Alter Wein in neuen Schläuchen? - Das "privatisierte" System der Invaliditätsversicherung in den Niederlanden |
Journal/Book: Deutsche Rentenversicherung 6-7-8/98 S. 507-522. 1998;
Abstract: Zusammenfassung Seit Beginn der 80er Jahre wurde die niederländische Invaliditätsversicherung mehreren grundlegenden Reformen unterzogen. Das System der sozialen Sicherung bei Invalidität hatte in den 80er Jahren zunehmend die Funktion der Arbeitslosensicherung übernommen und gefährdete mit fast einer Million Leistungsempfänger die Wettbewerbsfähigkeit der niederländischen Wirtschaft. Die ersten Reformen in der Mitte der 80er Jahre die vor allem mit dem klassischen Instrument der Leistungskürzungen arbeiteten blieben ohne dauerhaften Erfolg. Seit Beginn der 90er Jahre versuchte der Gesetzgeber mit einem neuen Konzept sozialer Sicherheit das seinen Niederschlag in den Gesetzen zur Eindämmung des Erwerbsunfähigkeitsvolumens vom 26.2.1992 (Wet TAV) zur Eindämmung der Inanspruchnahme der Erwerbsunfähigkeitsregelungen vom 7.7.1993 (Wet TBA) und zur Eindämmung der Ausfallzeiten wegen Krankheit 1.1.1994 (Wet TZ) gefunden hat die Reintegration von Erwerbsunfähigen in den Arbeitsmarkt zu fördern. Das Steuerungsinstrumentarium umfaßte neben einer weiteren Begrenzung der Leistungsansprüche finanzielle Anreize zur Wiedereingliederung von Erwerbsunfähigen in den Arbeitsprozeß auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite die Abschaffung des Berufsschutzes und die verstärkte Inpflichtnahme der Arbeitgeber bei der Prävention von Erwerbsunfähigkeit und bei der Reintegration von erkrankten Arbeitnehmern. Unter den Vorzeichen eines sozialpolitischen Paradigmawechsels wurden seit 1994 weitere Reformen der Arbeitsunfähigkeits- und der Invaliditätsversicherung mit dem Ziel einer Neuverteilung der Verantwortlichkeit von Staat und Gesellschaft diskutiert. Diese Diskussionen haben ihren Niederschlag im Gesetz über die Ausdehnung der Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeber (Wulbz) und im zum 1.1.1998 in Kraft getretenen Gesetz "Beitragsdifferenzierung und Marktwirkung in der Erwerbsunfähigkeitsversicherung" vom 24.4.1997 (Wet Pemba) gefunden. Das Kernstück dieser Reform bildet die teilweise Privatisierung der Sicherung bei Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit. Im Rahmen der Arbeitsunfähigkeitsversicherung geschah dies durch die Verlängerung der Lohnfortzahlungspflicht auf ein Jahr. Der Arbeitgeber kann sich gegen die daraus entstehenden Kosten bei privaten Versicherungsunternehmen rückversichern. Im Rahmen der Erwerbsunfähigkeitsversicherung wurden Möglichkeiten für ein auf die ersten fünf Jahre der Erwerbsunfähigkeit begrenztes opting-out aus dem staatlich organisierten sozialen Sicherungssystem für die Arbeitgeber mit der Option einer Versicherung bei privaten Versicherungsunternehmen geschaffen. Sie werden ergänzt durch die Beitragsdifferenzierung nach dem Invaliditätsrisiko der Betriebe. Das Vertrauen des Gesetzgebers in die Steuerungskräfte des Marktes ist jedoch nicht grenzenlos wie nicht nur die Flankierung der Privatisierung durch Instrumente zur Begrenzung der Risikoselektion durch den Arbeitgeber sondern auch die Begrenzung der opting-out-Option auf einen Teil des Invaliditätsrisikos zeigen. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die rechtliche Formgebung des niederländischen Invaliditätssicherungssystems durch die genannten Reformen insbesondere über den sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich die Finanzierung die Leistungsvoraussetzungen und Leistungen und die Organisation der niederländischen Invaliditätsversicherung. ___MH
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