Tötung auf Verlangen - aus ärztlicher Sicht - |
Journal/Book: Z. ärztl. Fortbild. 87 (1993/Heft 1) 36-41. 1993;
Abstract: Professor Dr. med. H. Heimchen Direktor der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik Freie Universität Berlin I. Einleitung Nach geltendem deutschen Recht einschließlich der "Richtlinien für die Sterbehilfe" der Bundesärztekammer in der Fassung des letzten Entwurfes vom 8. 3. 1991 ist Tötung auf Verlangen unzulässig und strafbar. Obwohl damit die rechtlichen Grenzen ärztlichen Handelns klar erscheinen erübrigt sich eine ärztliche Sicht des Problems aus mehreren Gründen keineswegs: 1. verweist der auf dem Deutschen Juristentag 1986 von Juristen und Ärzten vorgelegte Alternativentwurf zur Sterbehilfe auf abweichende rechtliche Auffassungen (Baumann et al. 1986 Lauter et al. 1988) und in mehreren europäischen Ländern werden andere Lösungen bereits toleriert die womöglich europäisches Recht werden wie ein Antrag im europäischen Parlament zeigt. Nach diesem (von der holländischen Abgeordneten Van Hemeldonck eingebracht und mit knapper Mehrheit von 16 gegen 11 Stimmen - bei 3 Enthaltungen - angenommenen) Entschließungsantrag des Ausschusses für Umweltfragen Volksgesundheit und Verbraucherschutz im Europäischen Parlament vom 25. 4. 1991 "muß" die Forderung eines Kranken auf Beendigung seines Lebens unter definierten Bedingungen "befriedigt werden". Es ist nicht zu verkennen daß die Argumente dieser von der Gesetzeslage in Deutschland abweichenden Rechtsauffassungen nicht ohne Wirkung auf die Judikatur sind. Auch haben die Beiträge von Wassermann und Schreiber in diesem Band deutlich gemacht daß die rechtlichen Vorgaben so unscharf und in sich inkonsistent sind daß sie dem Arzt nicht einmal einen eindeutigen Orientierungsrahmen für den unverzichtbaren Ermessungsspielraum bieten innerhalb dessen er seine erforderlichen Entscheidungen verantwortbar treffen muß. 2 ist dies nur ein Hinweis darauf daß rechtliche Problernregulierungen vom gesellschaftlichen Kontext (via Legislative und Judikatur "im Namen des Volkes") sowie seinem Wandel in der Zeit abhängen - und dies gilt ganz ausgesprochen für das Problem der Selbsttötung (Battin 1987). Das Problem bedarf deshalb einer eigenen ethischen Beurteilung. Auch sie unterliegt jedoch den gleichen Abhängigkeiten und zwar umso stärker je utilitaristischer sie ist - wobei übrigens nicht aus dem Auge verloren werden darf daß eine reine Gesinnungsethik ebenfalls ins Inhumane führen kann (Wuermeling 1984). 3. und vor allem ist damit das Problem daß Kranke von Ärzten ihre Tötung verlangen nicht aus der Weit geschafft. Vielmehr gewinnt es an Brisanz. Ein Indikator dafür ist die Tatsache daß eine Anweisung zur Selbsttötung im letzten Jahr innerhalb weniger Wochen in den USA die Spitze der Bestsellerliste übernahm. Suizide kranker alter Menschen werfen Schlaglichter wenn es sich um bekannte Persönlichkeiten wie den Schriftsteller Arthur Koestler oder den Psychoanalytiker Bruno Bettelheim handelt. Editorials zum Thema erscheinen in führenden Fachzeitschriften (Conwell et al. 1991 Finkel 1991). Meinungsumfragen in den USA deuten eine zunehmend positivere Einstellung zum assistierten Suizid und zur Euthanasie an (Wanzer et al. 1989 Cassel et al. 1990 Karel 1991). Diese Dynamik wird bestimmt - und durch ein negatives Altersstereotyp ("Ageism") noch akzentuiert - zum einen durch die Frage nach der Qualität bzw. der Last eines durch schwerste Krankheit gezeichneten Lebens das weiterzuleben die moderne Medizin durch Lebenserhaltung und -verlängerung möglich macht zum anderen durch die zunehmende Anerkennung des Grundrechts der individuellen Selbstbestimmung (Cassel et al. 1990). (In Holland beeinflußt ärztliches Handeln den Todeszeitpunkt durch optimale Palliativtherapie oder Beendigung hoffnungsloser Lebensverlängerung in mehr als 1/3 der jährlichen 130000 Todesfälle in immerhin 1 8 % aller Todesfälle durch aktive Euthanasie (siehe Beitrag Admiraal in diesem Band); in Nordamerika sollen bereits mehrere 10000 Menschen ... Stö_
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