Zum Fervorisierungsprozeß als einem Modell der Krenobiologie |
Journal/Book: Z. Physiother. 40 (1988) 163-166. 1988;
Abstract: OMR Prof. Dr. med. habil. H. Jordan Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster (Direktor: OMR Dr. med. K. Hofmann) Zusammenfassung Die Arbeit stellt eine Kurzfassung einer 1986 veröffentlichten umfangreicheren Publikation über "Modellversuche zum Fervoreffekt nach V. VOUK unter biophysikalischen Gesichtspunkten" dar. Es werden neue experimentelle methodisch orientierte Befunde mitgeteilt die den Fervoreffekt bestätigen darüber hinaus jedoch wesentliche Einflußgrößen abklären und erläutern die für die Reproduzierbarkeit seiner pflanzenphysiologischen Phänomene unbedingt berücksichtigt werden müssen und deshalb für die weitere Forschung auf balneobiologischem bzw. krenobiologischem Gebiet von Bedeutung sind. Im Jahre 1986 konnte von der Arbeitsgruppe "Strukturprobleme und Umweltaspekte des Wassers insbesondere der therapeutisch nutzbaren Wässer im Süden der DDR" (Leitung: W. BUCHHEIM Freiberg H. JORDAN Bad Elster A. WATZNAUER Freiberg) der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW) die Veröffentlichung "Modellversuche zum Fervoreffekt nach V. VOUK unter biophysikalischen Gesichtspunkten" (ZWICKER PÜHRER PLÖTNER JORDAN BUCHHEIM 1986) vorgelegt werden die die Arbeitsergebnisse einer jahrelangen interdisziplinären Kooperationsgemeinschaft aus den Bereichen Pflanzenbiologie Biophysik und Medizin abschließend zusammenfaßte. Ein glücklicher Umstand fügte es daß diese Publikation im Jahre der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Professor Dr. Vale VOUK erscheinen konnte dem in Zagreb wirkenden Botaniker und Pflanzenphysiologen dem Begründer des Forschungszweiges der Balneologie und Entdecker des Fervoreffektes. Ihm sei auch an dieser Stelle ehrend gedacht; F. SCHEMINZKY hat ihm einen würdigen ausführlicheren Nachruf gewidmet (SCHEMINZKY 1964). Die jährlichen Teilergebnisse dieser Zusammenarbeit waren detailliert bisher nur in den jeweiligen Jahrbüchern der SAW abgedruckt worden und deshalb einem breiteren medizinischen bzw. balneologisch interessierten Leserkreis nur schwer zugänglich geblieben (von einem Vortrag des Verfassers in der VR Polen 1983 abgesehen; JORDAN 1983). Es schien somit angezeigt sie in einer gekürzten Fassung in unserer Fachzeitschrift darzustellen. Dies erscheint um so mehr berechtigt als der Fervoreffekt (FE) noch heute - und vielleicht gerade heute wieder - zur Diskussion steht und neuere Untersuchungen hierzu nicht nur aus theoretischen pflanzenpysiologischen und physikalisch-chemischen sondern auch aus praktischen medizinischen und wohl auch landwirtschaftlichen Gründen interessieren könnten. Mit dem Begriff "Balneobiologie" - präziser vielleicht mit dem Terminus "Krenobiologie (SCHEMINZKY 1964) bezeichnet - hatte VOUK eindeutig wissenschaftliches Neuland betreten und eine ebenso wichtige wie interessante Brücke zwischen der Medizin und den Naturwissenschaften geschlagen. Es muß jedoch in diesem Zusammenhang erwähnt werden daß der Gedanke daß auch die biologische Qualifikation einer Mineralquelle zu deren balneologischen Charakteristik gehöre" auf den Wiener Balneologen S. STOCKMEYER zurückgeht (STOCKMEYER 1928) wie V. VOUK feststellte. Unter dem "Fervoreffekt" hatte VOUK eine Wurzelkeimungshemmung mit nachfolgender Begünstigung des Pflanzenwachstums verstanden (VOUK 1941) die nach einer Behandlung von Wasser und/oder Nährsubstraten bestimmter Pflanzen (vordergründig Senf Buchweizen und Hirse) im Autoklaven unter Einwirkung definierte Drücke und Temperaturen zu beobachten waren. Die Tatsache daß Thermalwässer - zunächst wurden die aus Badgastein untersucht - ähnliche Erscheinungen zeitigten veranlaßte VOUK zu der Hypothese daß die Bildungsprozesse der Warmwässer im Erdinneren beim Durchtritt aus tieferen Schichten bis zur Erdoberfläche ebenfalls bestimmten Einwirkungen von höheren Druck- und Temperaturverhältnissen ("fervor" = Siedehitze) ausgesetzt sein könnten die zu molekularstrukturellen Änderungen dieser Wässer führen könnten. Bisher immer wieder beobachtete aber schwer oder nicht begründbare Heilerfolge unter dem kurmäßigen Gebrauch von Thermalwässern schienen einer solchen Hypothese zu entsprechen. Freilich mochten die oft wahrlich überraschenden Besserungs- oder gar Heilerfolge solcher Kuren in den sogenannten Wildbädern" den Akratothermen auch anderen Substraten - in erster Linie wohl speziell der Temperatur - aber durchaus auch beispielsweise bestimmten. Edelgasen (Radon) oder gewissen Spurenelementen zuzuschreiben sein und es setzte deshalb in der Folgezeit eine an Hypothesen und auch Spekulationen reiche Untersuchungsarbeit ein die - wenn auch mit unterschiedlicher Intensität - bis heute nicht abgeflaut ist. 1950 hatte VOUK in seinem "Grundriß zu einer Balneobiologie der Thermen" (VOUK 1950) die biozönotische Sonderstellung der thermalen Wässer erstmalig zu systematisieren versucht. Bald auch erweiterte sich dieser Aspekt noch zur "Creno-Paläontologie" aus (OTT und DOMBROWSKI 1958) als überlebensfähige Bakterien aus der Zechsteinformation entdeckt wurden. Die Physiker gingen bevorzugt der Frage einer Einflußnahme des Fervorisierungsprozesses auf die Wasserstruktur mit immer leistungsfähigerem meßapparativem Rüstzeug nach(z. B. STRÜBEL 1964 oder BUCHHEIM und KLOSE 1969). Besonders waren vor allem die Siliziumverbindungen bzw. Kieselsäuregelbildungen von vordergründigem Interesse. Für die Spurenelemente rückten vor allem schon zeitig die Elemente Bor und Silizium (SCHWABE 1954 1956) aber auch immer mehr andere in das Blickfeld seit dem es mit neuesten Apparaturen möglich war gegenüber den bisherigen klassischen Naßanalyse qualitativ und quantitativ bessere Resultate zu erzielen ( KLOSE 1971). Diese Entwicklung kann hier nur in allergröbsten Zügen angedeutet werden. Die Motivation für unsere im Rahmen der SAW durchgeführten Untersuchungen lag besonders darin verschiedene noch offengebliebene vor allem methodikbezogene Fragen zum FE weiter abzuklären. Darüber hinaus blieb jedoch das balneomedizinische Grundproblem interessant genug und es ist nicht zufällig daß sich das wissenschaftliche Interesse mancher medizinischen Institutionen erneut dem Komplex der Balneobioklimatologie zuwendet (BASSENGE und Mitarb. 1983). Unsere Untersuchungsergebnisse lassen sich nun folgendermaßen zusammenfassen. Unsere Experimente wurden mit Sinapis alba L. ssp. alba durchgeführt. Verglichen wurden jeweils bidestilliertes Wasser (BW) und fervorisiertes Wasser (FW). Im einzelnen wurden gegeneinander abgeklärt die Differenzen der Provenienzen des Saatgutes die Dauer und die Art der Vorkeimung (Vorquellung) der Samen Einflußfaktoren der Belichtung (Kunstlicht unterschiedlicher Qualität und Dunkelheit) Füllungszustand der Autoklavierungsgefäße Alterungsgrad (v. d. CRONEsche Nährlösung) Ausschaltung der Berührung des Wassers mit der Glaswand der Autoklavierungsgefäße durch Folienauskleidung derselben. Mit diesen Versuchen konnten die VOUKschen Beobachtungen voll bestätigt werden. Die Hemmung der Wurzelkeimung und die spätere Förderung des Pflanzenwachstums sind reale reproduzierbare Effekte. Es konnten zusätzlich einige wichtige Faktoren bzw. Parameter ermittelt werden die auf den FE von entscheidender Bedeutung sind. So ist erstmalig erwiesen worden daß durch den Fervorisierungsprozeß die Elemente B und Si aus den Glaswänden der Autoklavierungsgefäße herausgelöst werden. Der FE bleibt aus wenn dieser Auslösungsvorgang unterbunden wird (Folienversuche). Es ergeben sich quantitative Differenzen wenn die vollständige Füllung der Autoklavierungsgefäße nicht beachtet wird. An der Pflanzenwurzel ist der FE als ein osmotischer durch den Mechanismus der Anionenatmung bedingter Prozeß anzusprechen. Die Fervorisierung des Nährlösungssubstrates selbst läßt nach 24 Tagen im Anschluß an die initiale Keimhemmung ein deutlich größeres Pflanzenwachstum erreichen als bei den Kontrollpflanzen. Tageslicht mit erhöhtem Blaulichtanteil verstärkt diesen Effekt. Bei gleicher technischer Durchführung von Quellung und Keimung der Samen wirkt das Thermalwasser von Janzke Lazne auf die Keimung am Wurzel- bzw. Sproßpol der Versuchspflanzen wie das fervorisierte Wasser bei maximaler Füllung der Autoklavierungsgefäße. Der FE natürlicher Akratothermalwässer wird am wahrscheinlichsten durch Inhaltsstoffe der Quellenwässer bedingt deren Löslichkeit im Thermalbereich oberhalb 100°C größer ist als bei 100°C und darunter und besonders dann wenn das Löslichkeitsminimum bei 100°C liegt. Dabei spielen die strukturellen Eigenschaften des fervorisierten Wassers als möglicherweise nicht molekulare sondern kolloide und deshalb metastabile Kieselsäurelösungen offenbar eine ausschlaggebende Rolle. Das "Fervorwasser" stellt sehr wahrscheinlich eine flüssige Phase im Nichtgleichgewichtszustand dar wie er in offenen oder hermetisch verschlossenen Gefäßen bei Erhitzung des Wassers unter Druck im bzw. über den Sättigungsdruck erzeugt werden kann und der bei Abkühlung auf Zimmertemperatur nicht völlig abgeklungen ist. Neben der Erhöhung von Druck und Temperatur ist dabei das Konzentrationsverhältnis von Wasser zum überstehenden Luftvolumen von Bedeutung ferner das Vermögen der Gase (O2 N2 und Ar) im Temperatur-Druck-Bereich der Sättigung eine höhere Löslichkeit zu besitzen als bei 100°C. Hiermit erfährt auch die These von JOB eine andere Beleuchtung der den FE d. h. die Wurzelkeimungshemmung als Folge eines durch die Sterilisation bedingten beträchtlichen Sauerstoffmangels erklärt wissen wollte (JOB 1965). Soweit unsere Ergebnisse die im Detail in der eingangs genannten Publikation (ZWICKER und Mitarb. 1986) nachzulesen sind und die es offenbar gerechtfertigt erscheinen lassen weitere Untersuchungen unter Berücksichtigung der von uns bezeichneten Kautelen durchzuführen. Vielleicht gewinnt besonders das Problem der Relation Keimungshemmung/Wachstumsförderung ein landwirtschaftliches Interesse. "Noch wichtiger aber vom balneologischen Standpunkt aus wäre es zu untersuchen ob man mit künstlich fervorisiertem Wasser ähnliche Balneoreaktionen erzielen könnte wie mit dem normalen Thermalwasser" - dieser Satz VOUKS aus dem Jahre 1941 darf unseres Erachtens auch heute noch nicht zu den Akten gelegt werden (VOUK 1941). Literatur 1. BASSENGE E. B. HARTMANN H. HILLE U. POHL: Erfolgs- und Grundlagenforschung des Institutes für Balneologie und Klimaphysiologie der Universität Freiburg. Heilbad Kurort 35 (1983) 8 205-208. 2. BUCHHEIM W. M. KLOSE: Physikalische Untersuchungen an Thermalwässern im Hinblick auf Balneotechnik und -therapie. Arch. phys. Ther. 21 (1969) 153-164. 3. HÖLL K.: Die heißen Quellen und Geysire des Yellowstone National Parks. Heilbad Kurort 16 (1964) 6 119-125. 4. JOB C.: Die Bedeutung des Sauerstoffmangels für den Auskeimtest. Fund. baln.-bioclim. 3 (1965) 150-158. 5. JORDAN H.: Neue Beobachtungen zum sogenannten "Fervoreffekt". Vortrag z. Jahreskongr. d. Poln. Ges. f. Balneologie Bioklimatologie u. Physikalische Medizin in Kamin Pomorski V. 28.-29. Mai 1983. 6. KLOSE M.: Massenspektrographische Analyse von pulverförmigen Thermalwasserrückständen. Fresenius Z. analyt. Chem. 254 (1971) 7-15. 7. OTT V. R. H. I. DOMBROWSKI: Balneologische Untersuchungen der Nauheimer Quellen. 1. Mitt.: Zur Creno-Paläontologie. Fund. baln.-bioclim. 1 (1958/59) 319-326. 8. SCHEMINZKY F.: Zum Gedenken an Prof. Dr. Vale VOUX - Begründer der Balneobiologie und Entdecker des Fervor-Effektes. Fund. baln.-bioclim. 3 (1964/66) 98-110. 9. SCHWABE G. H.: Umraumfremde Quellen. Arch. Hydrobiol. 48 (1954) 544-545. 10. Ders.: Förderung der Wurzelentwicklung durch Silikate in Hochofenschlacke und Thermalwasser. Naturwissenschaften 43 (1956) 163-164. 11. STOCKMEYER S.: Die Biologie der Mineralquellen. In: Österreichisches Bäderbuch. Hrsg. Volksgemeinschaftsamt im Bundesministerium für soziale Verwaltung. Druck und Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei Wien 1928 S. 85-92. 12. STRÜBEL G.: Spektralphotometrische und infrarotspektrographische Untersuchungen zum Fervoreffekt. Fund. baln.-bioclim. 3 (1964/66) 141-149. 13. VOUX V.: Ein neuer Versuchsweg zur Klärung der Frage der balneologischen Wirkung des Fervorwassers. Balneologe 8 (1941) 71-73. 14. Ders.: Grundriß zu einer Balneobiologie der Thermen. Birkhäuser Basel 1950. 15. Ders.: Neues über den Fervoreffekt. Hippokrates 32 (1961) 4 133. 16. ZWICKER R. H. PÜHRER G. PLÖTNER H. JORDAN W. BUCHHEIM: Modellversuche zum Fervoreffekt nach V. VOUX unter biophysikalischen Gesichtspunkten. Sitzungsbericht der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Math.-naturwiss. Klasse Bd. 118 H. 7. Akademie-Verlag Berlin 1986.
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