H. S. Füeßl zum Bräunungskult unserer Tage Hautnah bei Helios

Journal/Book: Münch. med. Wschr. 140 (1998) Nr. 33/34 S. 25. 1998;

Abstract: Prof. Dr. med. N. S. Füeßl Schriftleiter der MMW München. In diesen Wochen werden in deutschen Büros die aus dem Urlaub heimkehrenden Kolleginnen und Kollegen millionenfach mit dem Ausruf begrüßt: "Sehen Sie aber erholt aus!" Selbst wenn sich der so empfangene Mitarbeiter aus vielerlei Gründen miserabel fühlt: wer gebräunt aus dem Urlaub kommt muß einfach erholt sein. Zumindest insgeheim hört fast jeder Urlauber dieses Kompliment gerne schließlich hat er in der Regel viel Geld zur Erzielung dieses zumindest bei der weißen Rasse vorübergehenden Effekts ausgegeben. Sonnenbräune ist in unserer Zeit eine absolut positiv besetzte Eigenschaft mit der Sportlichkeit Jugend Attraktivität Gesundheit Erfolg und Wohlstand assoziiert werden. Sollte man die richtige Bräune in den "schönsten Wochen des Jahres" aufgrund widriger meteorologischer Umstände nicht erzielen so bleibt immer noch die Möglichkeit sich unmittelbar nach der Rückkehr in der Solarkabine oder im Sonnenstudio den passenden Teint zuzulegen ehe man sich den Bekannten zeigt. Wo ein Bedürfnis da wird ihm auch gegen Bares abgeholfen. Da mögen dermatologische Fachgesellschaften vor allzu intensiven Sonnenbädern warnen wie sie wollen der Trend im Urlaub und bei allen sonstigen Gelegenheiten sich mit Wonne Gott Helios hinzugeben ist ungebrochen. Obwohl in Umfragen über 90% der Bevölkerung von den Zusammenhängen zwischen Sonnenbestrahlung und Hautkrebs wissen glauben doch zwei Drittel sie würden gebräunt besser aussehen und bemühen sich 55% aktiv um intensive Bräune sei es im sonnigen Süden oder im Solarium. Das war nicht immer so. Im 18. und 19. Jahrhundert waren die vornehmen Damen in Europa sehr darauf bedacht ihren wächsern-blassen Teint sorgfältig mit einem Parasol zu schützen. Wer damals sonnengebräunt war gab sich unschwer als Angehöriger der im Freien arbeitenden sozialen Unterschicht zu erkennen. Blässe dagegen adelte. Im Zuge der Industrialisierung kehrten sich die Verhältnisse um. Nun verbrachten Proletarier ihren langen beschwerlichen Tag in düsteren Hallen oder im Bergwerk. Die Reichen und Erfolgreichen konnten es sich leisten in exklusiven aufstrebenden Badeorten wie Biarritz Brighton Binz oder Rimini Zerstreuung Der Trend, sich Gott Helios hinzugeben, ist trotz aller Warnungen ungebrochen Erholung Unterhaltung und Gesundheit zu suchen. Als "Trendsetter" profilierte sich der Couturier Coco Chanel mit einem Zitat in der Zeitschrift Vogue: "Die junge Frau von 1929 muß gebräunt sein. Ein goldbrauner Teint ist das Zeichen von Chic." Wer auf sich hielt und es sich leisten konnte nahm ausgiebige Sonnenbäder. Mit der Kreation des Bikinis 1946 durch den französischen Modeschöpfer Louis Reard konnte die moderne Frau von damals noch innigeren Hautkontakt mit Helios aufnehmen. ... ___MH

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