Gesamtmedizinisches Problem AIDS |
Journal/Book: Z. ärztl. Fortbild. 84 (1990) 900. 1990;
Abstract: Prof. Dr. sc. med. Renate Baumgarten Infektionsklinik (Chefarzt: OMR Prof. Dr. sc. med. R. Baumgarten) des Städtischen Krankenhauses Berlin-Prenzlauer Berg (Ärztlicher Direktor: OMR Prof. Dr. sc. med. G. Loewe) Erregerspektrum und Klinik HIV-assoziierter Erkrankungen haben uns gelehrt daß althergebrachte scheinbar feststehende Begriffe wie Virulenz Organtropismus und spezifisch entzündliche Gewebsreaktionen nur relativ und in Assoziation mit einem kompetenten Immunsystem des Wirtsorganismus von Bestand sind. Beim HIV-Infizierten verhält sich die Virulenz von Pneumocystis carinii von Kryptokokken Mykobakterien Salmonellen und Herpesviren umgekehrt proportional zum Ausmaß seines T-Zell-Defektes. Ein B-Zell-Defekt geht mit einer Virulenzsteigerung von Streptokokkus pneumoniae Haemophilus influenzae und Shigellen einher und eine ausgeprägte Neutropenie ermöglicht die Dissemination von Candida albicans Aspergillen Listerien und gramnegativen Bakterien. Ungewöhnlich wie das Erregerspektrum ist auch der Organtropismus. Zwar prädestinieren die meisten opportunistischen Erreger ein bestimmtes Organ. In zunehmendem Maße werden jedoch disseminierte Erregerausbreitung und ungewöhnliche Erstmanifestationen beschrieben. So bevorzugt die HIV-assoziierte tuberkulöse Mykobakteriose extrapulmonale Organe. Kryptosporidien können auch ohne diarrhoische Erkrankung bronchopulmonale Erkrankungen verursachen. Pneumocystis-carini-Infektionen manifestieren sich als Chorioretinitis Thyreoiditis Dermatitis und Enteritis und Toxoplasmen können sowohl Ursache von Enzephalitiden als auch von Pneumonien oder Orchitiden sein. Der Typ und die Intensität der Gewebsreaktion werden ebenfalls wesentlich vom Immunstatus des Wirtsorganismus bestimmt. So kann die entzündliche Reaktion auch bei ausgeprägter Erregerinvasion minimal sein oder fehlen. Schaumig veränderte Histiozyten wie sie beim M. Whipple des Immunkompetenten gesehen werden sind typische Veränderungen bei nicht tuberkulöser Mykobakteriose des AIDS-Patienten granulomatöse Reaktionen sind oft defekt oder können ganz ausbleiben. Hat man früher die Syphilis als den universellen Imitator fast aller Krankheiten in allen Organsystemen angesehen so wird dieses Phänomen durch die HIV-assoziierten Erkrankungen bei weitem übertroffen. Die Komplexität des Krankheitsgeschehens erfordert keine Organ- sondern eine Ganzheitsmedizin. Neurologe Dermatologe Stomatologe Ophthalmologe Internist und Allgemeinmediziner sind gleichermaßen gefordert Erstmanifestationen von AIDS-Erkrankungen zu erkennen. Zur Diagnostik und Therapie wird mehr als im üblichen Maße interdisziplinäre Zusammenarbeit benötigt. Die pathologisch-anatomische Diagnostik muß durch Angaben zum Funktionszustand des Immunsystems und zur Art der mikrobiologischen Besiedelung transparenter gemacht werden. Die Gewinnung des mikrobiologischen Untersuchungsmaterials erfolgt mit invasiven z. T. aggressiven Methoden. wt
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