Der eigene und der fremde Tod Überlegungen zur Geschichte der Sterbehilfe |
Journal/Book: Z. ärztl. Fortbild. 87 (1993/Heft 1) 3-11. 1993;
Abstract: Prof. Dr. med. Dr. phil. R. Winau Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin Freie Universität Berlin Wenn ein Kranker von unheilbaren Übeln gepeinigt wird, wenn er sich selbst tot wünscht, wenn Schwangerschaft Krankheit und Lebensgefahr erzeugt, wie leicht kann da, selbst in der Seele des Besseren der Gedanke aufsteigen: sollte es nicht erlaubt, ja sogar Pflicht sein, jenen Elenden etwas früher von seiner Bürde zu befreien oder das Leben der Frucht dem Wohle der Mutter aufzuopfern? So viel Scheinbares ein solches Raisonnement für sich hat, so sehr es selbst durch die Stimme des Herzens unterstützt werden kann, so ist es doch falsch, und eine darauf gegründete Handlungsweise würde in höchstem Grade unrecht und strafbar sein. Sie hebt geradezu das Wesen des Arztes auf. Er soll und darf nichts anderes tun als Leben erhalten, ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht, dieses geht ihn nichts an, und maßt er sich einmal an, diese Rücksicht in sein Geschäft mit aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im Staate; denn ist einmal die Linie überschritten, glaubt sich der Arzt einmal berechtigt, über die Notwendigkeit eines Lebens zu entscheiden, so braucht es nur stufenweise Progressionen, um den Unwert und folglich die Unnötigkeit eines Menschenlebens auch auf andere Fälle anzuwenden. Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann. Das erste Zitat stammt von Christoph Wilhelm Hufeland einem der bedeutendsten Ärzte zu Beginn des 19. Jahrhunderts das zweite ist der auf persönlichem Briefpapier von Hitler Ende Oktober 1939 geschriebene und auf den 1. 9. 1939 zurückdatierte Befehl zur Euthanasie der psychisch Kranken in Deutschland. Euthanasie (eu = gut thanatos = tod) begegnet schon als Begriff in der Antike hier jedoch als Begriff der Philosophie nicht der Medizin. Guter ehrenvoller zumindest nicht schändlicher Tod ist dabei gemeint Tod in Erfüllung des Lebens der schnell und ohne Schmerzen eintritt. Euthanasie als Lebensverkürzung soll freilich schon in der Antike geübt worden sein. Strabo berichtet von der Insel Keos wo ein Gesetz die nicht mehr Leistungsfähigen zum Schierlingsbecher verurteilt habe Plutarch weiß von der Auslese der schwächlichen Kleinkinder bei den Spartanern. Germanische und slawische Völker sollen Alte und Gebrechliche mit dem Kissen erstickt oder an Bäumen aufgehängt haben. Doch die Form der Überlieferung mahnt zu vorsichtigem Gebrauch des Überbrachten. Das Mittelalter lehnte jeden Gedanken einer wie auch immer gearteten Lebensverkürzung ab. Erst in der Renaissance wird Überlegungen Raum gegeben das Leben das eigene und das andere verfügbar zu machen. Thomas Morus schreibt in seiner Utopia: "Ist aber die Krankheit nicht nur aussichtslos sondern dazu auch dauernd schmerzhaft und qualvoll dann geben die Priester und Behörden dem Manne zu bedenken daß er zu allen Verrichtungen unfähig den Mitmenschen beschwerlich sich aber lästig nachgerade ein lebender Leichnam sei und ermahnen ihn nicht länger den Todeswurm in seinem Leibe zu füttern; da das Leben für ihn eine Qual sei solle er nicht zögern zu sterben sondern er solle getrost und guter Hoffnung aus diesem unerfreulichen Dasein diesem wahren Kerker und Foltergehäuse sich entweder selbst befreien oder andere ihn daraus entführen lassen." Und Francis Bacon sagt wenig später in "de dignitate et augmentis scientiarum" Aufgabe des Arztes sei nicht nur die Erhaltung der Gesundheit die Heilung der Krankheit sondern auch die Verlängerung des menschlichen Lebens. Wenn diese Verlängerung aber sinnlos sei dann sei es Aufgabe des Arztes dem Kranken "einen sanften und ruhigen Übergang aus diesem Leben zu jenem zu verschaffen". In die ärztliche Diskussion kommt die Euthanasie erst um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und sie wird für 50 Jahre ein häufig diskutiertes Thema. Den Schriften ist vieles gemeinsam: Euthanasie bedeutet stets Hilfe beim Sterben Sterbebegleitung dem Sterbenden seinen Tod leicht zu machen. Eine Verkürzung des Lebens wird stets kategorisch abgelehnt selbst wenn der Patient um eine solche bittet. Aber in fast allen Arbeiten finden sich Hinweise auf Maßnahmen die von der Bevölkerung ganz offensichtlich zur schnelleren Herbeiführung des Todes durchgeführt wurden: erwähnt werden das Ausbetten das plötzliche Wegziehen des Kissens das Bedecken des Gesichts mit einem Kissen das Hochbinden des Kinns das Fesseln an Händen und Füßen das Beschweren von Leib und Brust mit einem Stein. Diese Hinweise zeigen daß es eingewurzelte Gewohnheiten gab die eine Lebensverkürzung herbeiführen konnten die aber sicher weit mehr auf animistische Vorstellungen zurückgehen als daß sie als bewußte euthanatische Maßnahmen angesehen werden können. Die Euthanasiediskussion vor dem Ersten Weltkrieg Erst am Ende des 19. Jahrhunderts wird die Verfügbarkeit des menschlichen Sterbens unter dem Einfluß darwinistischer Ideen in aller Offenheit diskutiert. 1895 hatte in Göttingen Adolf Jost ein Buch erscheinen lassen das er eine soziale Studie nannte: Das Recht auf den Tod. Als Grundlage seiner Bemühungen dient Jost die kulturpessimistische Philosophie Schopenhauers der einzig das Mitgefühl als Quelle von Moral und Sittlichkeit gelten läßt. ... Stö_
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