Essen - die erlaubte Droge

Journal/Book: Heilbad & Kurort 43 (1991) 4-5 S.75-77. 1991;

Abstract: Annelies Furtmayr-Schuh Der Mensch braucht wohltuende Empfindungen sinnliche Erfahrungen. Im Leben Übergewichtiger erfüllt Essen häufig diese Bedürfnisse was den Betroffenen gar nicht bewußt ist. Essen ist für sie Ersatz- und Ausweichhandlung. Es ist wieder soweit: Mit anbrechender Frühlingszeit stürzen sich die Dicken in Fastenkuren. Sie kasteien sich mit Diäten hungern heldenhaft oder schlucken Appetitzügler. Warum ist ihnen dennoch kein dauerhafter Erfolg beschieden? Beim Mittagessen habe ich mich über meinen Kollegen so geärgert, daß ich am liebsten vom Tisch aufgestanden und gegangen wäre. Aber ich blieb sitzen und habe in meiner Wut alles Eßbare in mich hineingeschlungen. Die Herbstsonne malte goldene Kringel auf die Gartenstühle. Wir blickten über bunten Dahlien hinüber zum Bodensee und löffelten gemeinsam unsere Fastensuppe als Marion T. aus Hamburg mir von ihrer Eßwut erzählte. Sie fastete bereits die dritte Woche in der Klinik Buchinger in Überlingen. "Ich muß immer essen wenn ich mich einsam fühle" warf Evelin B. ein dann habe ich eine unstillbare Gier nach Pralinen. Natürlich könnte ich stattdessen eine Freundin anrufen und mit ihr ausgehen. Aber dazu bin ich meist zu phlegmatisch. Hilde E. erhielt an diesem Mittag erstmals wieder etwas zu beißen eine Haselnuß auf einem Schüsselchen mit Apfelmus. Bei Wasser und Tee etwas Obstsaft und Brühe verlor sie innerhalb von vier Fastenwochen neun Kilo und führte jetzt ihre neue Garderobe Größe 42 vor. Die Fastenkur an den Gestaden des schwäbischen Meeres hat sie nicht nur körperlich sondern auch seelisch erleichtert: "Ich dachte immer nur ich alleine bin willensschwach und habe Freßanfälle." In den Gesprächskreisen während der Fastenzeit war ihr bewußt geworden daß sie - wie so viele andere Menschen - nicht nur aus Hunger ißt sondern um Trost zu finden und daß sie mit dem Essen versucht ihre Konflikte hinunterzuschlucken. Essen ist die erlaubte immer vorhandene Droge gegen Unbehagen im täglichen Leben. . . .

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