Zur Beeinflussung regulativer Prozesse im Zuge der Kurorttherapie |
Journal/Book: Z. Physiother. 29 (1977) 151-163. 1977;
Abstract: Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster (Direktor: OMR Prof. Dr. med. habil. H. Jordan) I. Unter Kurorttherapie verstehen wir die Komplexität aller in einem Kurort zur Anwendung kommenden Heilmethoden, die zwar vorrangig die naturgegebenen Heilmittel, aber ebenso die Methoden der Physiotherapie und der erforderlichen pharmakologischen, psychotherapeutischen oder psychagogen Behandlungen einschließt [12]. Kurorttherapie bedeutet die Nutzbarmachung der Umweltfaktoren im Sinne des Gesundheitsschutzes [13] als Teilstück des Gesamttherapieplanes und ist somit gewissermaßen ein ärztlicher Frontal- und Flankenangriff zugleich; mit anderen Worten: sie ist sowohl spezifische als auch unspezifische Therapie oder kann es zumindest sein. Eine jede Kurorttherapie die zielstrebig aufgebaut und situationsgerecht eingeplant ist wird deshalb den hygiogenetischen Prozeß chancenreicher und umfassender befördern können; ihre ganze Kunst besteht darin die reaktive (oder regulative) Leistungsfähigkeit des kranken Organismus den der Kurorttherapie eigenen Reizfaktoren gemäß richtig einzuschätzen und den Patienten diese befristete Teilstrecke seiner Behandlung mit einem elastischen Therapierregime konsequent zu führen. Dies erfordert einerseits eine breite Auswahlmöglichkeit abgestuft einsetzbarer therapeutischer Mittel andererseits aber eine gute Kenntnis der vorliegenden funktionellen Pathologie" und ihrer individuellen Steuerbarkeit. Damit sind zwei Variable ins Spiel gebracht deren korrelative Güte die Effektivität der Kurorttherapie entscheidend bestimmt. Die Komplexität der in der Kurorttherapie wirksam werdenden Faktoren ist deshalb schwer zu analysieren weil hierbei vom Standpunkt einer Komplementaritätsbetrachtung aus vorgegangen werden muß (wie jede Wechselwirkung zwischen Individualität und Gesamtheit von Teilsystemen komplementär im Sinne von BOHR oder HEISENBERG [s. dazu 29] ist). Derartige Probleme stellen sich etwa bei der Frage wie sich die Wirkung einer medikamentösen Therapie im Ablauf der Kurreaktion wandelt [17] oder wie sich eine Bäderbehandlung in einem veränderten bioklimatischen Milieu auswirkt ("Therapie im Klima" nach HENTSCHEL [15]). Wenn hierbei - und das ist eine unausweichliche Forderung - Erkenntnisse (d. h. wissenschaftlich begründete Handlungsgrundlagen) für die ad hoc notwendige optimale individuelle Therapiegestaltung gewonnen werden müssen so kann das nur dann geschehen wenn die jeweilige individuelle Situation als inner- oder außerhalb einer kollektiven "Norm" gelegen bestimmt werden kann (wie es schon im Prinzip das Wesen der Komplementarität erfordert statistische Betrachtungsweisen zu benutzen). Aus diesem Grunde kommt der kollektivstatistischen Betrachtungsweise in der Kurorttherapie eine ganz besondere wichtige Rolle zu. II. Es stellt sich dabei die Aufgabe die Verhaltensweisen relevanter Parameter unter "globalen" Bedingungen zu untersuchen und diese "Globalität" durch Einbeziehung möglichst vieler interindividueller Varianzen in das biometrische Konzept zu differenzieren. Solche Varianzen sind z. B. das Alter das Geschlecht die Krankheitssituation (Stadien Gesamtzustand) die Therapieform die Jahreszeiten Milieufaktoren - sie alle zu berücksichtigen erfordert natürlich hinreichend große Teilkollektive. Dabei ergibt sich zwingend deren Veränderungen im Kurverlauf ausgangswertabhängig zu untersuchen d. h. statistisch bedingte Zufallseffekte auszuschalten. Diese ergeben sich dadurch daß besondere regulative und/oder rhythmische Vorläufe als kreis- oder spiralverteilte Prozesse anzusehen sind und ihnen daher Fehler im Sinne des sog. " a:(a-b)-Effektes" [1] innewohnen. Unter sorgfältiger Beachtung der Verteilung der Ausgangswerte der Streuungen des Meßwertekollektives zum jeweiligen Beobachtungstermin und der Korrelation bzw. Regression der paarigen Meßwerte lassen sich jedoch Aussagen begründen die auf gerichtete kollektive Verhaltensweisen zu beziehen sind [36]. Ohne Abb. 1. Verteilung von 8744 Meßwerten des systolischen Blutdruckes zu Beginn (x) und am Ende (y) einer Kurortbehandlung in Bad Elster (oben) Darstellung der Beziehungen zwischen den beiden Messungen x y (Mitte) und der ausgangswertbezogenen Änderung im Kurverlauf (unten)(aus [21]) Ohne Abb. 2. Schematische Darstellung der Endwerte-Änderung gegenüber den Ausgangswerten des systolischen Blutdruckes des "cross-over-point" und des "regulativen Normbereiches" (aus [11]) Ohne Abb. 3. Prozentuale Verteilung (Kurvenzug) und prozentuale Änderung (Säulen) von systolischen Blutdruckwerten zwischen Beginn und Ende einer Kurortbehandlung (6219 Männer und Frauen unausgewählt Bad Elster 1967) nach Torr-Klassen (Abszisse) in drei Altersgruppen (oben: älter als 60 Jahre; Mitte: 40 bis 60 Jahre; unten: jünger als 40 Jahre) mit eingezeichneter "Altersnorm" (schraffierte Felder) nach Bürger (aus [11]) Ohne Abb. 4. Veränderungen des Körpergewichtes von 8000 Männern unter einer Kurortbehandlung (Bad Elster 1962) in Abhängigkeit von der Körpergröße. Dargestellt ist die prozentuale Verteilung (Kurvenzug) die Änderung (Säulen) und der Broca-Bereich (schraffierte Felder) für die beiden extremen Körpergrößenklassen des Materials (aus [20]) Ohne Abb. 5. Mittlere Änderung des systolischen Blutdruckes von 4094 Kurpatienten (Bad Elster 1967) beim Übergang vom Heimatort in den Kurort nach Ausgangswerten im Heimatort (Abszisse) unterschieden nach drei Altersgruppen (aus [24]) Die "Ausgangswert-Endwert-Problematik" [19] wohnt jedem Therapievergleich inne; die Feststellung tiefe Werte würden unter einer Therapie erhöht und hohe gesenkt sagt allein noch nichts über den Therapieerfolg aus. Nicht selten wird aus einer derartigen Beobachtung aber das Vorliegen eines "Normalisierungssprozesses" gefolgert der zugleich die Güte der Therapieform repräsentieren soll. Die Überprüfung der Streuung und der Regression hilft hier weiter [22] ihr kommt eine prinzipielle Bedeutung zu: Bei Zufallseffekten wie sie der a :(a-b)-Effekt darstellt müßten die Kollektivstreuungen praktisch jeweils gleich sein. Gehen gerichtete Veränderungen in einem behandelten Kollektiv vor sich (etwa Blutdrucksenkungen) so kommt es im allgemeinen nicht nur zu entsprechenden Bewegungen der Mittelwertskurve sondern auch zu namhaften Korrelationsbeziehungen der paarigen Werte und - ein immer wiederkehrender Befund - zu Verminderungen der kollektiven Streuung am Ende der Kurorttherapie. Daraus resultiert eine deutliche Drehung der Regressionsgeraden gegenüber ihrer dem Zufall entsprechenden Lage im Koordinatenfeld [21]. Abbildung 1 demonstriert eine solche Darstellung der Regression von systolischen Blutdruckwerten zu Anfang und am Ende einer Kurortbehandlung. Auf diese Weise läßt sich ein aleatorischer von einem "bewirkten" Anteil [8] abgrenzen. Aus solcher Betrachtung der empirischen Regression (s. Abb. 2 unterer Teil) leitet sich eine weitere ebenso einfache wie eindrucksvolle Darstellung der Beziehungen der Änderungen der Endwerte gegen die Ausgangswerte ab. die Abbildung 2 wiedergibt. Die Regressionsgerade schneidet die Nullinie der Änderungen im sog. "cross-over-point" und markiert damit einen Bereich von Ausgangswerten innerhalb dem es zu keinen regulativen Änderungen kommt. Wir haben ihn "regulatorischer Nullbereich" genannt und in ihm eine Möglichkeit zur Aufstellung funktioneller Normen gesehen die sich von häufigkeitsstatistisch errechneten "Normalbereichen (z. B. des Blutdruckes oder des Körpergewichtes) deutlich abgrenzen lassen (Abb. 3 und 4). Besonders vorteilhaft können damit auch biorheutische oder sexualtypische Variationen regulativer Veränderungen erfaßt werden wie dies Abbildung (5 andeuten soll (aus [40]). III. Noch sicherer lassen sich regulatorische Prozesse beurteilen wenn man tägliche Meßwerte gewinnen und verwerten kann. Sollen kollektive Normen ermittelt oder kollektivtypische Verhaltensweisen (z. B. Kurreaktionen) dargestellt werden so sind leicht gewinnbare und gut reproduzierbare Meßgrößen auszuwählen die aus ebendiesen Bedingungen heraus den Nachteil ihrer "Unspezifität" mehr als wettmachen. Derartige Parameter sind vielmehr daraufhin zu überprüfen ob sie behandlungsunabhängige oder behandlungsabhängige Körperfunktionen repräsentieren. Entscheidend ist für deren Bewertung wie breit ihr "normaler" Streubereich ausfällt und welche Plausibilität den darin zum Ausdruck kommenden Abweichungen unterlegt werden kann ("Streuungen" sind ja hierbei nicht nur im Sinne statistischer "Fehler sondern vor allem als "Indikatoren" biologisch wichtiger Inhomogenitäten nicht "als Beschlußfassung sondern als Eröffnung der Diskussion" [9] zu bewerten). Dies gilt es besonders dann zu beachten wenn derartige Meßgrößen quotientiell miteinander gekoppelt werden und Zähler und Nenner gegeneinander differierende "Normal" -Streuungen aufweisen wie sie der jeweils idiotypischen Regulationscharakteristik der herangezogenen Körperfunktionen zwangsläufig entsprechen (z.B. Puls-Atem-Quotient [6] vegetativer Index nach KERDÖ [18 27] Herzleistungsquotient [32] u.a.m.). Daraus folgt daß es viel ergiebiger ist das Verhalten der täglichen Streuung der Kollektivwerte zu bestimmen oder - im Verfolg der regulatorischen Kontinuität die Streuung der täglichen Änderungen der Meßwerte zu berechnen ("Streuung der interdiurnen Änderung"). Diese Methode wurde von WAGNER ausgearbeitet [38] und erstmals 1955 näher erläutert [39] sowie zur "Kurreaktion" in Beziehung gesetzt. Sie erfaßt das Ausmaß der Veränderungen der gewählten Parameter von Tag zu Tag und läßt damit Phasen deutlich werden innerhalb deren es zu relativ geringen oder auffälligen kollektiven Dispersionen der Reaktion kommt; wir sprechen von Stabilisierungs- oder Labilisierungsphasen. Als Beleg diene Abbildung 6 die die Streuung der täglichen Änderungen von Puls- und Atemfrequenz unter massivem Klimawechsel (Hochseeklimakur 1965 s. [23 31]) belegen soll. Die spezifische Aussagekraft dieser Betrachtungsweise sei am Beispiel eines stark therapieabhängigen Parameters - das Körpergewicht unter einer Reduktionstherapie1 - deutlich gemacht. In Abbildung 7 wird das charakteristische (und überraschende) Verhalten des Kollektivs überhaupt erst durch diese Streuungsbetrachtung entdeckt; das gleichmäßige Absinken der Mittelwertkurve verdeckt die Einsicht in das wahre fegulative Verhalten des Kollektivs unter einer streng einheitlichen Therapie. Die besonders in der Zeit vom 10. bis 15. Tag auftretende "Labilisierung" beweist daß hier sehlende Gewichtsabnahmen oder Gewichtszunahmen verstärkt vorhanden sein müssen. Auch sind offenbar die Grenzen der reaktiven Leistung gegenüber der reduzierten Kalorienzufuhr nach etwa 3 bis 4 Wochen erreicht. Ohne Abb. 6. Streuung der täglichen Änderung der Pulsfrequenz (oben) und der Atemfrequenz (unten) von 52 Probanden während der Hochseeklimakur 1865 [31] im Übergang von Rostock (DDR) in das Klimazielgebiet (Kanarische Inseln); l. bis 20. Bordtag (aus [23]) Ohne Abb. 7. Darstellung der Veränderung(oben) und der Streuungsquadrate der täglichen Änderung (unten) des mittleren Körpergewichtes" von 29 Männern unter einer 32tägigen Reduktionskost mit 1200 kcal/Tag Im Gegensatz zum Körpergewicht kann die Körpertemperatur bei Kurpatienten allgemein als ein praktisch von der Therapie nicht abhängiger Parameter gelten. Wohl aber besitzt gerade sie eine hohe reaktive Bereitschaft z.B. Witterungseffekten gegenüber [36] und schien daher geeignet das reaktive Verhalten im Kurverlauf zu verfolgen. Schon die ersten Untersuchungen hatten uns eine besondere Bedeutung des 12. bis 14. Tages vermuten lassen die in gewisser Parallele zur "Pathologie des 8. bis 12. Tages" zu stehen scheint auf die HILDEBRANDT an Hand der Beobachtungen von SCHNITZER hingewiesen hat [7]. Vielfache Messungen am Blutdruck der Pulsfrequenz der Atomfrequenz der Körpertemperatur des Körpergewichtes bestätigten uns dieses Phänomen (s. [11]) auf dessen Diskussion hier nicht eingegangen werden kann. Interessant ist nun weiterhin daß die Ordnung der "Streuungen der täglichen Änderungen" nach ihrem Ausmaß zu Beginn der Kurorttherapie einen Schritt weiterführt. Abbildung 8 demonstriert das Verhalten der Körpertemperatur unter derartiger Gruppierung (nach [37]). Man erkennt deutlich daß in der fraglichen Zeit d. h. zwischen dem 10. und 16. Kurtag die Teilkollektive mit niedrigen oder nur mittleren Streuungsausgangswerten (relativ "stabile" Kollektive) plötzlich mit einer deutlichen Zunahme jene mit sehr hoher anfänglicher Streuung dagegen mit einer Abnahme der Kollektivstreuung reagieren. Es zeigt sich daß im weiteren Verlauf auch für das Streuungsverhalten ein gewisser "Bündelungseffekt" einsetzt der ein stabiles Verhalten aller Teilkollektive mit Ausnahme der "extrem labilen" repräsentiert. Es ist hier in gewisser Weise das Ziel erreicht nachprüfbare Teilkollektive erkennbar gemacht zu haben die sich offenbar deutlich außerhalb der "Norm" bewegen (soweit diese Bewertung hier auf ihren didaktischen Anspruch beschränkt bleibt). Jedenfalls besteht hier eine Möglichkeit die statistische Aussage weiter zu präzisieren. Ohne Abb. 8. Darstellung der Streuung der täglichen Änderungen von Körpertemperaturen in 5 Ausgangswertgruppen über 35 Kurtage (aus [37]) Bei der Betrachtung derartiger den Kurverlauf repräsentierender Kurvenzüge drängt sich immer wieder der Vergleich mit der "periodisch gedämpften Entartung" [4] einer Schwingung auf. Hierzu paßt auch der durchweg zu führende und schon erwähnte Nachweis einer wesentlich geringeren Kollektivstreuung am Kurende gegenüber dem Kurbeginn. Der "Schwingungsanstoß" kann nach unserer Erfahrung schon im zeitlichen Vorfeld der Kur- als "Heimateffekt" oder "Kureintrittsreaktion" [39 40] - erfolgen; die sehr häufig auftretende Initial auffällig große Meßwertstreuung ist wohl ein realer aber sicher durch die Kureintrittsmodalitäten künstlich extremierter "Ausgangswert" (s. dazu Abb. 5). Offenbar spielt die Bevorzugung einer 7tägigen Rhythmik oder deren Multiple (14 Tage 36 Tage) eine dominierende Rolle die als "Circaseptan-Rhythmik" zwar als endogen deklariert wird obwohl bisher sicher Beweise für den Ausschluß eines gewöhnlichen "Wochenrhythmus" fehlen. Werden die Kurreaktionen über das ganze Jahr verteilt betrachtet so macht sich sehr auffällig eine "zehnfache Jahresoberwelle" (=35-Tage-Periodik) geltend [28] die einerseits auf den Einfluß des Lichtes im saisonalen Wechsel auf die menschliche Regulation hinweist andererseits die signifikant unterschiedliche saisonale Verteilung von Kureffekt oder Kurerfolgen erklären hilft (s. dazu auch [11]). IV. Nach dem Dargelegten muß erwartet werden daß sich derartige Beeinflussungen der Regulation auch in der Reaktion des Kranken auf Therapiereize widerspiegeln müßten. Tatsächlich lassen sich solche Beziehungen aufdecken die wir in einer Reihe von Untersuchungen herausgestellt haben [17]. Sie ergeben zusammengefaßt etwa folgendes zu erkennen: An Hand kardio- resp. hämodynamischer Kriterien muß ein überwiegend histiotroper Umschlagseffekt in der dritten Kurwoche als "Kureffekt" anerkannt werden. Dieser "Kureffekt" vermag sich histiotropen Wirkungskomponenten von Pharmaka zu überlagern so daß "Verstärkungseffekte oder "Tempoeffekte (= Beschleunigung des Wirkungseintritts) resultieren. Ergotrope Tendenzen von Medikamenten können durch den "Kureffekt" abgeschwächt oder - im Sinne der Ausgangswertproblematik WILDERS - gegebenenfalls auch verstärkt werden. Bei Hypertonikern wird der histiotrope Kureffekt einer Blutdrucksenkung besonders deutlich so daß sogar eine antihypertensive Dauerzusatzbehandlung in mittlerer Dosierung keinen Verstärkereffekt jedoch aber noch eben einen Tempoeffekt zeitigt. Medikamentöse Untersuchungsreihen oder Prüfteste an Kurpatienten verlangen daher die Einbeziehung resp. Eliminierung dieses "Kureffektes" bei der Ergebnisermittlung bzw. -beurteilung mit Hilfe biometrischer Analysentechnik. Abbildung 9 zeigt den unterschiedlichen Ausfall eines Pholedrintestes2) in der 1. 2. 3. und 4. Kurwoche. Ohne Abb. 9. Unterschiedlicher Verlauf eines Pholedrintestes (Blutdruckänderung in Ordinate) Versuchszeit (Abszisse): in der ersten (1) zweiten (2) dritten (3) und vierten(4); Kurwoche(aus [16]) Ein histiotroper Umschlag von der 3. zur 4. Kurwoche ließ sich auch bei der Pyrazolontherapie von entzündlichen rheumatischen Erkrankungen hinsichtlich Körpertemperatur Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit Leukozytenzahl und Gesamteiweiß feststellen [14 34]: Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an den Kortikoid- Einspareffekt der sich beim Einsatz der Klimatherapie bei dermatologischen Krankheitsbildern eindrucksvoll demonstrieren läßt. Dies gilt besonders für die Thalasso- bzw. Hochseeklimakurbehandlung [31] und die Therapie im Hochgebirge [3] und es ist in dieser Hinsicht bemerkenswert daß im Mittelgebirgsklima - also ohne markante klimatherapeutische Reaktionsanstöße - klinische Rebound-Effekte nach Absetzen der Kortikoide häufiger zu beobachten sind [5]. Derartige Befunde weisen auf die eminente Bedeutung hin die systematischen Untersuchungen über den Stellenwert der Pharmakotherapie im Zuge kurorttherapeutischer Behandlungen (und vice versa der Physiotherapie im Zuge medikamentöser Therapie) zukommen - ein bisher noch kaum bearbeitetes Feld. V. Der Vorteil der ausgangswertbezogenen biometrischen Betrachtungsweise geht aus dem Dargelegten klar hervor. Da eine Homogenität eines Patientenkollektivs für einen beabsichtigten Therapievergleich im allgemeinen nur schwer (im strengen Sinne überhaupt nicht) erreicht werden kann müssen zusätzlich zumindest Gruppierungen nach Alter Geschlecht Krankheitsstadien Jahreszeiten und Therapie vorgenommen und getrennte Berechnungen durchgeführt werden. Wie sehr gerade der biorheutische Prozeß die reaktiven Veränderungen beeinflußt ist allenthalben aus der geriatrischen Forschung bekannt. So macht sich z. B. der Anreiseeffekt (die von uns so genannte "Kureintrittsreaktion") besonders am Blutdruck bei älteren Menschen geltend die insgesamt langsamer aber nicht schlechter reagieren [41]. So ist bei ihnen auch der "Kurerfolg" markanter nachweisbar als der "Kureffekt" [30]. Die hydrostatische Belastung der Hirndurchblutung durch Bäder ist altersabhängig different [33]. Jüngere Patienten reagieren offenbar deutlicher auf akute resp. kurzfristig einwirkende ältere mehr auf längerfristige Reizintensitäten; beurteilbare "Kurreaktionen" zeigen einen geradezu entgegengesetzt gerichteten "Altersgang" für funktionelle oder degenerative Erkrankungen [10 25]. Auffällig war dabei die ausgeprägte Kurreaktion bei Kranken mit chronischen bronchitischem Syndrom in den Solebädern der DDR wie sie sich aus den Ergebnissen der elektronischen Datenverarbeitung des Kur- und Bäderwesens der DDR 1973 ergibt. Sie erweist daß sich eine derartige Kurorttherapie auch beim inveterierten Fall lohnt da in dieser "Reaktion eine positive Antwort der geschädigten Respirationsschleimhaut (und nicht etwa eine unerwünschte Reaktion des Allgemeinbefindens) zu erblicken ist (s. dazu [26]). Sexualdifferenzen in der Kurreaktion lassen sich - wie nicht anders zu erwarten - vielfach finden; als Beispiel seien die unterschiedliche Blutdruckreaktion gleichaltriger Frauen und Männer [41] oder die regulativen Änderungen des Körpergewichtes erwähnt. Abbildung 10 demonstriert den unterschiedlichen "cross-over der Körpergewichtsregulation für 10327 Männer und 6592 Frauen (zugleich in ihrer Altersabhängigkeit) unter einer Kurorttherapie die nicht speziell auf die Beeinflussung des Körpergewichtes ausgerichtet war. Ohne Abb. 10. Veränderungen des Körpergewichtes bei 10327 Männern und 6592 Frauen während eines Kuraufenthaltes in Bad Elster (1967) getrennt nach zwei Altersgruppen (37 Jahre und jünger: oben; 58 Jahre und älter: unten) (aus [24)) Der kurorttherapeutische Gesamteffekt ist ein sehr komplexes Geschehen dessen faktorielle Analyse nur sehr schwer möglich ist. So ist z. B. schon der Entzug der bis zum Kurbeginn beibehaltenen Medikamente ein wesentliches Kriterium dessen Einflußgröße sehr oft gar nicht erkannt oder bewertet wird. Gern wird der Kureffekt auf das jeweils dominierende balneologische Therapeutikum leichtfertig bezogen ohne die Nebentherapie Wettereinflüsse die modulierenden Bedingungen der Jahreszeiten u. a. m. überhaupt nur in Betracht zu ziehen. Es erscheint daher notwendig das jeweils durchgeführte kurorttherapeutische Regime als Ganzes zu untersuchen d. h. wenigstens die Homogenität des Therapiegeschehens zu garantieren wenn man zu weiterer Klärung anderer relevanter Faktoren kommen will. Wenn SCHMIDT-KESSEN formulierte: "Physikalische Therapie kann daher nicht reines Placebo sein" so gilt das im besonderen für die Kurorttherapie. Dem Weg unter Beibehaltung des komplexen Therapiegeschehens zunächst nach den unter Kurortaufenthaltsbedingungen wirksam werdenden andererweitigen Faktoren zu suchen gebührt der Primat vor dem umgekehrten Verfahren einzelne Therapiefaktoren zu studieren ohne die reaktiven Antworten des Organismus und deren Modulation im Verlauf der Kur und im Verlauf des Jahres zu berücksichtigen. Der übersichtsartige Beitrag sollte zeigen daß es mit relativ einfachen klinischen und biometrischen Mitteln gut möglich ist die Beeinflussung regulativer Prozesse im Zuge einer Kurorttherapie zu erfassen die sich als direkte oder indirekte Folge dieser Behandlungsform ergeben und deren Kenntnis der Praxis der balneobioklimatischen Kurregimes zugute kommt. Zusammenfassung Die Komplexität einer unter modernen Gesichtspunkten betriebenen Kurorttherapie läßt eine spezifische und eine unspezifische Beeinflussung regulativer Prozesse im kranken menschlichen Organismus erwarten. Diese kann mit gezielter biometrischer Methodik erfaßt werden die wenn sie praxisbezogen betrieben werden soll eines relativ einfachen Aufwandes und gut reproduzierbaren Ansatzes bedarf. Die ausgangswertbezogene Beurteilung mittels Streuung Korrelation und Regression insbesondere die "cross-over"-Methode und die Benutzung der "Streuung der täglichen Änderung" von Meßwerten entsprechen dieser Forderung. Sie werden an Beispielen hinsichtlich ihrer Aussagefähigkeit in dieser Richtung dargestellt wobei die wichtigsten relevanten Einflußgrößen der Kurorttherapie Berücksichtigung finden. Literatur 1. BIJL W. v. d.: 5 Fehlerquellen in naturwissenschaftlicher statistischer Forschung. Ann. Meteorol. 4 (1951) 183. 2. BOHR N.: Atomenergie und Naturbeschreibung. vier Aufsätze S.6.Springer-Verlag Berlin 1931. 3. BORELLI S.: Dermatologische Klimatherapie und ihre Erfolgsbeurteilung. Fortschr. prakt. Dermatol. u. Venerol. (1970). 4. 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