Die Alterssicherung in Mittel- und Osteuropa - Herkunft Reformbedarf und aktuelle Entwicklungen |
Journal/Book: Deutsche Rentenversicherung 5-6/96 S. 367-375. 1996;
Abstract: Interesse an Mittel- und Osteuropa Das Interesse an den sozialpolitischen Entwicklungen in den mittel- und osteuropäischen Staaten (fortlaufend MOE-Staaten genannt) hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt. Den Anstoß dazu gaben zunächst die umfassenden generellen politischen Veränderungen seit 1989 und 1990. Hinzu kommt aber inzwischen die politische Absicht zu einer Erweiterung der Europäischen Union um eine Reihe dieser Staaten. Als erster Schritt auf diesem Weg sind bisher mit den meisten MOE-Staaten Assoziierungsverträge geschlossen worden die als Europa-Abkommen bezeichnet werden1. Aus sozialpolitischer Perspektive ist dabei besonders bemerkenswert daß in diesen Abkommen eine Zusammenarbeit im sozialen Bereich zwischen den EU-Staaten und den jeweiligen Partner-Staaten vereinbart ist. Dazu gehört z.B. die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit für Wanderarbeitnehmer. Im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sollen die "politischen Maßnahmen ... den Erfordernissen einer langfristig tragbaren und harmonischen Sozialentwicklung Rechnung [tragen]".Die Voraussetzung dafür daß eine solche Zusammenarbeit gelingt ist selbstverständlich die Kenntnis des jeweiligen anderen Systems. Es ist deshalb für die weitere politische und rechtliche Entwicklung der europäischen Integration wichtig sich mit den Systemen der sozialen Sicherung in den MOE-Staaten zu beschäftigen. Traditionen der Alterssicherung in den MOE-Staaten Die formalen Alterssicherungssysteme haben sich im Zuge der Industrialisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Die MOE-Staaten waren seitdem zwei wesentlichen Einflüssen auf ihre Sozialpolitik ausgesetzt. Dies ist zum ersten der Einfluß der Bismarck'schen Konzeption einer Sozialversicherung die zunächst im Deutschen Reich entwickelt und in der Form von Krankenversicherung (1883) Unfallversicherung (1884) und Alters- und Invalidenversicherung (1889) implementiert wurde. Das Sozialversicherungsmodell hat sich in die mittel- und osteuropäischen Staaten zum einen direkt wie in Polen zum anderen indirekt über die Adoption in der damaligen österreich-ungarischen Doppelmonarchie etwa auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik und Sloweniens ausgebreitet. Ungarn hatte innerhalb der Doppelmonarchie auf dem Gebiet der Sozialpolitik eine eigene Gesetzgebungsautonomie und führte Kranken- und Unfallversicherung ein; zur Einführung einer Altersversicherung kam es aber vor dem Ersten Weltkrieg nicht2. Diese Entwicklungslinie wurde abgebrochen als diese Länder nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs direkt wie die baltischen Staaten oder indirekt wie die Staaten Ost- und Südosteuropas in den Einflußbereich der Sowjetunion gerieten. In der Sowjetunion hatte sich seit der Oktoberrevolution von 1917 schrittweise ein neues Konzept von Sozialpolitik etabliert das die Rolle des Staates deutlich stärker betonte. Im Laufe der Nachkriegsentwicklung haben die MOE-Staaten diesen sowjetischen Prototyp den man vielleicht als RGW-Modell bezeichnen könnte mehr oder minder vollständig übernommen. ... 1 Siehe z.B. Europaabkommen (1993). 2 Vgl. dazu ausführlich Eichenhofer (1995) und die dort angegebene Literatur. ___MH
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