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November 2024

Das Rekreationspotential: medizinische und landschaftsbezogene Gesichtspunkte

Journal/Book: Z. Physiother. 37 (1985) 399-402. 1985;

Abstract: Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster (Direktor: OMR Prof. Dr. med. habil. H. Jordan) 1Vortrag zur Tagung der Sektion Landeskultur und Naturschutz der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR in Bad Elster vom 14.-16.09.1983 Zusammenfassung Unter dem Begriff "Rekreationspotential" werden alle Faktoren zusammengefaßt die die Erholungsbedürftigkeit des Menschen günstig zu beeinflussen vermögen. Diese werden unter medizinischen und landschaftsbezogenen Aspekten erörtert. Dem Tagungsziel entsprechend werden die konkreten Anforderungskriterien für die Erholung unter dem Blickwinkel der naturräumlichen und landeskulturellen Ausstattung der Landschaft dargestellt. Mit dem Begriff "Rekreationspotential" soll im folgenden die Gesamtheit aller Faktoren bezeichnet werden die geeignet sind die Erholungsbedürftigkeit des Menschen günstig zu beeinflussen Hierbei müssen sowohl körpereigene Leistungen als auch umweltbedingte Einflußgrößen in Betracht gezogen werden weshalb wir medizinische und umweltbezogene Gesichtspunkte der Erholung diskutieren müssen. Unter den letzteren spielen die landschaftsbezogenen eine ganz wesentliche und für unsere gegenwärtigen Erörterungen die maßgebliche Rolle. Die Rekreationsproblematik stellt somit einen positiven Aspekt des Mensch-Umwelt-Konzeptes (7 8) dar und kann insgesamt nur interdisziplinär entworfen und realisiert werden. 1. Medizinischer Aspekt Erholungsbedürftigkeit ist ein prinzipieller zyklisch geordneter Folgezustand von Ermüdung- Anspannungs- Abspannungs- und/oder Erschöpfungserscheinungen die entweder zeitlich (= quantitativ) oder substratadäquat (= qualitativ) nicht auskompensiert werden konnten. Abbildung l möge diese Zyklizität verdeutlichen. Abbildung 2 macht nochmals deutlich daß die Erholungsbedürftigkeit nicht mit Arbeitspausen oder Arbeitsfreizeit behoben sondern nur durch einen mittelfristigen Erholungsurlaub ausgeglichen werden kann. Hierbei können recht unterschiedliche Begleitumstände den Grad der Erholungsbedürftigkeit (und mithin auch das zeitliche Ausmaß der Erholung) mehr oder minder alterieren. Ohne Abb. 1. Darstellung der Zyklizität der Vorgänge die zur Erholungsbedürftigkeit führen (nach HITTMAIR) Ohne Abb.2. Vereinfachtes Schema nach Abbildung 1 Als solche sind beispielsweise Lebensalter Konstitution psychophysische Kondition psychisches oder physisches Vor- geschädigtsein Ernährungsgewohnheiten Genußgifte Medikamente oder Zivilisationsstressoren wie Schadstoffexposition Lärmbelastung und Anheliose ferner auch soziale Faktoren wie Kontaktarmut fehlende Isolationsmöglichkeiten familiäre Konflikte zu nennen - ohne hier vollständig zu sein. Im Lichte der Streßlehre gesehen stellt sich Erholungsbedürftigkeit als ein Disstreßzustand also eine Störung des bioenergetischen Systems (4) und mithin als eine Erscheinung von prämorbidem Gewicht dar wenn man unterstellt daß der Eu-Streß eine Förderung der sanogenetischen Prozesse als Adaptationsleistung bedeutet der Dis-Streß jedoch über eine Maladaptation zur Begünstigung pathogenetischer bzw. pathokinetischer Faktoren führt. Von besonderer Bedeutung ist dabei der emotionelle Streß der sowohl als Über- als auch als Unterforderungsergebnis auftritt. Im einzelnen kann auf diese Problematik im Rahmen dieses Vortrages natürlich nicht eingegangen werden. Erholung kann somit als Wiedergewinnung der Homöostase bezeichnet werden charakterisiert z. B. durch Äquilibrierung des vegetativen Systems Normalisierung von funktionellen Parametern Besserung der Gewebstrophik Steigerung der Regulations- und Abwehrleistungen. Hierzu sind besonders dienlich der Wegfall ergotrop tendierender Stimuli die Ausschaltung emotionaler Stressoreffekte ein Wiedererreichen der Eukymatie d. h. der biorhythmologischen Ordnung oder die Rekonditionierung von durch Ermüdung oder Erschöpfung beeinträchtigten oder ausgefallenen funktionellen Leistungen. Grundsätzlich sind dabei aktive Verhaltensweisen erfolgreicher als passive wie schon Setschenow 1906 nachwies; man muß "etwas anderes tun als das was müde gemacht hat" (2). Es ist das Prinzip von Entlastung und Belastung welches zur Förderung der Erholung eingesetzt werden muß und für das z. B. die Physiotherapie besonders gute Möglichkeiten anbieten kann (9). Besonders sei dabei auf die Tatsache aufmerksam gemacht daß über die körperliche Aktivierung - insonderheit durch ein Ausdauertraining - im Sinne einer positiven Kreuzadaptation begünstigend auf das funktionelle System des Menschen insgesamt eingewirkt werden kann (6). Über diesen bedeutsamen Mechanismus können Dysregulationen in Teilsystemen oder zwischen ihnen vermieden und das Adaptationsvermögen gesteigert werden selbst wenn es z. B. im Zustand der Erschöpfung bis zur Grenzleistung beansprucht wurde. Der menschliche Organismus ist in der Lage auch dann Kompensationsmechanismen in Gang zu setzen wenn maximale Abweichungen von der Norm vorliegen (Anochin). 2. Landschaftsbezogener Aspekt Aus dem bisher Gesagten geht hervor daß sowohl die soziale als auch die biophysikalische Umwelt über Rekreationspotentiale verfügt und daß diese stets im Zusammenhang kalkuliert werden müssen. Da jeder Zustand von Erholungsbedürftigkeit seine individuelle Note und ein jeweils spezielles bevorzugtes Ausdrucksfeld besitzt lassen sich auch keine wirklich verbindlichen Kriterien für eine "Erholungslandschaft" [Jordan (l0)] angeben. Dies um so mehr als der Erlebniswert nicht der Sachwert der Landschaft den Ausschlag über ihren Gütegrad als Rekreationspotential gibt [Jordan (11)]. Neben dem "Inventar" der Landschaft ist dabei die Zeitdauer der Exposition in eine solche von maßgeblicher Bedeutung die zu kurz aber durchaus im gegebenen Falle zu lang sein kann. Dennoch lassen sich gewisse grundsätzliche Kriterien der "Erholungslandschaft" ableiten. Das Wichtigste ist in diesem Zusammenhang die Beseitigung von Störfaktoren bzw. deren Reduzierung zum Minimum; d. h. also die möglichste Eliminierung psychomentaler Stressoren bzw. Stressoreffekte (passiver Rekreationsaspekt) verbunden mit dem Wirksamwerden von Eu-Streßfaktoren (aktiver Rekreationsaspekt). Das psychosoziale Umfeld der Rekreation muß neben primär günstiger Gesamtästhetik Möglichkeiten der Entspannung der Ruhe des individuellen Rückzuges bzw. der Isolation ebenso bieten wie einen gesellschaftsbezogenen aktiven "Spiel"-Raum (im wahren Sinne des Wortes). Von solchen Grundüberlegungen geleitet haben Hartsch und Jäger eine umfassende Zusammenstellung erarbeitet die die beiden folgenden Darstellungen wiedergeben. Tabelle 1. Anforderungskriterien für Rekreationsfaktoren (RF) in Anlehnung an die Darstellung von HARTSCH und JÄGER ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Physische Psychische Erschließungs- Sphäre Sphäre Störanfälligkeit möglichkeit ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Thermische optische meteorologische Sichtbeziehungen Aktinische akustische bioklimatische Begeh- u. Befahrbarkeit Aerische olfaktorische hydrogene Wassernutzung Hydrogene kinetosensorische biologische Rast- u. Rückzugsflächen Geogene RF akustische balneobioklimatische Nutzung RF olfaktorische optisch RF ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Tabelle 2. Anforderungskriterien der naturräumlichen und landeskulturellen Ausstattung in Beziehung zum Rekreationspotential in Anlehnung an die Darstellung von HARTSCH und JÄGER --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Natürliche Landschaftliche Landschaftserschließung Landschaftseignung Beeinträchtigung -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Relief Abbauflächen Schutzmaßnahmen Makroklima Industrieanlagen Wanderwege Mesoklima Siedlungen Verkehr Gewässer Mülldeponien Wasserversorgung Vegetation Wald Schutzgebiete Erholungs- oder Kureinrichtungen Tierwelt Schadstoffimmission Kulturelle technische Attraktionen Hygiene Freizeitgestaltung Lärm Insekten Massentourismus -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- In Tabelle 1 sind die Anforderungen zusammengestellt die seitens der Landschaftsplanung im Hinblick auf Eignung als Rekreationspotential erhoben werden müssen. Tabelle 2 soll die wichtigsten Gesichtspunkte der Landschaftseignung zu vermeidender Beeinträchtigungsfaktoren und Maßnahmen zur Landschaftserschließung vermitteln die aus der gleichen Sicht geltend gemacht werden müssen. Es kann keineswegs verschwiegen werden daß die gegenwärtige Situation und auch die perspektivische Planung unserer Erholungsgebiete insgesamt noch weit von den erreichbaren oder gar idealen Zielvorstellungen entfernt ist. Es ist aber sicherlich klar geworden daß gerade in der Verwirklichung eines möglichst optimalen Ist-Standes aller medizinischen und umweltbezogenen Rekreationspotentiale eine gesundheitspolitische und sozialmedizinische Aufgabenstellung von hoher Bedeutsamkeit gegeben ist die zu erfüllen wir alle berufen sind. Literatur 1. Anochin P. L.: Das funktionelle System als Grundlage der physiologischen Architektur des Verhaltensaktes. Abh. a. d. Geb. d. Hirnforschg. u. Verh.-Physiol. Bd. 1 VEB Gustav Fischer Verlag Jena 1967. 2. Gibert-Queralto I.: État actuel du traitement de l'athérosclérose. Actual. Cardiol. Angéiol. Int. 12 (l963) 51-55. 3. Hartsch I. (unter Mitarb. v. K.-D. Jäger): Neue Gesichtspunkte zur Kennzeichnung des naturräumlichen Rekreationspotentials. Forschungsmaterial d. AG "Naturhaushalt und Gebietscharakter" d. Sächs. Akad. d. Wiss. z. Leipzig; Forsch.-Richtung 5. 06. 01 Arb.-Richtg. Physische Geographie; Inst. f. Geographie u. Geoökologie d. ADW Leipzig 1980. 4. Hecht K. M. Poppei: Zum gegenwärtigen Stand der Stressforschung. DDR-Med. Rep. 10 (l981) 879-925. 5. Hittmair A.: Erholung und Urlaub: Ergebnisprotokoll der Planungskonferenz f. e. Forschungsprogramm in Starnberg am 8.-9. April I962. München: Studienkreis für Tourismus. 6. Israel S. B. Buhl A. Weidner K.-H. Purkopp: Die positive Kreuzadaptation. Med. u. Sport 23 (1983) 140-l48. 7. Jordan H.: Balneobioklimatologie - eine Zielstellung im Mensch-Umwelt-Konzept. Sitz.-Ber. d. Sächs. Akad. d. Wiss. z. Leipzig Math.-naturwiss. Kl. Bd. 114 H. 6. Akademie-Verlag Berlin 1981. 8. Ders.: Die Stellung der Kurorttherapie im Mensch-Umwelt-Konzept. Z. Physiother. 31 (1979) 359-367. 9. Ders.: Belastung und Entlastung in Pathogenese und Hygiogenese - ein Konzept der Physiotherapie. Diaita 13 (1967) 4 3-6. 10. Ders.: Ärztliche Anforderungen an den Charakter und die Gestaltung einer "Erholungslandschaft". Arch. Naturschutz u. Landschaftsforsch. 10 (l970) 2/3 199-206. 11. Ders.: Landschaftserlebnis: Wesen und Wertung. Z. angew. Bäder- u. Klimaheilkd. 17 (1970) 364-370. 12. Setschenow: zit. n. K. M. Bykow: Lehrb. d. Physiologie. VEB Verlag Volk und Gesundheit Berlin 1960.

Keyword(s): Erholung Landschaftsgestaltung


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