Alterspsychiatrie; Die Bedeutung der Psychiatrie für die Geriatrie |
Journal/Book: Z. ärztl. Fortbild. 86 (1992) 804-808. 1992;
Abstract: Prof. Dr. med. Siegfried Kanowski Unversitätsklinikum Rudolf Virchow Leiter der Abteilung Gerontopsychiatrie Berlin Innere Medizin und Psychiatrie stellen die tragenden Säulen geriatrischer Medizin dar. Ein Blick in Morbiditätsstatistiken zeigt daß beide Disziplinen die häufigsten Spektren der altersabhängigen Multimorbidität abdecken. Man könnte es auch so formulieren daß wenn es denn einen Arzt für Geriatrie geben sollte er über eine solide internistische Grundausbildung und genügend Erfahrung in Psychiatrie und Neurologie verfügen sollte. Aus der Sicht der Psychiatrie kommt hinzu daß es eine enge Verknüpfung zwischen psychischen Störungen im höheren Lebensalter und körperlichen Erkrankungen gibt. Dies läßt sich nicht nur am Beispiel der vaskulären Demenzen und ihrer häufigen Kombination mit cardiovasculären Störungen und der Hypertonie sondern auch am Beispiel affektiver Erkrankungen belegen wie die Untersuchungen aus Newcastle schon früh gezeigt haben (6 7). So treten depressive Syndrome häufig in der Folge chronischer Erkrankungen des Atemwegssystems des Herzens sowie bei rheumatischen oder degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates auf. Diese faktische über Multimorbiditätsspektren vermittelte enge Verknüpfung von Psychiatrie und internistisch orientierter Geriatrie trifft meines Erachtens aber noch nicht einmal die wesentliche Bedeutung die die Psychiatrie für die Geriatrie hat. Um dies zu erläutern möchte ich ein wenig weiter ausholen und mich auf Ergebnisse der gerontologischen Grundlagenforschung beziehen um die Frage zu beantworten was den Lebensabschnitt den wir allgemein das Alter nennen charakterisiert. Altern ist ein mehrdimensionaler Prozeß der sich in teils synchronen teils heterochronen Veränderungen in der biologischen psychologischen und sozialen Dimension beschreiben läßt. Diese Veränderungen verlaufen gegenüber der mittleren Lebensphase akzeleriert und häufig auch krisenhaft zugespitzt. Deshalb meine ich läßt sich die Aussage rechtfertigen daß das Alter für den Menschen zu einer ähnlich krisenhaften Zeit werden kann wie die Pubertät auch hier in gewisser Spiegelbildlichkeit zwischen ontogenetischer Evolution und Involution. Pubertät und Altern fordern schon unter physiologischen Bedingungen vom Individuum erhebliche Anpassungs- und Kompensationsleistungen die - in psychologischer Terminologie ausgedrückt - die Entwicklung neuer "coping skills" erfordern. Im Gegensatz zur Pubertät ist der Mensch im Alter aber nicht nur mit entwicklungsphysiologischen und -psychologischen Problemen konfrontiert sondern wird zusätzlich durch das massiv gestiegene Multimorbiditätsrisiko bedroht. ... wt
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