Bedeutung der Kasuistik für die Medizin |
Journal/Book: MMW-Fortschr. Med. - Nr. 43/ 1991; S. 637/ 31; (133 Jg.). 1991;
Abstract: Prof. Dr. med. N. Zöllner Medizinische Poliklinik der Universität München Es ist ein Erlebnis einen Kranken und seine Krankheit oder Krankheiten ganz zu verstehen; je seltener die Krankheit desto größer das Erlebnis. Eine Erfahrung besonderer Art ist es einem Kranken zu begegnen dessen Krankheit in keine der vorhandenen bzw. bekannten Nosologien einzuordnen ist. Neues zu sehen und als solches zu erkennen begründet den Fortschritt in der klinischen Forschung macht die Faszination dieser Forschung aus. Wissensgrundlage und "Denkstoff". Die Mitteilung von Erlebtem und Erfahrenem schafft (nach Prüfung auf Richtigkeit) Wissen und den "Denkstoff" für die Beschreibung und stetige Verbesserung der Nosologien sowie für physiologische biochemische pathogenetische molekularbiologische Hypothesen. Die Beobachtung der Kranken und die Mitteilung dieser Beobachtungen die Kasuistik ist also das Alpha der Medizin. Ausgangspunkt zielgerichteter Forschung. Kann in einer Kasuistik ein einfacher der Grundlagenforschung zugänglicher Befund festgestellt werden so mag er als Ausgangspunkt z. B. auch pathophysiologischer Untersuchungen dienen. Als klassisches Paradigma kann man die Galaktosämie ansehen. Seit fast 100 Jahren ist bekannt daß bei Säuglingen ein Syndrom aus Leberzirrhose Katarakt und zerebralen Entwicklungsstörungen (mit tödlichem Ausgang) mit einer vermehrten renalen Ausscheidung von Galaktose einhergeht. Schon vor Mitte dieses Jahrhunderts wurde festgestellt daß Patienten mit diesem Syndrom Galaktose nicht verwerten können. In den 50er Jahren erkannte man dann daß der Mangel an Galaktose-1-phosphat-Uridyltransferase für das Syndrom verantwortlich sein kann; später fand man zwei weitere seltenere Enzymdefekte die das Syndrom bzw. Teile davon hervorrufen. Der Biochemiker (oder Physiologe Genetiker Pathologe) kann ohne die präzise klinische Beobachtung nichts beginnen. Die Kliniker wiederum erkennen oft nicht was sie in der Hand haben und sorgen zu wenig dafür daß aus einer publizierten Kasuistik zielgerichtete pathogenetische Forschung hervorgeht. Mittel nosologischer Fortschreibung. Die Kasuistik dient auch einfacheren Zwecken z. B. der Fortschreibung der Nosologie. In meiner Studienzeit waren Intentionstremor Pyramidenbahnzeichen skandierende Sprache und temporale Abblassung der Pupillen die Zeichen der Multiplen Sklerose; heute muß die Diagnose früher gestellt werden. ... ab
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