Weiterentwicklung des forced-use-Konzepts bei der Rehabilitation von Patienten mit Halbseitenlähmung |
Journal/Book: DRV-Schriften Band 11/98 Seite 381-382 Interdisziplinarität und Vernetzung 7. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium vom 10. bis 12. März 1997 in Hamburg Tagungsband. 1998;
Abstract: 1Moritz-Klinik Bad Klosterlausnitz 2Institut für Arbeits- Sozial- und Umweltmedizin der Friedrich-Schiller-Universität Jena Das von Taub Wolf und Ostendorf 1980/81 vorgeschlagene Konzept des "forced-use" beinhaltet die Überwindung des "gelernten Nichtgebrauchs" in der Rehabilitationsbehandlung von Patienten mit nervalen Läsionen. Dabei wird der nichtparetische Arm einschließlich der Hand so am Körper des Patienten fixiert daß die betroffene Extremität eingesetzt werden "muß". Die Wirksamkeit dieser Behandlung bei zentraler Arm- und Handparese darf in der Zwischenzeit als gesichert gelten. Entsprechende Studien nach abgeschlossener Spontanremission sind zur Zeit auch im deutschen Sprachraum in Arbeit (Miltner 1996 pers. Mitteilung). Überraschenderweise hat sich dieser plausible Therapieansatz innerhalb der 16 Jahre nicht in der klinischen Praxis durchsetzen können auch nicht für offensichtlich geeignete Patientengruppen mit motorischem Neglect und relativ leichter Handparese. Wir gingen den möglichen Gründen nach und sammelten folgende Erfahrungen: Das Therapiekonzept nach Taub ist nur bei einer 1:1-Betreuung akzeptabel. Die Schienung des nicht paretischen Armes kann vom Patienten nicht selbst an- oder abgelegt werden. Dauer der Schienung ist für 90 % der Wachstunden über 12 Tage vorgesehen wobei an 8 Tagen ein 6-ständiges Motoriktraining durchgeführt wird. Dieses Konzept ist nicht alltagspraktikabel. Eine 1:1-Betreuung und 6 Stunden Motoriktraining pro Tag sind im klinischen Alltag nicht realisierbar. Entscheidender scheint aber daß das ursprüngliche Therapiekonzept den Patienten eine Autonomiereduktion in einer psychischen Situation zumutet in der das Streben nach Autonomiegewinn entscheidend für einen Rehabilitationserfolg ist. Ungünstig erscheint auch die Übersetzung der Methode mit "erzwungener Gebrauch". Sowohl im therapeutischen Team als auch im Patienten baut sich im Erstkontakt eine Abwehr gegen diese Methode auf allein induziert durch die Wortwahl "Zwang". Wir schlagen daher die Übersetzung "forcierter Gebrauch" vor und eine Modifikation des Verfahrens. Unsere Therapiemodifikation läßt sich ohne großen Aufwand in den klinischen Alltag integrieren. Die Unterarmschienung kann der Patient mittels Klettverschlüssen selbständig an- und ablegen. Die Schlüsselstellung nimmt das individuelle Gespräch mit dem Patienten ein. Hier wird der Patient mit "forced-use" vertraut gemacht und gemeinsam über die Details des Vorgehens entschieden. Eigene Untersuchungsergebnisse bei 20 Patienten mit Z.n. zerebralem Insult in einem sequentiellen Design von 10 - 14 Tagen konventioneller Ergotherapie und Krankengymnastik und anschließend 10 - 14 Tage zusätzlicher "forced-use-Therapie" belegen den Effekt des modifizierten Therapieverfahrens. Es waren deutliche Verbesserungen der groben Kraft (Kraftgradmessungen) und der Feinmotorik (Frenchay-Arm-Test nine-hole-peg-Test Schriftproben) zu verzeichnen. Die Mechanismen funktioneller Reorganisation die diesem Effekt zugrunde liegen werden derzeit diskutiert (u.a. Mauritz 1996 Hummelsheim 1995). Im Laufe der Zeit ließen sich die Selektionskriterien verfeinern. Neben dem neurologischen Impairment der betroffenen Hand ist der Grad der Kooperationsfähigkeit der Motivation und Compliance entscheidend. Bei sorgfältiger Selektion und nach entsprechender Abstimmung ist es sogar möglich in Einzelfällen Rollstuhlpatienten und leicht gangataktische Patienten zu behandeln. Auch aphasische Patienten können bei ausreichendem Sprachverständnis einbezogen werden. Voraussetzung ist daß die Patienten die nötige situative Übersicht und Urteilsfähigkeit besitzen. Von zentraler Bedeutung ist die Akzeptanz und Mitarbeit aller Berufsgruppen des therapeutischen Teams. Zusammenfassend wird die Methode des "forced-use" u. E. zu selten in der Neurorehabilitation genutzt. Unsere Modifikation des ursprünglichen Therapiekonzeptes erscheint alltagspraktikabel und kann in das Therapieprogramm einer neurologischen Rehabilitationsklinik integriert werden. Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Einsatz ist die Kooperationsbereitschaft Motivation und Compliance des Patienten. Günstiger als die Übersetzung "erzwungener Gebrauch" erscheint die Bezeichnung "forcierter Gebrauch". Wichtig ist daß der Patient durch die Anwendung dieser Therapiemethode keine Autonomieeinbuße erlebt oder hinnehmen muß sondern auf seinem Weg zur Autonomie unterstützt und gefördert wird. ___MH
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