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December 2024

Die Integration der Kurbehandlung in die Gesamttherapiestrategie

Journal/Book: Z. ärztl. Fortbild. 79. (1985) 611-613. 1985;

Abstract: Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster (Direktor: OMR Prof. Dr. med. habil. H. Jordan) Zusammenfassung Eine wissenschaftlich begründbare Integration der Kurorttherapie (KOT) in die Gesamtstrategie einer Krankenbehandlung setzt die Kenntnis und Beachtung der Grundziele der Auswahlkriterien und der chronotherapeutischen Orientierungen der Einsatztermine dieser Therapieform voraus. Den wichtigsten Beitrag hierzu stellt die sach- fach- und zeitgerechte Einweisung der Patienten in die Kureinrichtungen dar wofür die hauptsächlichen Gesichtspunkte besprochen werden. Es ist eine wichtige Aufgabe des sozialistischen Gesundheitsschutzes die Optimierung der KOT unter den gegebenen Bedingungen ständig weiterzuentwickeln. Die Kurorttherapie ist ein wissenschaftlich begründbares als eigenständig definierbares und gesundheitspolitisch notwendiges Teilstück der Medizin mit der Kurbehandlung als zentralem Anliegen. Sowohl von den Zielstellungen als auch von ihrer Zeitcharakteristik stellt sie eine Sonderform der Therapie dar woraus sich die Notwendigkeit ihrer zielbewußten Einordnung in die strategischen Konzepte der relevanten Krankheitsbilder ergibt. Man kann mit gutem Recht die Kurorttherapie (KOT) als die Therapieform mit dem höchsten Komplexitätsgrad ansprechen die dem Anspruch an eine ganzheitlich orientierte Behandlung (3) am nächsten kommt. Wir sprechen von ihr als von einer komplexen Reizserientherapie am Kranken im veränderten Milieu (4) weil auf sie tatsächlich die folgenden Merkmale zutreffen: - Komplexität von balneobioklimatischer Grundbehandlung mit Physiotherapiemitteln Pharmaka und psychagogen Einflußgrößen; - Therapiegesamtgestaltung unter Beachtung der biorhythmischen Grundcharakteristik bezüglich zirkadianer zirkaseptaner und zirkamensualer und saisonaler Rhythmen der sich Applikationszeitpunkt Reizexposition Reizfolge und -intervall sowie die Kombinationstaktik der verschiedenen Reise einzuordnen haben; - Einbeziehung der während der Kurbehandlung gegebenen Situation bzw. Situationsänderungen der physikalischen soziologischen und psychosozialen Umwelt. Es ist keine Überheblichkeit sondern Tatsache daß mit einer so konzipierten KOT tatsächlich ein Optimum der gesundheitlichen Betreuung erzielt werden kann wenn diese ihrerseits ein Optimum ihres Einsatzes im Gesamtheilplan der betreffenden Erkrankung dargestellt d. h. ein stadien- und chronopathologisches Optimum erreicht. Man wird unschwer verstehen daß einem solchen Anspruch sowohl medizinwissenschaftlich als auch medizinorganisatorisch gesehen keineswegs leicht Genüge getan werden kann und sehr wohl eine umfassende Arbeit dazu bewältigt werden muß. Grundsätzlich sind es folgende Zielstellungen die für jede KOT gelten und die bei deren Realisierung auch tatsächlich angestrebt werden; diese Ziele entsprechen in ihren 5 Aspekten einer ganzheitlich orientierten Therapiestrategie: ein adaptivbionomer Aspekt (adaptive Reizserientherapie) ein biorhythmologischer (Rhythmusordnung) ein bioklimatologischer (Abhärtung Kältetraining Heliotherapie) ein gesundheitserzieherischer (passive und aktive allgemeine und krankheitsbezogene Form) und ein subsistenztherapeutischer Aspekt (diätetisches Training häusliche Physiotherapie Hilfsmittel). Wir können davon ausgehen daß die Abstufung der kurorttherapeutischen Möglichkeiten im wesentlichen 3 Grundformen der Kurbehandlung zuläßt: - Heilkuren - Kuren mit präventiv-medizinischer Zielstellung - Kuren mit intensiv-rehabilitativer Zielstellung. Diese Einteilung entspricht sowohl gesundheitspolitischen als auch wissenschaftlich begründbaren und organisatorisch vertretbaren Grundsätzen und fußt auf unterschiedlichen Behandlungsregimes im Hinblick auf die Behandlungsdauer (zwischen 3 und 6 Wochen) als auch auf die Behandlungsmittel. Ohne Abb. 1. Verteilung der Kuren auf die 6 Hauptindikationsgebiete der Kureinrichtungen der DDR Die in der DDR - wie überall - gegebene Begrenzung der kurörtlichen Kapazitäten und Leistungen (6) zwingen zu einer Orientierung auf diejenigen Krankheitsbilder die einen gesundheitspolitischen Schwerpunktcharakter tragen und für die diesbezüglich die balneotherapeutische Grundbehandlung - etwa Moor Sole- Schwefel- Radon- und CO2-Wässer - besonders effektiv ist. Dementsprechend ist die Aufgliederung des hier zu berücksichtigenden Kranken gutes auf 6 Gruppen beschränkt (Abb. 1) wenn wir von den Kurbehandlungen für gynäkologisch und dermatologisch Kranke für neurologische nephro-urologische und Sprachheilkuren einmal absehen die insgesamt etwa 8% des Kurpatientenkontingents stellen. Wir haben derzeit einen Versorgungsgrad von 218 Kuren pro 10000 Erwachsene und von 192 Kuren je 10000 Kinder [Zahlenangaben von 1981 (1)] der zwar sicherlich nicht voll befriedigen kann aber unseren Gegebenheiten entspricht. Denn oberstes Gebot ist nicht die Quantität sondern die Qualität der Kuren. Der balneologische Profilierungsgrad unserer Kureinrichtungen kann als optimal insofern bezeichnet werden als die Übereinstimmung der Hauptindikationen mit der wissenschaftlichen Begründbarkeit der in den Kureinrichtungen möglichen Behandlung weitestgehend gegeben ist. Die beiden wichtigsten Gesichtspunkte für eine möglichst effektive Integration der Kurbehandlung in die Gesamttherapiestrategie sind eine genaue Kenntnis der differenzierten Kontraindikationen und die stadiengerechte Indikation. Dazu einige Bemerkungen: Die Kriterien für eine differenzierte Kontraindikationsstellung lassen sich in generelle - spezielle - temporär - fakulative Kontraindikationen gliedern wie Tabelle 1 ausweist. Tabelle 1. Kontraindikationen --------------------------------------------------------- Generelle K. : Gültig für jede Kurortbehandlung spezielle K. : Diagnose-(indikations-)bezogene Auswahl Temporäre K. : Zeit- bzw. verlaufsbezogene Auswahl Fakultative K.: Kurregime - bezogene Auswahl --------------------------------------------------------- Die stadiengerechte Indikationsstellung basiert auf folgenden bekannten international gültigen Standards: - NYHA-Kriterien - Hypertensionsstadien - Stadien der arteriellen Verschlußkrankheit - Emphysemstadien - Stadien der Rheumatoid Arthritis - Rehabilitationsstadien nach Myokardinfarkt. Alle hierzu gehörigen Angaben sind in folgenden Materialien nachzulesen: 1. Die Indikationen der Bäder und Sanatorien. 2. überarb. Aufl. Hrsg.: Ministerium für Gesundheitswesen der DDR. Berlin 1978 (Verteiler: Räte der Bezirke). 2. Bäderbuch der DDR. Hrsg.: H. Jordan im Auftrag des Ministeriums für Gesundheitswesen. VEB G. Thieme Leipzig 1967 S. 78-86. 3. Richtlinie für die medizinische Auswahl von Patienten zur Kur. Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Gesundheitswesen Nr. 1/1979 S. 4 (in Überarb.) 4. Jordan H.: Kurorttherapie. 2. überarb. Aufl. VEB G. Fischer Jena 1981. Dazu ist ferner zu erwähnen daß es für spezielle Belange der Kurdurchführung feste Programme der DDR gibt; so z. B. das "Herzinfarktbekämpfungsprogramm der DDR" oder das "Hypertoniebekämpfungsprogramm". Hierzu werden definierte Patienten über gezieltes Direkteinweisungsprogramm zwischen Klinik oder Dispensaire und der ausgewählten Kureinrichtung zur Behandlung eingewiesen wobei Auswahlkriterien Therapiegestaltung und funktionsdiagnostische Überprüfungen des Kurverlaufes vorgegeben werden. Auch außerhalb solcher fixierter Programme gibt es Möglichkeiten z. B. spezielle Dispensaires für die Auswahl von Kurpatienten einzuschalten (z. B. PALT dermatologische kardiologische Dispensaires). Auf die besonderen Verhältnisse bei der Auswahl zur Durchführung von Kinderkuren sei nur global hingewiesen. Für die Hauptindikationsgebiete bestehen spezielle Arbeitsgruppen des Kur- und Bäderwesens unter der Leitung des Forschungsinstituts in Bad Elster deren Hauptaufgabe es ist die Integration der KOT ständig zu optimieren. Viel schwieriger als die Beachtung der Kontraindikationen und der Krankheitsstadien gestaltet sich die Entscheidung nach der optimalen Einordnung der Kurortbehandlung in zeitlicher Hinsicht also die Berücksichtigung des chronopathologischen Optimums. Dies trifft sowohl für die Erstkur als besonders auch für die Wiederholungskur zu. Da die Kurorttherapie vordergründig auf chronische Erkrankungen bzw. Leiden orientiert gewinnt der wiederholte Einsatz der Kurbehandlung stark an Bedeutung; indessen muß gerade hierfür eine besonders strenge Indikationsstellung gefordert werden. Hier ist ganz wichtig daß das Interim von Kur zu Kur durch eine gezielte kontinuierliche physiotherapeutische Behandlung ausgefüllt wird. Überhaupt ist es in den meisten Fällen erforderlich in der Nachphase der Kurortbehandlung eine gewisse physiotherapeutische Weiterbehandlung zu absolvieren wobei auf die stärkere Nutzung von häuslich durchführbaren Dauermaßnahmen z. B. der Kinesitherapie (home-trainingprogram) der Hydrotherapie (Bäder Wickel Packungen Kataplasmen) oder der Schleimhautpflege (Inhalationen Gurgelungen Hustenregime) hingewiesen sei. Eine verständnisvolle Zusammenarbeit zwischen den in den Kureinrichtungen tätigen Ärzten mit den weiterbehandelnden Kolleginnen und Kollegen bzw. auch den zwischengeschalteten Fachdispensaires ist hier unbedingt erforderlich eine effektive Integration der Kurbehandlung ist ohne eine solche auf keiner Ebene und in keiner Phase der Krankenbehandlung denkbar. Allgemein anwendbare Regelungen für Wiederholungskuren lassen sich nicht aufstellen; die Beachtung der Kontraindikationsregeln und der Stadieneinschätzung werden auch hierfür die zuverlässigsten Hilfen sein müssen (s. Tabelle 1). Eine letzte Bemerkung zur Frage der Kombination von Pharmakotherapie und Kurorttherapie: Wie eingangs schon betont gehört die Pharmakotherapie in das Konzept der Kurorttherapie. Sehr allgemein gefaßt läßt sich sagen daß eine vor der Kur bestehende längerfristige Pharmakotherapie nicht unmittelbar vor Kurbeginn abgesetzt werden sollte. Korrekturen müssen dem Kurortarzt vorbehalten bleiben weshalb genügend klare Angaben im Arztbericht zur Kur speziell in dieser Hinsicht erforderlich sind. Es ist erwiesen daß zahlreiche Interaktionen zwischen "Kureffekt und Medikamentenwirkung" (5) bestehen deren Beachtung ebenfalls zu den strategischen Überlegungen der Integration der Kurbehandlung gehört. Unser kurorttherapeutisches Potential als unverzichtbarer und wirkungsvoller Bestandteil der medizinischen Betreuung unserer Bürger hat seine klaren Grenzen innerhalb deren wir zu einer jeweils optimalen Leistung verpflichtet sind. Diese ist nun durch eine effektive Kooperation zwischen den verantwortlichen Ärzten des ambulanten oder auch stationären Bereiches und den Kureinrichtungen zu gewährleisten; die Verantwortung liegt auf diesen beiden Seiten nicht etwa nur beim Kurort selbst. Dies ist um so eher verständlich als bekanntlich die Kurbehandlung im Rahmen eines sozialistischen Gesundheitswesens sowohl eine medizinische aber auch soziale Maßnahme ist - letztere deshalb weil auch im Kur- und Bäderwesen schwerpunktbezogen gearbeitet und entschieden werden muß. Wir können - auch im Hinblick auf die internationale Situation - mit Freude feststellen daß in der Zielstellung einer effektiven Integration der Kurbehandlung in den Gesamttherapieplan viel erreicht worden ist. Es muß aber auch sicherlich noch manches getan werden um weitere Verbesserungen auf diesem Sektor zu erreichen. Besonders in chronotherapeutischer Hinsicht sind ganz konkrete Chancen hierzu gegeben; sie zu nutzen verlangt spezielle wissenschaftliche Anstrengungen seitens der Kurorttherapie ebenso wie spezielle qualifizierte Mitarbeit der einweisenden Ärzte. Literatur kann vom Verfasser angefordert werden.

Keyword(s): Kurorttherapie Auswahlkriterien therapeutisches System


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