzintervalle der ORs über dem Nullwert (OR = 1 ) der gleiche Effekte in Verum und Plazebogruppe anzeigt. Tab.1 Ergebnisse der quantitativen Datenanalyse. ----------------------------------------------------------------------- n Odds 95%-Konfiidenz- Ratio intervall ----------------------------------------------------------------------- alle Studien 89 2.5 (2.1 2.9) Subgruppenanalyse hohe Potenzen 31 2.7 (1.8 3.9) mittlere und/oder hohe Potenzen 51 2.8 (2.1 3.7) Isopathie 7 5.0 (2.2 11.3) klassische Homöopathie 13 2.9 (1.6 5.4) Komplexmittel-Homöopathie 20 2.1 (1.9 2.1) klinische Homöopathie 49 2.0 (1.6 2.5) Sensitivitätsanalysen * Worst-Case-Szenarium 5 2.0 (1.04 3.8) Adjustierung des Publikationsbias 89 1.8 (1.03 3.1) a priori defin. Hauptzielparameter 21 1.7 (1.3 2.2) Studien mit hoher interner Validität 26 1.7 (1.3 2.1) MedLine-Listung 23 1.7 (1.3 2.2) ------------------------------------------------------------------------ * nicht alle untersuchten Kriterien aufgeführt Kommentar Hervorzuheben ist die enorme methodische und statistische Leistung des Autorenteams. Insbesondere imponiert die Berücksichtigung des Publikationsbias in Form einer statistischen Modellanpassung. Weiterhin fällt positiv auf daß sich die vorliegende Arbeit mit ihrer quantitativen Zielstellung direkt an den deskriptiv-orientierenden Review von Kleijnen u. Mitarb. anschließt [3]. Zu bemängeln ist daß die Punkt- und Intervallabschätzung der Effekte der Einzelstudien nur graphisch dargestellt sind und die Absolutzahlen der ORs und ihrer 95%igen Konfidenzintervalle nicht angeführt werden. Weiterhin vermißt man Datensynthesen in Abhängigkeit der extrahierten Indikationsgruppen. Im methodischen Teil fehlt der Hinweis daß Cross-over-Studien wegen der (gemutmaßten) Langzeiteffekte der Homöopathika ausgeschlossen wurden. Auf die spezifische Methodologie bei klassisch-homöopathischen Studien wird in der Einleitung nicht hingewiesen. Hierbei wird einer Gruppe die bezüglich einer konventionellen Diagnose homogen ist eine individualspezifische Behandlung verordnet. Diese kann mit einem oder mehreren konsekutiven Arzneimitteln erfolgen. Danach werden die Patienten auf die Behandlungs- bzw. Plazebogruppe randomisiert [3]. Publikationsreplikationen ein und derselben Studie (covert duplication) die vor allem bei positiven Studien anzutreffen sind [5] z.B. infolge Autorenwechsel oder Veröffentlichungen in einer anderen Sprache werden nicht aufgeführt. Die Zusammenfassung von heterogenen Studien bezüglich Indikation Behandlung Ergebnisparameter usw. ermöglicht zwar einen orientierenden Gesamteindruck über die Effektivität der Homöopathie und ihrer Therapievarianten die dargestellten Ergebnisse bleiben jedoch für klinische Fragestellungen weitgehend ohne Relevanz. Bis heute existieren zu wenige homogene unabhängige Studien für eine Einzelindikation. Weiterer Forschungsbedarf besteht daher in der klaren wissenschaftlichen Absicherung relevanter homöopathischer Indikationen. Literatur 1 Köhler G.: Lehrbuch der Homöopathie. Bd. 1 6. Aufl. Hippokrates Stuttgart (1994) ² Sampson A.: Homoeopathy does not work. Alt. Ther. 1 (1995) 48 - 52 3 Kleijnen J. P. Knipschildt G. Rlet: Clinical trials of homoeopathy. B. M. J. 302 (1991) 316-332 4 Jadad A. R. R. A. Moore D. Carral et al.: Assessing the quality of reports of randomised clinical trial: is blinding necessary? Control. Clin. Trials 17 (1996) 1 - 12 5 Tramer M. R. D. J. M. Reynolds R. A. Moore H. J. Moquay: Impact of cover duplicate publication on meta-analysis: a case study. B. M. J. 315 (1997) 635-640 Th. Brockow Annegret Franke Bad Elster
Keyword(s): Homöopathie Plazeboeffekt Metaanalyse plazebo-kontrollierter Studie Isopathie
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