Trinkkuren und Elektrolytstoffwechsel |
Journal/Book: Physiother. u. Gastroenteron Bd.1 (1964) 209-213. 1964;
Abstract: Institut für Kur- und Bäderwesen und für Physikalische Therapie Bad Elster (Direktor: Dr. med. habil. H. Jordan) Die Trinkkur kann man als eine protrahierte perorale Zufuhr bestimmter Elektrolyte in einer verdünnten wäßrigen Lösung auffassen deren entscheidende Kriterien seitens des Therapeutikums a) in der Konzentration b) in der Komposition der Elektrolyte (einschließlich der Spurenstoffe und der Quellgase) ferner c) in der Trinkmenge und d) in der Temperatur der Lösung begründet liegen. Behandlungsziele von Trinkkuren sind damit grundsätzlich auf drei Wirkfaktoren basiert: dem Trinkvolumen der Temperatur und den Effekten der Quellinhaltsstoffe. Der Organismus setzt sich mit diesen Therapieelementen in reflektorischer und/oder regulatorischer Form auseinander und führt deshalb zu jenen physio- bzw. pathotypischen Modulationen der Wirkfaktoren welche die fühlbare Diskrepanz zwischen experimentellem Modellstudium und effektivem Behandlungserfolg ausmachen. Die Zellmembran der Schleimhaut unserer Verdauungswege bildet die konstante funktionelle Barriere für den Stoffwechsel der Trinkquellenelektrolyte und auch des Quellwassers selbst. Wasservolumen und Wassertemperatur wirken daneben vorwiegend reflektorisch im Sinne unspezifischer Reize sind aber auch darin von nicht minder wichtigem Einfluß auf den Charakter und die spezielle Leistung der Trinkkur. Dieser Effekt sei nicht vergessen wenn auch im Folgenden nicht weiter untersucht. Für die Belange der Trinkkur sind es vor allem 3 Kationen und 3 Anionen die in neunfacher Kombination die Hauptcharakteristik der Heilwässer abgeben nämlich Na+ Ca++ und Mg++ sowie Cl- HCO3- und SO4--. Speziellere Quellzutaten insbesondere Spurenstoffe seien hier außer Acht gelassen; von den Quellgasen sollen nur CO2 und H2S Berücksichtigung finden da sie in enger biochemischer Relation zu den erwähnten Elektrolyten stehen. Von der Elektrolytbilanz her lassen sich Heilquellen in solche mit nicht resorbierbaren schlecht resorbierbaren und leicht resorbierbaren Elektrolyten einteilen die entweder zu einer negativen oder einer positiven Elektrolytbilanz führen d. h. entweder zu einer stärkeren Ausschwemmung von Mineralien oder zu einer stärkeren Anreicherung als ihrer Zufuhr durch die Trinkkur entspricht. Dieser letztgenannte Vorgang wird auch häufig mit dem Begriff "Transmineralisation" belegt. Da jedoch Elektrolyt- und Wasserstoffwechsel im Sinne der Isotonie Isohydrie und Isoionie prinzipiell unabdingbar verknüpft sind und temporäre Störungen ihres Gleichgewichtes die auslösenden Momente entsprechender kybernetischer Mechanismen darstellen ist die Vorstellung echter "Transmineralisation" nicht aufrechtzuerhalten. Hierunter kann nur ein wirklicher Austausch von Ionen verstanden werden etwa der Ersatz von Na gegen Li. Die Auslösung bestimmter metabolischer Transaktionen des Organismus sind hierunter im strengen Sinne nicht zu rechnen obschon sie einen wesentlichen therapeutischen Effekt darstellen können. Eine begriffliche Differenzierung wird hier zukünftig notwendig werden. So gut sich - insbesondere seit der Möglichkeit der Isotopenforschung - die biochemische Verhaltensweise einzelner Elektrolyte Spurenstoffe oder Quellgase darstellen und verfolgen läßt so kompliziert wird der Überblick über das "Mineralbukett" der Heilwässer und seiner Biochemie. Wird durch die verschiedensten Auftreffbedingungen der Elektrolyte auf den Organismus bereits deren Wirksamkeit verändert so tritt hierzu noch die Einflußnahme anderer mineralischer oder gasförmiger Begleitstoffe die geeignet sind in wiederum individuell multipel konditionierter Form das Wirkbild zu verschleiern. Schon die osmotische Situation oder die etwa aus der Hofmeisterschen Reihe ablesbaren Resorptionsdifferenzen werden im Mineralgemisch unübersichtlich. Außerdem interessiert die Physiochemie all dieser Stoffe den Therapeuten jedoch erst dann wenn ihre Zufuhr durch eine Trinkkur quantitativ die Aufnahme durch die Nahrung überschreitet oder über den Mechanismus der sog. Transmineralisation physiologische Grenzen durchbricht. Die Trinkkur nimmt deshalb eine Mittelstellung zwischen Diät und Pharmakotherapie ein. Beschränken wir uns entsprechend dem Generalthema unseres Kongresses auf die Betrachtung der Gegebenheiten bei denen der obligate Zufuhrweg der Trinkkur nicht nur Resorptions- sondern zugleich Therapieareal für die Heilquellenbehandlung darstellt so läßt sich etwa folgendes praktisch Wichtige zusammenstellen: Analog der von Katsch und Pickert noch 1953 als am wahrscheinlichsten bezeichneten Vorstellung von der Salzsäurebildung im Magen aus dissoziierter H2CO3 und NaCl im Sinne einer Membranhydrolyse oder eines adsorptiven Vorganges führt die Mischung von Mineralwasser mit Magensaft über Bikarbonat- und Sulfidbildung zu H2S und Kohlensäure; beide Gase werden rasch resorbiert und führen zur vasodilativ bedingten Hyperämie. Sowohl Wasser als auch Na+ Cl- und K+ werden im Magen vorwiegend im Antrumbereich aufgenommen; allerdings mit sehr kleiner Quote und quantitativ abhängig vom Sekretionsausmaß des Magens. Bikarbonat und Cl- sind daher für den Magen und Darm die hauptsächlich interessierenden Anionen; desgleichen Na+ weniger aber Ca++ und Mg++ als Kationen. Dabei gilt daß einwertige Kat- bzw. Anionen etwa quantitativ gleiche zweiwertige dagegen unterschiedliche Resorptionsbedingungen aufweisen nachweisbar besonders von Mg++ und Ca++ und dem zweiwertigen SO4-- das als am Ende der Hofmeisterschen Reihe plaziert nur schwer resorbiert wird. Dabei soll der Darm selektiv die einwertigen Ionen gegenüber den zweiwertigen bevorzugt passieren lassen. Die Wirkung von NaCl- und NaHCO3-Wässern im Magen zu verstehen erfordert aber ein konsequentes Umdenken von der alten in den Pawlowschen Grundkonzeptionen fußenden Reflextheorie auf ein regulatives Funktionsprinzip. Die alte aber noch heute nur zu oft praktizierte Formel: Superazidität verlangt den alkalischen Sub- und Anazidität jedoch den Kochsalzbrunnen ist unhaltbar geworden. Superazidität und Supersekretion sind keine Synonyme. Wir wissen daß Subazidität mit Hypochlorhydrie einhergehen kann es aber nicht muß während z.B. eine Anazidität immer einer Achlorhydrie entspricht ("trockener Magen" Katschs im Extremfall) - das ist die Situation die es zu bedenken gilt und die Katsch mit dem Begriff der "physiologischen Poikilohydrie" charakterisierte. Ca- und Mg-Bikarbonat regen die Magensaftsekretion an Na- und MgSO4 hemmen sie und zwar um so stärker je kohlensäureärmer die Trinkwässer sind. Große Glauber- oder Bittersalzmengen oder deren hohe Konzentration im Heilwasser führen allerdings zum gegenteiligen Effekt dem sog. "acid rebound"; hierin dem NaHCO3 ähnlich. Kommt dieser säurelockende Effekt beim Sulfat über das Wirkfeld des Duodenums zustande so beim NaHCO3 nach Schmidt-Kessen über die CO2-Entstehung im Magen selbst in typischer Abhängigkeit von Bikarbonatmenge Azidität und Sekretomotorik des Magens. Jeder solche lokale Eingriff in den Magenchemismus bedeutet weiterhin eine Veränderung der intermediären Transmineralisation vornehmlich des NaCl-Stoffwechsels des Magens und des Gesamtorganismus. Das durch Trinkmenge und Kohlensäure-Bikarbonat-Konzentration letztlich im Magen eintreffende saure Potential der Trinkquelle und dessen Differenz zum Magen- pH-Wert entscheiden die effektive "Alkalität" der Trinkquelle. Eine Alkalität bewirkt im Magen jedoch prinzipiell eine Anregung der Sekretion ebenso wie H- oder NaCl-haltige Wässer sie hemmen. Alkalische Säuerlinge als Säurelocker und Kochsalzwässer als Säuredämpfer - das ist mithin ein der alten vorhin zitierten Faustregel genau entgegengesetzter Aspekt. Sicher ist wohl daß die Kohlensäure über die Karboanhydrase der Belegzellen dem Katalysator der reversiblen Kohlensäure- bzw. Bikarbonatbildung aus CO2 und OH bzw. H2O auf die HCl-Bildung einwirkt und die zur Neutratisation der OH-Ionen nötige Kohlensäure liefert. Obschon diese Karboanhydrase in großem Überschuß vorhanden ist vermag eine weitere Zugabe von CO2 den fraglichen Prozeß offenbar noch quantitativ zu steigern. Die bei diesem Karboanhydraseprozeß freiwerdenden H-Ionen vermögen vielleicht auch ihrerseits zu einer wahrscheinlich aber geringen echten Kaliumdiurese durch K-Ionenrückresorptionshemmung zu führen. Bei Personen mit Subazidität ist das Speichel- und Magensaftnatrium erhöht parallelgehend mit einer Hemmung der Karboanhydrase; ein Befund der die Achlorhydrie des Magens als System- bzw. "Betriebs"störung höherer Ordnung nicht nur als Lokalerkrankung rubrizieren läßt. Alle solchen Elektrolytverschiebungen zu denen sich beispielsweise noch die Resorption von Ca++ und SO4-- im Darm gesellen führen zu konsekutiven allerdings nur momentanen Änderungen des Säuren-Basen-Gleichgewichtes. Normalerweise werden aber solche Störungen in einem hohen Grade vom Organismus toleriert und reguliert dank der spezifischen Puffersysteme des Blutes. Wir können berechnen daß fast 2 l einer 0 1 n Säure notwendig wären den Blut-pH-Wert um eine Einheit zu verschieben. Auch die renale Regulationsfähigkeit wird selbst durch extreme z. B. diätetisch erzwungene Belastungen des Säuren-Basen-Gleichgewichtes bei weitem nicht erschöpft wenn auch ein alkalischer Harn als paradoxe Reaktion bei der hyperkaliämischen Azidose und ein saurer bei hypokaliämischer Alkalose auftritt. Eine verstärkte Zufuhr von K+ führt ja im Austausch gegen H+- und/oder Na+-Ionen in der Zelle zur extrazellulären Azidose und intrazellulärer Alkalose et vice versa. Der säuernde Effekt von H2S-Wässern beruht auf der Oxydation von Schwefel zu SO4-- und H+ bei Kalziumchloridwässern darin daß Cl-- gegen Ca++ viel stärker resorbiert und gegen Bikarbonat getauscht wird also ein Alkaliverlust auftritt. Fest steht jedoch daß die Erzeugung einer nachweisbaren und klinisch in Erscheinung tretenden Alkalose oder Azidose durch Diät unter physiologischen Umständen nicht gelingt. Man wird solches demnach auch kaum von einer Trinkkur erwarten können. Im Falle pathologischer Verschiebungen zur alkalischen oder - was viel häufiger auftritt - zur sauren Seite wird es dagegen zu erwarten und möglich sein gegenregulierend zu wirken worauf sich die Behandlung des Diabetes mit erdig-alkalischen Wässern ja auch konsequenterweise aufbaut. Der reduktive Umbau von SO4-- in Sulfide läßt eine perorale Schwefelzufuhr sowohl von Sulfat- als auch Sulfidwässern bzw. durch H2S selbst zu. Die Schwefelübernahme erfolgt vermutlich durch direkten Einbau des S in Thiogruppen der Zelleiweißkörper. Auch die SO4-Resorption im Darm ist quantitativ unterschiedlich und zudem regional verschieden. Muskuläre Tonusänderungen am Darm durch direkte SO4- Sulfid- oder Magnesiumwirkung sind offenbar dabei nicht im Spiele. Die Berücksichtigung des getrunkenen Wassers ist nicht nur von dessen Volumen her notwendig sondern eben auch von seiner Eigenschaft als biochemisches Agens das einen großen Regulationsvorgang unter Mitwirkung des Gewebenatriums der Nebennierenrinde (Aldosteron) und der Hypophyse (Adiuretin) schon nach einem Schluck in Szene setzt. Dieser in äußerster Beschränkung vollzogene Einblick in den Elektrolytstoffwechsel speziell der Trinkkuren und begrenzt auf das Gastroenteron kann aber keinesfalls ohne einen weiteren Aspekt abgeschlossen werden der unseres Erachtens so nötig ist wie der Kontrapunkt zum Thema einer Fuge: das ist der sinnvolle Einbau der Trinkkur in die Rhythmik des Stoffwechsels des Kranken insbesondere zur Nahrungsaufnahme. Das bedeutet 1. daß alle Elektrolytbilanzen am Kranken nicht nur am Gesunden studiert und 2. daß dabei die Mineralquelle als therapeutische Einheit beobachtet wird. Wie exakt die Applikation einer Heilquellendosis zum Zeitpunkt der Mahlzeit und damit zur Motorik Motilität und Sekretionsleistung des Verdauungsapparates zu koordinieren ist zeigen besonders schön die diesbezüglichen Studien von Schmidt-Kessen. Aufgabe dieses Vortrages war es aber nicht die Prinzipien der Trinkkurbehandlung im einzelnen zu erörtern sondern einen Überblick über den Stand der Elektrolytstoffwechselfrage zu geben. Dieser Überblick fällt nicht nur wegen der Kürze der Redezeit knapp aus. Es ist schwer aus der Elektrolytliteratur konkrete d.h. für die Praxis unmittelbar verwertbare Beziehungen zur Balneotherapie herauszufinden. Erfreulicherweise ist aber die ärztliche Empirie der naturwissenschaftlichen Fundierung auch hier eine gute Strecke voraus - obschon zu unserem Mißfallen so doch zum Nutzen der Heilungsuchenden. Literatur DAVENPORT H. W.: Fed. Proc. 11 715 (1952). DAVIES R. E. und J. ROUGHTON: Biochem. J. 42 618 (1948). HOFMEISTER W. und H. ALBRECHT: Z. klin. 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