ALPINMEDIZIN (VII) Akzidentielle Hypothermie |
Journal/Book: ÄRZTLICHE PRAXIS XXVI. Jahrgang Nr. 71 vom 3. September 1974 Seite 2951. 1974;
Abstract: Es ist oft sehr schwer zu entscheiden ob erfroren aufgefundene Menschen bereits tot sind oder noch leben. Wie die folgenden Ausführungen eines schwedischen Experten lehren sind Erfrorene solange als lediglich bewußtlos anzusehen bis nach sofortiger Überführung ins Krankenhaus - der Zustand durch klinische Untersuchung eindeutig geklärt wird. Versetzen wir uns für einen Augenblick in die Mitte des 18. Jahrhunderts: Man bringt uns einen Mann der wie es scheint erfroren auf einem Felsabsatz gefunden wurde. Wir untersuchen ihn genau und finden nicht das kleinste Zeichen einer Puls- und Herzaktivität. Seine Extremitäten sind steifgefroren. Er atmet nicht mehr. Das einzige was wir finden ist daß er um die Herzgegend ein bißchen wärmer ist. Was würden wir in einem solchen Fall tun? Ich glaube die meisten ich inbegriffen würden ihn für tot erklären. Das allerdings tat Samuel Naucler im Jahre 1756 nicht. Statt dessen versuchte er den Mann wieder zu erwärmen. Auf dessen Thorax legte er Tücher die er mit heißem Wasser getränkt hatte während er um die Füße in kaltem Wasser getränkte Tücher wickelte. Nach 4 Stunden intensiver Bemühungen des Arztes begann der Patient leicht zu atmen. Nach weiteren 4 Stunden konnte man einen schwachen Puls spüren. Nach 9 Stunden konnte man sein "zusammengefrorenes" Gebiß öffnen und ein wenig warmen Wein einträufeln. Dabei fing der Mann an zu schlucken und erwachte nach und nach wieder zum Leben. Einen Tag später verließ er die einfache Stube auf seinen eigenen Füßen und dankte dem Arzt der ihn von "zeitlicher vielleicht ewiger Unbill" erlöst hatte. Dr. med. E. Eriksson : Karolinska Sjukhuset Head division of trauma S-10401 Stockholm Diese Geschichte wurde in den Schriften der Königlichen Schwedischen Wissenschaftsakademie im Jahre 1756 publiziert und kann uns auch heute einiges lehren: 1. Es ist sehr schwer zu entscheiden ob hypotherme Individuen leben oder nicht. 2. Eine langsame vorsichtige Wiedererwärmung kann oft das Leben retten auch bei tiefer Unterkühlung. Wir pflegen die Hypothermie in zwei Typen einzuteilen in die akute und chronische. Die akute Hypothermie ist in diesem Rahmen nicht von Interesse. Sie betrifft vor allem Schiffbrüchige bei minus 30° Luft- und 0° Wassertemperatur. Falls diese Seeleute nicht innerhalb von 15 bis 30 Minuten geborgen werden erfrieren sie. Sie passieren rasch eine Abkühlungsphase mit Schlottern Erschöpfung und Verbrauch der Glykogenreserven. Zwischen 34 und 30° machen sie ein adynamisches Stadium mit totaler Apathie langsamem oberflächlichem Puls langsamer Atmung Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit durch; danach kommen sie in ein paralytisches Stadium mit Bewußtlosigkeit Steifheit äußerst oberflächlicher Atmung und Herzarrhythmie niemand weiß genau bei welcher Temperatur. Die Resultate der bestialischen Menschenversuche in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach denen der Tod bei ungefähr minus 26 bis minus 28° eintritt stimmen nicht mit unseren klinischen Beobachtungen überein. Wir haben an meiner traumatologischen Station im Karolinska Krankenhaus einige Patienten die Rektaltemperaturen von 15 und 16° gehabt haben gerettet ohne daß sie Schäden davongetragen haben. Die Opfer der nationalsozialistischen Versuche waren offenbar ausgemergelte Gefangene in sehr schlechter Kondition. Ich glaube wir wissen nicht wie tief man unterkühlt werden muß bis man stirbt. ... ___MH
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