Ein Fall aus der Praxis (6): Oberbauchschmerzen mit lkterus |
Journal/Book: Z. ärztl. Fortbild. 87 (1993/Heft 2) 175-176. 1993;
Abstract: Prof. Dr. Hans Berndt Klinik für Innere Medizin "Theodor Brugsch" Charité Humboldt-Universität Berlin. Der Fall Der 34jährige Herr Lindemann sucht Dr. M. auf der ihm als besonders tüchtiger Spezialist für "die Galle" von Freunden empfohlen wurde. Herr L. hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich und konnte viele Ärzte kennenlernen. Dabei kann sich Herr L. eine Krankheit gar nicht leisten denn er hat viel zu tun in seiner Autowerkstatt die er vor 3 Jahren eröffnet hat. Er klagt über krampfartige heftige Schmerzen im rechten Oberbauch die anfallsweise auftreten und ohne erkennbaren Anlaß kommen und gehen. Seiner Frau ist mehrmals aufgefallen daß seine Augen gelb aussehen. Er hat seinen Hausarzt aufgesucht der ihn untersuchte und nichts finden konnte. Der Arzt hat einige Laboruntersuchungen angestellt die normal ausgefallen sind. Eine Oberbauchsonographie ergab einen normalen Befund. Als sich die Sache wiederholte hat man eine intravenöse Cholangiographie veranlaßt die einen regelrechten Befund ergab. Auch eine Computertomographie konnte das Problem nicht lösen. Herr L. wurde dann zu einem Experten zur ERCP geschickt. Diese zeigte zarte Gallenwege. Der Experte hat dem Kranken erklärt und dem Hausarzt geschrieben es handele sich wahrscheinlich um sehr kleine Gallensteine die ab und zu unter Koliken abgingen. Man solle doch möglichst rasch nach einem erneuten Anfall die ERCP wiederholen um den Übeltätern auf die Spur zu kommen. Das wurde dann auch getan so daß inzwischen 3 gelungene Serien völlig normaler endoskopisch retrograder Cholangiographien vorliegen. Diagnostische Überlegungen Rechtsseitige Oberbauchschmerzen mit Ikterus lassen zuerst an Gallensteine denken. Diese können sich dem Nachweis entziehen weil sie zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits abgegangen sind. Englische Untersucher haben nach solchen Attacken sehr kleine Gallensteine im Stuhl gefunden. Das geht aber nur wenn man den Stuhl sammelt und durch ein feinmaschiges Stuhlsieb mit kräftigem Wasserstrahl gibt so daß kleine Konkremente im Sieb festgehalten werden. Andere haben mitgeteilt daß im Duodenalsaft solcher Patienten Cholesterolkristalle zu finden sind. Beide Untersuchungen sind unüblich. Derartige Attacken infolge kleiner Gallenkonkremente sind nicht selten von mildem lkterus gefolgt der rasch abklingt. Eine oder 2 Stuhlentleerungen sind eventuell (fast) entfärbt. Das hat Herr Lindemann nicht beobachtet. Untersucht man kurz nach dem Anfall können Cholestaseparameter (Alkalische Phosphatase und gamma-Glutamyltranspeptidase) und auch die Aminotransferasen flüchtig erhöht sein. Aber schon nach einem oder nach 2 Tagen sind die Laborbefunde normal. Es ist also nicht ganz einfach die Sache zu klären. Herr Dr. M. besorgt sich von den vorbehandelnden Ärzten und aus den Krankenhäusern in denen Herr L. Gast war sämtliche Unterlagen. Das erweist sich als wenig hilfreich was positive - also pathologische - Resultate angeht; doch finden sich die Berichte des Patienten voll bestätigt. Dr. M. beschließt die korrekt ausgeführten und sorgfältig dokumentierten Untersuchungen nicht zu wiederholen sondern die Anamnese zu vertiefen und einige wenige Labordaten - die ja nicht konstant sein müssen - zu wiederholen. Bei dem Gespräch ergibt sich daß die Schmerzanfälle nicht ganz den heutigen Kriterien biliärer Koliken entsprechen. Sie treten weder als Cluster auf (vorwiegend nächtliche Anfälle an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen unterbrochen von beschwerdefreien Perioden) noch strahlen sie in den Rücken oder die Schulter nach rechts aus und sie dauern gewöhnlich nur 10-15 min (biliäre Koliken halten fast immer mehr als eine halbe Stunde an). Zweifel führen zu weiteren Fragen die ergeben daß die Beschwerden erst aufgetreten sind seit Herr L. sich als Unternehmer betätigt und nicht nur mehr Arbeit sondern auch mehr emotionale Belastungen hat als zuvor in seiner Tätigkeit als angestellter Kfz-Ingenieur. Während der Urlaube in den letzten beiden Jahren war Herr L. beschwerdefrei. Es kommt auch heraus daß den Schmerzattacken alsbald Stuhldrang folgt. Dann ist es ganz eilig und nach der Stuhlentleerung lassen die Schmerzen alsbald nach. Das kann einmal aber auch zwei- ja dreimal am Tage vorkommen wenn Herr L. sich sehr "gestresst" fühlt. Bauchschmerzen in zeitlichem Zusammenhang mit der Stuhlentleerung sind auf den Darm zurückzuführen. Die Vorgeschichte ist typisch für ein Reizkolon. Emotionale Belastungen und unerfreuliche Erwartungen lösen die Beschwerden aus; in ruhigen Zeiten können die Beschwerden völlig ausbleiben. Dr. M. kommt also zu dem Schluß daß der Patient wohl keine Gallenkoliken hat daß man keine 4. ERCP braucht und - da auch alle anderen denkbaren Untersuchungen (okkultes Blut im Stuhl Rektoskopie mehrere Sonographien u. a. m.) normal ausgefallen sind - wohl kein Zusammenhang zwischen der Schmerz- und Stuhlsymptomatologie und dem Ikterus besteht. Die Durchsicht der zahlreichen Laborbefunde früherer Ärzte ergibt daß zwar wiederholt ein erhöhtes Bilirubin gefunden wurde aber niemals andere Hinweise auf Cholestase Leberzellschädigung oder Pankreasbeteiligung. Der höchste je gemessene Bilirubinwert betrug nur 74 µmol/l. Der von Dr. M. erhobene Wert betrug 34 µmol/l. Der Schluß ist naheliegend daß Herr L. - ganz unabhängig von den Bauchschmerzen infolge des Reizkolons die situationsabhängig sind - eine funktionelle Hyperbilirubinämie hat. Stö_
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