Experimentelle Untersuchungen zum Studium von Therapieeffekten bei sog. "kombinierter Balneotherapie" 3.: Mitt. Untersuchungen mit Neoeserin |
Journal/Book: Fund. baln.-bioclim. 2 (1962) 93-100. 1962;
Abstract: Kardiologisch-balneologische Abteilung des Instituts für Kur- und Bäderwesen und für Physikalische Therapie Bad Elster (Direktor: o.a. Doz. Dr. habil. H. Jordan) Die dritte Versuchsreihe** verfolgte das Ziel den Einflug einer Bäderkur auf eine histiotrope Kreislauffunktionsprüfung im akuten Versuch zu klären. Neoeserin (N) ist chemisch Trimethyl-(3-dimethylcarbamidsäurephenylester-) ammonium-bromid und damit als Cholinesterasehemmstoff wirkungsidentisch mit Physiostigmin resp. Prostigmin. Methodisch glich der Versuchsplan dem der Pholedrinreihe (2. Mitt.**). Die 25 Probanden führten jeweils am Beginn jeder Kurwoche einen Test mit 0 5 m N intramuskulär injiziert durch. Gemessen wurden dabei Blutdruck Herzfrequenz Systolendauer sowie die hämodynamischen Werte nach B l u m b e r g e r (1) und H o l l d a c k (2) je vor so wie 5 10 15 20 25 und 30 min. nach der Injektion. Die Ergebnisse wurden varianzstatistisch berechnet (12) (Signifikanzgrenze: p<=0 05). Die varianzanalytische Anlage entsprach sinngemäß den früheren Mitteilungen (6 10). Folgende Abkürzungen wurden verwendet: Ps Pd Pm: systolischer diastolischer mittlerer Blutdruck Fr: Herzfrequenz ASZ: Anspannungszeit ATZ: Austreibungszeit SD: Systolendauer UFZ: Umformungszeit DAZ: Druckanstiegszeit p: Überschreitungswahrscheinlichkeit Ergebnisse Die 7 x 700 Meßwerte einzeln aufzuführen verbietet der Raum. Sie sind jederzeit bei den Verfassern einzusehen. Tabelle 1 führe zunächst summarisch die signifikanten Änderungen der Kreislaufdynamik durch N auf: Tab. 1 ----------------------------------------------------------------------------------------------------- Faktoren Fr Ps Pd Pm Ps-d ASZ UFZ DAZ ATZ SD Versuch ------------------------------------------------------------------------------------------------------ +++ +++ ( +++ ++ ( ( ( +++ +++ Kurverlauf +++ +++ +++ +++ +++ ++ +++ +++ +++ +++ Versuch im Kurverlauf ++ ++ ( ++ + ( +++ ( ( ( ------------------------------------------------------------------------------------------------------ Erläuterung zu Tab. 1: "Versuch": Einfluß des N ohne Berücksichtigung des Kurverlaufes d. h. der Abfolge der (Bäder-)behandlung; "Kurverlauf": Einfluß der Kur(-bäder-)behandlung ohne Berücksichtigung der N-Wirkung; "Versuch im Kurverlauf": Einfluß des Kurgeschehens auf die N-Wirkung im Versuch. Es bedeutet (: p > 0 05 +: p <0 05 > 0 01 ++: p <0 01 > 0 001 +++: p <0 001 Im einzelnen wurde ferner beobachtet: 1. Ps: Absinken im "Versuch" beginnend 5 min. post inj. mit Minimum 20 min. post inj. Absinken im "Kurverlauf" mit Minimum in der III. Kurwoche. Der "Versuch im Kurverlauf" wird dahingehend verändert daß der Ausgangswert vor Versuchsbeginn laufend absinkt und das Absinkminimum zeitlich bis auf 5 min. post inj. vorverlegt wird wobei dies am ausgeprägtesten in der III. Kurwoche geschieht. 2. Pd: Im "Versuch" nicht signifikant verändert. Im "Kurverlauf" sinkt der Ausgangswert vor Versuchsbeginn laufend ab. 3. Ps-d: Verhalten im "Versuch" analog Ps und Pd. Verhalten im "Kurverlauf" analog Ps 4. Pm: Verhält sich wie Ps insbesondere auch hinsichtlich des "Versuches im Kurverlauf". 5. Fr: Absinken im "Versuch" mit Minimum zwischen 25 und 30 min. post inj. Absinken im "Kurverlauf" mit Minimum in der III. Kurwoche. Frequenzsenkung im Versuch der III. Kurwoche am konsequentesten im Versuch der IV. Kurwoche am stärksten. Die Ausgangswerte vor Versuchsbeginn sinken im Kurverlauf bis zur III. Woche ab. 6. SD: Verlängerung im Verlauf des "Versuches" mit Maximum 25 min. post inj. Im "Kurverlauf" bleiben diese Zunahmen beobachtbar und erscheinen in der II. III. und IV. Kurwoche recht konstant im Versuch einzutreten. Die Ausgangswerte vor Versuchsbeginn sinken im Kurverlauf ab. Berechnungen der Diastolendauer (= Herzperiodendauer-Systolendauer) ergeben eine relative stärkere Verlängerung der Diastolendauer gegen die Systolendauer; ein hämodynamisch bedeutsamer Umstand. 7. ATZ: Zunahme im "Versuch" mit Maximum zwischen 25 und 30 min. post inj. Im "Kurverlauf" Absinken des Ausgangswertes (= Verkürzung der ATZ) analog SD. Der "Versuch im Kurverlauf" zeigt für die ATZ ähnliche Kurventypen wie die SD. 8. ASZ: Im "Kurverlauf" kommt eine Verlängerung zustande mit Maximum in der III. Kurwoche die im "Versuch" nicht beobachtet werden kann. 9. UFZ: Verkürzung (II. und III. Kurwoche) nur im "Kurverlauf". Keine Änderung im "Versuch". Am konstantesten kommt eine Verlängerung der UFZ im Versuch der IV. Kurwoche zustande. 10. DAZ: Verlängerung (II. und III. Kurwoche) nur im "Kurverlauf". Sonst keine sicheren Änderungen. Zusammenfassung der Ergebnisse (Vergleiche hierzu Abb. 1 und 2) 1. N senkt im akuten Versuch (an je 25 Versuchspersonen je 4mal geprüft und insgesamt beurteilt) den arteriellen Mitteldruck vorwiegend auf Kosten des systolischen Druckes und der Amplitude im Zeitraum bis zu 20 min. post inj. Es senkt gleichermaßen die Herzfrequenz wobei sich die Systolendauer weniger als die Diastolendauer verlängert mit ihr auch die isotonische Kontraktionsphase (= ATZ) nicht aber die isometrische. Ohne Abb. 1: Verlaufskurve der einzelnen Meßwerte im "Versuch" (1-7). Angaben in mm Hg bzw. ms; Fr = Herzschläge/min Ohne Abb. 2: Verlaufskurve der einzelnen Meßwerte in der "Kur" (I-IV). Angaben wie Abb. 1 2. Unter dem Gesamteinfluß des Kurgeschehens kommt es (am pharmakologisch sonst unbeeinflußten Organismus) zu einem Absinken des Systemblutdruckes und der Schlagfrequenz des Herzens mit geringer Verkürzung der Systolendauer und der ATZ wobei die isometrische Kontraktionsphase (= ASZ) auf Kosten der Druckanstiegszeit verlängert wird. Die Maxima aller dieser Veränderungen finden sich in der III. Kurwoche mit Ausnahme der der SD welche in der II. Kurwoche liegen. 3. Das Bild des N-Testversuches wird durch das Kur geschehen insofern verändert als a) die versuchsbedingte Senkung des Systemblutdruckes im Verlauf der Kur weniger stark ausgeprägt dafür aber verfrüht beobachtet wird b) die Bradykardiewirkung im N-Versuch in der III. Kurwoche am konsequentesten beobachtet in der IV. Kurwoche aber am stärksten wird und c) die Veränderungen der SD UFZ und ATZ gleichmäßiger und gerichteter werden. Besprechung der Ergebnisse Die Einheitlichkeit der Ergebnisse gestattet eine relativ leichte Synopsis. Druck- und Frequenzsenkung mit relativer Verlängerung der Diastolendauer sind bekannte [Literatur bei (4)] wenn auch nicht konstante Effekte des Cholinesterasehemmstoffes und wurden auch von uns bereits beschrieben (4 5 7). Die Inkonstanz solcher Beobachtungen ist wohl am ehesten die Folge der Tatsache daß es "homogene" (also Sensu constrictu ausschließlich vergleichbare) Kollektive an Versuchspersonen nicht gibt. Gerade unser Arbeitskreis (9 20 21) hat deshalb immer wieder die Notwendigkeit der statistischen Ergebnissicherung betont ohne die vermeidbare Fehlurteile der Beobachtungen entstehen - bleiben doch die unvermeidbaren Fehlurteile auch bei Anwendung biometrischer Methodik noch groß genug. Die relative Verlängerung der Diastolendauer ist dabei für die Ökonomie der Herzarbeit besonders des überlasteten sub- oder insuffizienten Herzens von besonderer Bedeutung worauf S c h u m a n n (17) z. B. bei der Mitralstenosetherapie und S c h i m e r t (16) hingewiesen haben. Daß sich die übrige Herzdynamik nicht wesentlich durch N beeinflussen läßt ist in dieser Blickrichtung besonders bemerkenswert und entspricht unseren früheren Meßergebnissen (4). Interessant ist die histiotrope Effektivität des Kurgeschehens an sich mit Absinken des Systemdruckes Bradykardieneigung und Verlängerung der isometrischen Kontraktionsphase. Wir finden diese Effekte nun bereits in unserer dritten Versuchsreihe wieder konnten sie auch - besonders im Hinblick auf das Verhalten der ASZ - erst kürzlich erneut bestätigen (8) und waren bereits früher auf sie aufmerksam geworden (3 13 14 15 18 19). Immer war es auch etwa die III. Kurwoche die für diese "vagotone Umstimmung" (11) repräsentativ wurde und damit eine allgemeine balneologische Beobachtung erneut stützt. Wir hatten sogar versucht (14 15) aus dieser Erkenntnis mit dem gleichen Cholinesterasehemmer N eine medikamentöse Kupierung unerwünscht starker "Kurreaktionen" zu erreichen; Versuche die auch z. Z. wieder von den Verfassern aufgegriffen wurden. Ein solcher additiver Einfluß der Histiotropie der Kur zur gleichsinnigen Medikamentwirkungen war uns bereits bei unseren Strophanthinversuchen (6) begegnet. Der Anstieg der ASZ bedeutet nun hämodynamisch keineswegs eine Begünstigung der Herzarbeit solange er isoliert auftritt. Im Zuge eines histiotropen Gesamtgeschehens ist eine Verlängerung der ASZ zu erwarten. Auch die verlängerte diastolische Füllungspause muß - entsprechend der modernen Interpretation des ursprünglichen Straub-Starlingschen Gesetzes nicht unbedingt einen positiv inotropen mit anderen Worten ergotropen Effekt bedeuten. Wir bewegen uns hier vermutlich an der Grenze zwischen einer erwünschten weil ökonomisierenden und einer unerwünschten weil zu weit getriebenen histiotropen Umstellung des vegetativen Systems; eine Situation die ihre Parallele etwa in der Kreislaufsituation eines nicht mehr aktiven früher reichlich durchtrainierten Sportlers findet. Es könnte ferner im Sinne des Ausgangswertgesetzes von W i l d e r (22) interpretiert werden daß die Versuche in der II. III. und IV. Kurwoche bei niedrigerem Ausgangswert auch keine so starke Drucksenkung unter N aufweisen. Indessen beweist das Verhalten der Frequenz das Gegenteil. W a g n e r hat das basimetrische Problem der Kureffekte seit langem aufgegriffen und an Hand der Körpertemperatur des Blutdruckes des Körpergewichtes und der Pulsfrequenz statistisch bearbeitet. Der Streuungsvergleich größerer Kollektive ergibt dabei durchaus reelle und faßbare Aussagemöglichkeiten (21). Unsere Nachprüfung dieser Zusammenhänge am kleinen Material dieser Versuchsreihe gestattet eine solche Aussage noch nicht. Wichtig erscheint aber daß die Drucksenkung durch N im Verlaufe der Kur verfrüht auftritt - und auch das spricht zunächst gegen die Ausgangswertregel. Eine zusammenfassende Darstellung dieser Zusammenhänge ist von uns geplant. Folgerungen aus den Ergebnissen 1. Der histiotrope Effekt einer (Bäder-)Kurbehandlung läßt sich durch vorliegende Messungen wiederum bestätigen. Eine vegetative Regulationsprüfung mit einem Cholinesterasehemmstoff die an sich ein markantes histiotropes Verlaufsmuster zeigt wird durch den Histiotropismus der Kur im Typ nicht wohl aber in ihrem pharmakologischen Tempo variiert. 3. Während der pharmakologische Effekt der geprüften Substanz N nur die Regulation des Systemblutdruckes und der Schlagfrequenz des Herzens betrifft führt die "vegetative Umschaltung" durch das Kurgeschehen auch zu einer sichtbaren möglicherweise mehr als nur konsekutiven Änderung der Kardiodynamik über deren Wert als pathognomonisches Zeichen noch klärende Beobachtungen unsererseits laufen. Zusammenfassung Die varianzanalytisch bewerkstelligte Trennung des "Kureffektest" vom spezifisch pharmako-dynamischen Einfluß eines Cholinesterasehemmstoffes auf die Kardiodynamik und den Kreislauf beweist erneut daß dem Kurgeschehen eine histiotrope Umschalttendenz innewohnt die bis in den einzelnen akuten halbstündigen Testversuch an je einem Tag in je einer von vier Kurwochen spürbar wird. Diese Effektaddition verlangt Berücksichtigung bei der Anwendung histiotrop wirksamer Medikamente besonders in der III. und IV. Kurwoche. Literatur 1. Blumberger K. J.: Erg. Inn. Med. 62 424 (1942) 2. Holldack Kl.: Dtsch. Arch. Klin. Med. 198 71 (1951). 3. Jordan H.: Fortb.-Lehrg. Balneol. u. Physik. Ther. Bad Elster 25.10.1956. 4. Jordan H.; Dtsch. Ges. Wes. 10 914 (1955) 5. Jordan H. und H. M. Röttger: Z. inn. Med. 10 866 (1955). 6. Jordan H.: Fund. Balneobioklimatol. 1 303 1960). 7. Jordan H.: Cardiologische Schriftenreihe (im Druck). 8. Jordan H. H. Lachmann und H. Wagner: Z. angew. Bäder- u. Klimaheilk. 7: 525 (1960). 9. Jordan H.: Conf. Biol. Rhythmusforschung 7th Siena 1960. 10. Jordan H. und D. Reinhold: Fund. Balneobioklimatol. 2 85 (1962). 11. Kowarschik: Med. Klin. 53 1117 (1958). 12. Linder A.: Statist. Methoden f. Naturwissensch. Med. u. Ing. Basel 1951. 13. Lühr K.; und H. Wagner: Med.-Meteorol. Hefte 13 (1958). 14. Röttger H.: Arch. exp. Path. Pharmacol. 228 237 (1956). 15. Röttger H. und H. Wagner: Z. inn. Med. 11 721 und 1094 (1956). 16. Schimert; G.: Schweiz. med. Wschr. 81 598 und 643 (1951). 17. Schumann H.: Z. Kreislaufforschg. 43 614 (1954). 18. Wagner H. und F. Bayer: Z. angew. Bäder- u. Klimaheilk. 2 124 (1954). 19. Wagner H. und H. Jordan: Z. inn. Med. 10 94 (1955). 20. Wagner H. und H. Jordan: Angew. Meteorol. 2 169 (1956). 21. Wagner H.: 7th Conf. Biol. Rhythmusforschung Siena 1960. 22. Wilder K. J.: Klin. Wschr. 10 1889 (1931). *Neveserin-isis der Firma ISIS-Chemie Zwickau/Sachsen. - Für die Überlassung der Versuchsmengen sei auch an dieser Stelle verbindlichst gedankt. ** 1. Mitteilung siehe diese Zschr. 1: 303 (1960). 2. Mitteilung siehe diese Zschr. 2: 85 (1962).
Keyword(s): Therapieeffekt medikamentöse Therapie Balneotherapie
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