CHANCEN DER GESUNDHEITSFÖRDERUNG BEI ERFASSUNG VON GESUNDHEITSRISIKEN AUS DER UMWELT AM BEISPIEL EINES RADONMESSPROGRAMMS |
Abstract: Vom Institut für Medizinische Balneologie und Klimatologie der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München genehmigte Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Medizin 1993 vorgelegt von Dr. phil. Barbara P. Hazard aus New York City ZUSAMMENFASSUNG Im Rahmen eines im Jahre 1990 für die südlichen Bezirke der damaligen DDR regional angelegten Radonmeßprogramms wurden in September 1990 auch in der Ortschaft Schlema Kreis Aue Südsachsen Radonmessungen vorgenommen. Im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit der damaligen BRD und in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Strahlenschutz (damalige BRD) und dem Staatlichen Amt für Atomsicherheit (SAAS) der damaligen DDR wurden diese Messungen unter Anleitung von Mitarbeitern des Fachgebiets für Radioaktivitätsuntersuchungen des Instituts für Wasser- Boden- und Lufthygiene (WaBoLu) des Bundesgesundheitsamtes (BGA) durchgeführt. Bei der Planung der Messungen in Schlema hat die Autorin mitgewirkt; sie war für die Durchführung vor Ort verantwortlich. Zum Zeitpunkt des geplanten Beginns der Radonmessungen in diesem Ort war die örtliche Bevölkerung bereits stark beunruhigt. Presse- und Fernsehberichte hatten in den vorangegangenen Monaten seit der "Wende" im November 1989 immer wieder in z.T. unseriöser und unsachlicher Weise auf die gesundheitliche Gefährdung der in dieser Region lebenden Bevölkerung hingewiesen. Da die örtliche Bevölkerung bis zur "Wende" von offizieller Seite kaum Informationen über Radon - weder über die möglichen gesundheitlichen Folgen für die Allgemeinbevölkerung noch über die tatsächlich vorhandenen Radonkonzentrationen - erhalten hatte wurden diese Meldungen mit besonderer Aufmerksamkeit aufgenommen. Zugleich fehlte es der Bevölkerung sowohl an Grundkenntnissen über Radon als auch an Erfahrungen im Umgang mit einer "freien Presse" um diese Meldungen kritisch zu werten und sie ins sachlich richtige Licht zu setzen. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Beunruhigung stellte sich der Autorin für die Ortschaft Schlema die Aufgabe sich nicht nur mit dem Radonproblem zu befassen sondern auch mit dem Problem der Angst vor den gesundheitlichen Folgen durch Radon. Es wurde davon ausgegangen daß eine präventiv-ausgerichtete Umweltmedizin - wie gesundheitsfördernde Maßnahmen bezüglich individuell beeinflußbare Gesundheitsrisiken generell - nicht nur eine sondern zwei Aufgaben hat: Zum einen soll die Bevölkerung vor möglichen negativen gesundheitlichen Folgen von Umweltschadstoffen geschützt werden. Bei Schadstoffen deren Exposition individuell beeinflußbar ist muß zur Erfüllung dieser Aufgabe zu freiwilligem Ergreifen von angemessenen und wirksamen gesundheitsschützenden Maßnahmen motiviert werden. Ein erster Schritt zur Schaffung einer solchen Motivationslage ist das Aufmerksammachen auf ein Gesundheitsrisiko. Dies erfordert die Vermittlung von diesbezüglichen Informationen. Auf der anderen Seite soll die präventiv-ausgerichtete Umweltmedizin jedoch auch die Bevölkerung vor den möglichen negativen gesundheitlichen Folgen schützen die gerade durch die Vermittlung derartiger Informationen entstehen können. Durch Information hervorgerufene sehr starke Ängste die Ober das Maß hinausgehen welches fair das freiwillige Ergreifen von gesundheitserhaltenden Maßnahmen notwendig ist und bei sachlicher Betrachtung des Ausmaßes der tatsächlichen gesundheitlichen Gefährdung berechtigt waren können nicht nur zu unangemessenen und übertriebenen gesundheitsschützenden Verhaltensweisen führen; sie können auch selbst krank machen und sind aus diesem Grunde für eine präventiv-ausgerichtete Umweltmedizin möglichst zu vermeiden. Der Fall Schlema verkörpert auf "Mikro"-Ebene die doppelte Herausforderung für gesundheitsfördernde Maßnahmen im Rahmen einer präventiv-ausgerichteten Umweltmedizin: Wie soll auf ein Gesundheitsrisiko aus der Umwelt aufmerksam gemacht werden ohne daß dabei unerwünschte übermäßig starke Ängste hervorgerufen werden? Die Strategie die in diesem Fall eingeschlagen worden ist sollte im Hinblick auf die Erreichung dieses "doppelten Ziels" überprüft werden. Sollte sie sich als in diesem Sinne erfolgreich erweisen so sollte auch nach den Ursachen für den Erfolg gesucht werden. Somit könnten Schlüsse für die Umweltmedizin - sowohl für die Diagnostik als auch für die Planung künftiger gesundheitsfördernder Maßnahmen auf individueller wie auch auf kollektiver Ebene gezogen werden. Dies wäre auch für gesundheitsfördernde Maßnahmen im Hinblick auf individuell beeinflußbare Gesundheitsrisiken generell von Bedeutung. Da die Ängste vor Gesundheitsschaden durch Radon die unter weiten Teilen der Bevölkerung in Schlema vor Beginn der Radonmessungen beobachtet werden konnten durch Informationen entstanden waren galt es auch die Ursachen für den Erfolg der eingeschlagenen Strategie hauptsächlich in den im Rahmen dieser Strategie vermittelten Informationsinhalte sowie in der Form ihrer Vermittlung zu suchen. Als zusätzlicher beitragender Faktor wurden persönliche Einstellungen Erfahrungen und Verhaltensweisen bei der individuellen Aufnahme und Verarbeitung von Informationen gesehen. Die gewählte Strategie für die Durchführung der Radonmessungen in Schlema zeichnete sich durch zwei Besonderheiten aus: Radonmessungen in der Außenluft sowie in den Häusern sollten flächendeckend für die Ortschaft erfolgen damit sich möglichst alle Einwohner ein Bild über ihre eigene persönliche Exposition machen konnten. Zweitens sollten die Probennahmen anhand eines einfachen Verfahrens von 13- bis 17-jährigen Jugendlichen durchgeführt werden. Es wurde damit die Hoffnung verbunden daß die Schüler sich direkt und sachbezogen mit dem Radonproblem auseinandersetzen und darüber hinaus die im Schulunterricht gewonnenen Erkenntnisse über Radon an ihre Eltern und andere Einwohner des Orts weitergeben würden. Die Ergebnisse zeigen daß das "doppelte Ziel" von gesundheitsfördernden Maßnahmen bezüglich individuell beeinflußbare Gesundheitsrisiken in diesem Fall zum großen Teil erreicht worden ist. Zum einen wurden gesundheitsschützende Maßnahmen in einem angemessenen Maß ergriffen bzw. wurde eine günstige Motivationslage für deren künftige Ausführung geschaffen. Zum anderen verlagerte sich nicht nur der Schwerpunkt des Ausmaßes der Angst vor Radon als Gesundheitsgefahr von höherer auf niedrigere Stufe; es zeigte sich bald nach der Durchführung der Probennahmen auch eine stärkere Konzentrierung aller Angstwerte auf einen mittleren Stärkegrad der Angst der im Hinblick auf die dortigen Verhältnisse als angemessen angesehen werden kann. Zusammen mit dieser Entwicklung ließ sich auch eine Besserung des Wissensstandes im Hinblick auf Radon beobachten. Hauptursache für die erfolgreiche Realisierung dieses "doppelten Ziels" scheint die Vermittlung einer bestimmten Kombination von Informationsinhalten in einer bestimmten Form zu sein. Entscheidend ist daß Informationen über umweltbezogene Gesundheitsrisiken nicht getrennt von der Vermittlung von Informationen über wirksame Handlungsmöglichkeiten zur Aufklärung und insbesondere zur Reduktion des Risikos erfolgen sollten. Darüber hinaus soll möglichst auch das persönliche Gesundheitsrisiko ermittelt werden. Eine geeignete Form der Informationsvermittlung ist die aktive Miteinbeziehung der Bürger in den Prozeß der Risikoaufklärung und der Risikoreduktion. Ohne diese erlebt der Bürger seine persönliche Handlungskompetenz nicht - d.h. er wird nicht unmittelbar davon überzeugt daß er selbst kompetent und fähig ist die nun bekannt gewordenen Handlungsmöglichkeiten durchzuführen. Die Wichtigkeit der Vermittlung bzw. der Stärkung eines Gefühls der "Kompetenzüberzeugung" ist bisher in vielen Kommunikationsstrategien unterschätzt worden. Abgesehen von der Vermittlung dieser Informationsinhalte welche alle in dem Sinne direkt risikobezogen sind als sie sich auf die Lösung des durch Radon verursachten gesundheitlichen Problems beziehen zeigten die Ergebnisse der Studie daß auch allgemeinere Einstellungen und Erfahrungen eine wichtige Rolle bei der Bewertung von Informationen über Gesundheitsgefahren aus der Umwelt spielen und im Sinne der Ziele von gesundheitsfördernden Maßnahmen im Rahmen der Umweltmedizin günstig beeinflußt werden können. In der vorliegenden Studie konnte dies inbesondere anhand von Änderungen sowohl im Bereich des "Gesundheitsbewußtseins" als auch im Bereich des Umgangs mit widersprüchlichen oder sonst mangelhaften Informationen festgestellt werden. Hinweise aus der Studie lassen jedoch vermuten daß auch andere Aspekte der Persönlichkeitsstruktur sowie des sozialen Umfeldes eine Rolle spielen und in künftigen Untersuchungen starker in Betracht gezogen werden sollten. Implikationen haben diese Ergebnisse für eine präventiv-ausgerichtete Umweltmedizin insofern als gezeigt wird daß Informationen über Gesundheitsrisiken aus der Umwelt die zum Ziel haben die Bevölkerung vor möglichen negativen gesundheitlichen Folgen von Umweltschadstoffen zu schützen selbst negative gesundheitliche Folgen haben können. Hieraus entsteht für die Umweltmedizin ein potentielles Problem nämlich wie der Schutz der Bevölkerung vor potentiell gesundheitsgefährdenden Umweltagenzien gleichzeitig mit dem Schutz vor den möglichen negativen Folgen von Informationen hierüber gewährleistet werden kann. Zugleich aber haben die Ergebnisse dieser Studie gezeigt daß dieses Problem auch die Chance in sich birgt Informationen zum Vorteil der Betroffenen zu nutzen indem bewußt und gezielt bestimmte direkt risikobezogene wie auch allgemeine nicht risikobezogene Informationsinhalte in bestimmter Form vermittelt werden können. Es ist Aufgabe der Umweltmedizin in diesem ihrem neuen Bereich mit Hilfe von weiteren gezielten Untersuchungen den Zusammenhingen zwischen Information über Gesundheitsgefahren aus der Umwelt Gesundheit und gesundheitlichen Beeinträchtigungen weiterhin systematisch nachzugehen. ___MH
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