Die Entwicklung des Heilbäderwesens unter der Last vordergründiger vorurteilsvoller Wertungen und Alternativen

Journal/Book: Heilbad & Kurort 47 (1995) 9/10 S.211-216. 1995;

Abstract: Dr. med. Christoph Kirschner Präsident des Deutschen Bäderverbandes Bonn Die Kompliziertheit menschlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse verführt Menschen und Gruppen immer wieder dazu das Leben in seiner Vielfalt und lebenspezifischen Veränderungsdynamik grob und im Hang zum Gewohnten in einfache und vordergründige Kategorien und Alternativen zu ordnen. Bei der Diskussion von Entwicklungen steht dann häufig nicht die realitätsnahe differenzierte Beurteilung der Sache im Vordergrund sondern die Auseinandersetzung ob Entwicklungstendenzen z. B. in der Politik parteipolitisch "links" oder "rechts" einzuordnen seien oder konservativem bzw. progressivem Denken entsprechen würden. Kurz gesagt: Individuelle und kollektive klischeehafte Deutungsmuster lenken von der Sache durch Ideologisierung ab und erschweren realitätsnahe Problemlösungen in dem Interessenlagen Identitätsprobleme und Abgrenzungsstrategien von Menschen Gruppen Parteien und Institutionen vor die Bewältigung der Probleme gestellt werden. In der laufenden Gesundheitsstrukturreform in den Planspielen vor der 3. Stufe wird natürlich auch intensiv und berechtigt nach der Stellung der Kurortmedizin im Gesundheitswesen und nach der Funktion der Heilbäder und Kurorte in der heutigen Gesellschaft gefragt. Die Diskussion zeigt nun auch wieder deutlich daß vordergründige Deutungsmuster der Kur nach traditionellen gesellschaftlichen Vorstellungen von gestern im Spannungsfeld vorurteilsvoller Alternativen im Vordergrund stehen und nicht in erster Linie die gegenwärtige Wirklichkeit der Heilbäder und Kurorte und der Kurortmedizin nach der dynamischen Entwicklung des Heilbäderwesens und ihres Selbstverständnisses besonders in den letzten 40 Jahren. Vermutungen von Mißbrauch und Wertungen von Randerscheinungen die noch nicht einmal kurtypisch sind verschleiern die Diskussion über die Stellung der Kurortmedizin im Gesundheitswesen und über die besonderen Aufgaben auf Grund der Therapiemethoden eines ganzheitlichen Funktions- Regulations- und Kompetenztrainings im Sinne einer Adaptationstherapie. Fehlerhafte Einschätzungen erschweren Entwicklungen der Kurortmedizin Interessenbedingte fehlerhafte Wertungen mit der Konsequenz falscher Alternativen außerhalb und innerhalb des Heilbäderwesens die die Entwicklung der Kurortmedizin und die sinnvolle Integration in das Gesundheitssystem erschweren sind z. B.: - Zwischen Kur und Rehabilitation bestehe ein grundsätzlicher Unterschied. - Ambulante Kuren würden auf der Struktur der "Kurmittelkur" der Vergangenheit basieren nur stationäre Kuren entsprächen den Erfordernissen der Rehabilitation. - Die klassische Kur sei rein durch passive Therapieverfahren bestimmt die moderne Kur durch aktive Verfahren. - "Passive" Verfahren würden vorwiegend nur das Befinden verbessern aktive Verfahren würden erst die Therapieeffizienz sichern. - Nicht die Kur sondern nur die Rehabilitation sei ganzheitlich ausgerichtet. - Modernisierung der Kur bedeute Klinifizierung der Kur. - Psychologisierung der Kur bedeute eine Abwertung der ortsgebundenen Kurmittel. - Ein Gegensatz zwischen Kurortmedizin und "Schulmedizin" sei anzunehmen. - Die Medizin außerhalb der Kurorte sei grundsätzlich naturwissenschaftlich abgesichert die Kurortmedizin sei eine alternative Erfahrungsheilkunde ohne ausreichendes wissenschaftliches Fundament. - Krankenbehandlung und Erholung seien Gegensätze. - Kurortmedizinische Behandlung und erlebnisorientierte Strukturen des Angebotes der Heilbäder und Kurorte müßten getrennt werden. - Wohnortferne Rehabilitation in Heilbädern und Kurorten und wohnortnahe Rehabilitation seien unter Systemgesichtspunkten alternativ zu sehen. - Die Kurantragsteller seien nicht vorwiegend chronisch Kranke sondern problematische Mitarbeiter bei denen ein Urlaubsbegehren vor den Heilungs- und Therapieerwartungen durch Kuren rangiere usw. . . .

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