Kurorttherapie: Prinzip und Probleme |
Journal/Book: Sitz.ber.d.sächs.Akad.d.Wiss. Kl.Math.-nat. Bd.112 (1976) H. 3. 1976;
Abstract: OMR Prof. Dr. med. habil. H. Jordan Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster Auf die knappeste Formel gebracht kann unter "Kurorttherapie" die Durchführung einer mehrwöchigen komplexen Reizserientherapie am Kranken im veränderten Milieu verstanden werden (Jordan [18]). Komplex ist diese Therapie sowohl im Hinblick auf die im jeweiligen Behandlungsregime integrierten verschiedenartigen therapeutischen Methoden und ihres zeitlichen Einsatzes als auch auf die mit ihnen erreichbaren Angriffsebenen im kranken Organismus. Von "Reizserie" sprechen wir weil sich hierbei Behandlungsreiz und Behandlungspause über einen mittelfristigen Zeitraum planmäßig abwechseln womit sich ein funktionell-rhythmologischer adaptiver Effekt verbindet. Das "veränderte Milieu" wird einmal durch den psychisch und physisch neuen Lebens- und Erlebensraum in welchem sich die ärztliche Behandlung vollzieht zum anderen sicherlich auch durch die andersartige gesamttherapeutische Praktik repräsentiert. In diesem Sinne verkörpert die Kurorttherapie das Maximum an ärztlicher Nutzung der Umweltfaktoren überhaupt. Ich möchte dies - in Anlehnung und zugleich gewisser Erweiterung der Definitionen von Rothschuh [32] - als den hygiogenetischen bzw. hygiokinetischen Aspekt der Beziehung Mensch-Umwelt bezeichnen und damit als das genaue Gegenstück zu deren pathogenetischen oder pathokinetischen Stigmata ansprechen. Und hierin drückt sich zugleich am deutlichsten die Motivation für meinen Vortrag in diesem Kreise aus. Unter "Umwelt" verstehen wir in diesem Bezug die Landschaft das Bioklima das im Kurort gegebene Milieu einschließlich der veränderten soziologischen Situation - "Entheimungs- und Neubeheimungsproblem" (Schultz [36]) Entfunktionalisierung Einbindung in eine "therapeutische Gemeinschaft" - sowie die Zeitgeberfunktion der gelenkten tagesrhythmischen Ordnung in die der Kranke gerät eine Zeitordnung im Sinne der Rückführung auf die natürliche Biorhythmik auf das "arrangement vital" im Sinne Claude Bernards: als Versuch die rhythmologische Dissoziation der in unserer Zeit Krankheitswert zukommt ("Entordnungskrankheiten" Kötschaus [25]) wieder zu beheben. Dieser bewußt gesteuerte kurzfristige konnektive und informative Zusammenhang des Kranken mit der Umwelt in dem Bestreben eine Erhöhung des Ordnungsgrades im System des menschlichen Organismus gewissermaßen eine Erhöhung seiner Negentropie zu erreichen ist - vom Standpunkt der Verhaltensforschung aus gesehen als eine logische und planmäßige Nutzbarmachung eines natürlichen Beziehungsgefüges zu bezeichnen. Dabei ist die Konstellation dieser "Umwelt" keine Konstante sondern hat den Charakter einer mehr oder minder effektvollen Variablen die dem Kranken laufend adäquate konditionelle Einstellungen abfordert. Vor einer derartigen dynamischen Kulisse spielt sich nun das Therapiegeschehen ab welches von Neergard so treffend als "Reaktionstherapie" bezeichnete [29]. Diese Bezeichnung gilt für das Gesamtgebiet der Physiotherapie (in das die Kurorttherapie didaktisch einzuordnen ist); sie spricht die Zielstellung dieser Behandlungsweise am besten an indem sie unter "Reaktion" eine globale Leistung des menschlichen Organismus versteht die es mit Mitteln der ärztlichen Kunst zu entwickeln gilt und die in gewissem Sinne dem "linear-kausalen" pharmakologischen Therapieeffekt - in voller Anerkennung der Vorbehalte die dieser Unterscheidung eingeräumt werden müssen - gegenübergestellt werden kann. Zum Behandlungsregime im Kurort treten sodann noch vordergründig aber keineswegs ausschließlich weitere Umweltfaktoren die sogenannten Heilwässer und die Peloide neben das Bioklima. Diese "natürlichen Heilmittel" oder - wie sie in der Sowjetunion noch präziser bezeichnet werden "natürlich präformierten (Heil-)Faktoren" sind durch den Wissenschaftler und den Gesetzgeber anerkannte und geschützte Heilmittel die für die DDR im einzelnen in der kurz so genannten "Kurortverordnung" [39] definiert werden. Zu ihnen gehören auch noch Gase die entweder als Exhalationen oder in Mineralwässern gelöst austreten vorzugsweise CO2 und H2S sowie das Edelgas Radon. Ein weiteres Element ist die Landschaft als physisch und psychisch nutzbarer Komplex (Jordan [15 16]) - d. h. als Bewegungsraum für die aktive bzw. aktivierende Therapie der zugleich einen bestimmten Erlebniswert repräsentiert - wir sprechen vom geopsychischen Gesamtaspekt eine Definition von Hellpach [9] - und als ein der Distanzierungstendenz des Kurgastes entgegenkommender Rückzugs- und Isolierungsraum. Die Begriffe "Kur"- oder "Erholungslandschaft" sind definierbar - wenn gleich es keine "Erholungslandschaft" schlechthin sondern nur Landschaften mit unterschiedlichem Erholungswert gibt (Jordan [15]) - meist bedarf es zusätzlicher landschaftsgestalterischer Eingriffe ehe einer natürlichen Landschaft eine diesbezügliche Funktionscharakteristik zugestanden werden kann. Eine Reihe von physiotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen - vorzugsweise Bewegungs- und Massagetherapie Hydrotherapie Elektrotherapie und Inhalationstherapie - komplettiert die Behandlung. Dabei wird angestrebt dem Patienten im Sinne einer "Subsistenztherapie" (ein Begriff von Schenck [33]) selbst ausübbare Verfahren und gesundheitsfördernde Verhaltensweise anzulernen um damit auch über die Kurzeit hinaus wirksam zu werden und einen möglichst langen "Hafteffekt" der Kurorttherapie zu erreichen [18]. Zu einer derartigen "Komplextherapie" gehört selbstverständlich auch die Pharmakotherapie die in noch gar nicht so sehr lange zurückliegenden Zeiten apodiktisch aus dem Kurort verbannt war. Heute kommt kaum ein Patient in den Kurort der nicht unter der Einwirkung irgendwelcher Medikamente steht - die präzise Abklärung des Stellenwertes der Physiotherapie und der Pharmakotherapie im jeweiligen Heilplan ist eines der wichtigsten Forschungsprobleme geworden. Wir haben in früheren Untersuchungen erweisen können daß sich derartige Interaktionen zwischen einer medikamentösen Behandlung und den verschiedensten Phasen einer Reaktionstherapie gut erfassen lassen [12] worauf noch einzugehen sein wird. Nach dem bisher Dargelegten ist der Einwand naheliegend im Kurort werde eine unkontrollierbare Polypragmasie nach dem Motto "für jeden etwas" betrieben die es unmöglich mache ein bestimmtes Therapieergebnis und damit eine bestimmte Indikationsabgrenzung zu objektivieren. Schon vom methodischen Standpunkt einer vergleichenden Therapieforschung her ist auf die Schwierigkeit oder auch Unmöglichkeit der Planung und Durchführung echter randomisierter blinder oder doppelblinder Therapieversuche im Kurort hinzuweisen - das multifaktorielle Gefüge des kurorttherapeutischen Gesamtregimes widersetzt sich diesbezüglichen exakten Forderungen sehr augenfällig. Und tatsächlich ist es ein durchaus reales zugleich aber auch wissenschaftlich sehr interessantes Problem warum in einem bestimmten Kurort recht verschiedenartige Krankheitsbilder mit gleich gutem Erfolg behandelt werden können und - vice versa - die gleiche Krankheit in unterschiedlichsten Kurorten: - nach Heubner eines der "wahrhaft medizinischen" Probleme (zitiert nach [35]). Dazu ist dreierlei zu sagen: Eine derartige skeptische Einstellung wäre der Zeit angemessen in der eine wie sie sich nannte Naturheilkunde die wissenschaftlich-klinische Diagnose einer Krankheit gegen die viel höher eingeschätzte "Bedeutungsdiagnose" [8] ausgetauscht wissen wollte. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die berühmten Streitgespräche zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde von Grote und Brauchle [8] und an die "Wege zum Verständnis der Naturheilkunde" Grotes [7]. Heute ist eine präzise nach klinischen oder funktionellen Leistungsstadien differenzierte Krankheitsdefinition selbstverständlich die Grundlage auch jeder Kurorttherapie. Sie muß zudem durch eine möglichst zutreffende "Reaktionsdiagnose" ergänzt werden die sich aus einer hinlänglichen Erfahrung in der Beobachtung des Kranken namentlich seiner Wärme- und Kältetoleranz seiner Kreislaufdynamik und Vasomotorenregulation und der Grundfunktionen von Atmung Stoffwechsel Leistungsfähigkeit und Schlaf d. h. der funktionellen und rhythmologischen Koordinierung koaktiver Verbundleistungen des Organismus ableiten läßt. Hierauf baut sich der komplexe Therapieplan auf der dann keine Polypragmasie sondern eine sehr gezielte und differenzierte Regimegestaltung darstellt. Zweitens ist - um nochmals an die schon zitierte Definition von Neer-Gards anzuknüpfen - die Reaktion des Kranken das Entscheidende. Aus ihr leitet sich die Nötigung ab die Therapie sehr individuell zu dosieren und zu dirigieren wobei die Tagesrhythmik und die individuelle Reaktionsgüte des Kranken die Hauptrolle spielen. Bei weitem nicht immer können hierzu funktionsdiagnostische Tests herangezogen werden - die Kenntnis des Kranken und seine Führung (nicht nur durch den Arzt sondern auch durch das mittlere medizinische Personal !) sind zumeist die entscheidenden Hilfen. In dieser Kunst waren gerade die älteren Kurortärzte erstaunlich versiert und auch dann noch zu gewissen Erfolgen befähigt wenn die zugrunde liegende Krankheit nur unvollständig oder gar nicht erkannt war. Trinkkuren z. B. verlangen eine sehr sorgfältige derartige Reaktionskontrolle: So kann um ein Beispiel zu nennen die gleiche alkalische Trinkquelle die Hyperacidität des Magens kompensieren oder noch provokativ steigern. Dies kann kurzzeitig nacheinander und in wechselnder Abhängigkeit von den Mahlzeiten u. ä. m. geschehen - die Kenntnis des "acid rebound"-Effektes nach Alkaligaben ist sehr entscheidend für die erfolgreiche Kur. Derartige Prozesse sind uns ja eigentlich erst durch das kybernetische Denkkonzept auch in der Medizin voll verständlich geworden. Sie tragen sehr zur Erklärung unerwarteter Erfolge oder Mißerfolge der Kurorttherapie bei. Das Dritte ist der vorwiegend unspezifisch stimulierende Effekt der den natürlichen bzw. physikalischen Therapiefaktoren zuzuschreiben ist. Wenn man sich auch im Zeitalter der Molekularbiologie scheuen mag spezifische von "unspezifischen" Reaktionen prinzipiell trennen zu sollen so mag diese Unterscheidung als didaktisches Provisorium noch gelten dürfen um das Unterschiedliche zu kennzeichnen das zwischen einer Anregung von Kreislauf Atmung und Psyche durch eine Bewegungs- oder Hydrotherapie und etwa der spasmolytischen Wirkung eines Pharmakons besteht. Die Physiotherapie als deren komplexer Prototyp die Kurorttherapie angesprochen werden darf muß so kann man es etwas simplifiziert ausdrücken sich um alles das beim Kranken bemühen was nicht im Einflußbereich der Pharmakotherapie liegen kann; das bedeutet eine möglichst gute Leistung der wichtigsten Körperfunktionen zu erreichen um die Hygiogenese rascher zu befördern. Damit werden Behandlungserfolge auf primär weniger durchschaubaren indirekten Wegen erzielt. Hierzu ist nun die Form der Reizserientherapie z. B. mit Temperatur- Strahlungs- elektrischen oder mechanischen Reizen besonders geeignet. Sie zwingt den Organismus zu adaptiven Leistungen wobei solange dies in vernünftigen Grenzen geschieht der jeweils erreichte Adaptationsgrad eine Begünstigung der reaktiven Leistungsfähigkeit bedeutet. Wir wissen heute daß Streßfreiheit schädlich ist und daß dem Streß solange positive Qualitäten zuzuschreiben sind als er in bestimmten und bestimmbaren Grenzen gehalten oder beispielsweise durch ein wohlabgestimmtes System von Entlastung und Belastung - einem Handlungsprinzip der Physiotherapie (Jordan [14]) - unter Kontrolle gebracht werden kann. Das Problem ist hierbei derartige therapeutische Streßquantitäten ausfindig zu machen die ihnen zugehörigen Adaptate zu definieren und sie dem jeweiligen Adaptationsgrad zielstrebig anzupassen. Entlastende Prozesse wie psychische Abschirmung und Entspannung die biorhythmische Eukymatie Abbau der Luxuskonsumtion der Genußmittel und der entbehrlichen Medikamente gegebenenfalls Fasten Laxieren müssen unter Umständen voraufgehen. So deuten beispielsweise erste eigene Untersuchungsergebnisse darauf hin daß bestimmte Moorbäderbehandlungen deren jeweiliger "Streßwert" an der täglichen Ausscheidung der Vanillinmandelsäure (als Parameter des Adrenalin- bzw. Noradrenalinstoffwechsels) ablesbar wird oberhalb gewisser Grenzen den Binde- gewebsstoffwechsel von Kranken mit chronisch entzündlichen rheumatischen Gelenkerkrankungen ungünstig beeinflussen. Es erscheint möglich durch Verlaufskontrollen dieser Art einen Maßstab für eine abgestufte Moorbädertherapie zu gewinnen. Bajusz hat der Kurorttherapie die Bezeichnung "Streßtherapie" beigelegt [1]; sie ist sicherlich von der Definition her anfechtbar. Bestimmte Beobachtungen aber lassen sich in diese Richtung deuten. So gelingt es beispielsweise erfahrungsgemäß während einer Moorbädertherapie im Kurort bei rheumatoider Arthritis oder im Zuge der Klimatherapie des allergischen Ekzems die medikamentöse Behandlung mit Kortikoiden erheblich oder ganz einzusparen. Jede Kurorttherapie ist durch eine bestimmte Abfolge reaktiver Phasen charakterisiert deren wichtigste die von uns als "histiotrope Umstimmung" bezeichnete etwa im Übergang von der dritten zur vierten Behandlungswoche ist. Diese Umstimmung bedeutet offenbar das regulative Wiedereinschwingen des Organismus nach einer voraufgegangenen auslenkenden Stimulierung in der sogenannten Akklimatisationsphase. Sie wird auch als "cholinergtrophotrope Endphase" [30] als "Normalisierungseffekt" [11] oder ganz allgemein als "Kureffekt" [28] bezeichnet. Ohne Abb. 1. Beeinflussung des Pholedrintestes im Kurverlauf (25 Patienten Verhalten des systolischen Blutdruckes über 30 Minuten in der 1. 2. 3. und 4. Kurwoche) Eine etwaige Medikamentenwirkung wird wie schon angedeutet durch diese Änderung der vegetativen Reaktionslage nachweislich moduliert wobei Verstärker- und Tempoeffekte (= Verlangsamung oder Beschleunigung des Wirkungseintritts) beobachtbar sind. Dies hat seine Bedeutung für die Führung der medikamentösen Therapie ebenso wie für den Ausfall und die Bewertung von Funktionstests auf pharmakologischer Grundlage oder für den Einsatz etwa notwendiger medikamentöser Korrekturen unerwünscht starker Kurreaktionen (Jordan [19]). Die Abbildung 1 möge dies am Beispiel des Pholedrintests (Reaktion des systolischen Blutdruckes auf ein Sympathikomimetikum) beleuchten. Man erkennt deutlich die abgeschwächte Blutdruckreaktion (Mittelwerte) von der 1. zur 4. Kurbehandlungswoche. Der Ausdruck "histiotrope" oder "trophotrope" Phase ist nicht ohne Absicht gewählt. Es läßt sich nämlich das vielgestaltige klinische Bild dieser Phase nicht etwa einfach in das bekannte "vegetative Bäderschema" nach Hoff einordnen und entspricht keinesfalls einem "vagotonen" Gesamt-Endzustand des Organismus. So verteilten sich z. B. 28 Kurtodesfälle eigener Beobachtung (1955/56) wie folgt [19]: Kurtage 1 - 10 11 - 25 26 - 35 Todesfälle 3 18 7 Der Charakter derartiger Reaktionen wird besonders gut sichtbar wenn man die Änderung der kollektiven Streuung relevanter reaktionstypischer Meßwerte von Tag zu Tag analysiert. Verfolgt man mit dieser in unserem Arbeitskreis von Wagner (Lit. s. bei Jordan [17]) inaugurierten Methode der "interdiurnen Streuungsänderung" die kollektivtypischen Verhaltensweisen dann läßt sich in der histiotropen Umstimmungsphase eine konstante Verminderung der Streuungen ermitteln während in den vorangegangenen Phasen besonders der "Akklimatisationsphase" das Gegenteil der Fall ist. Zunahme der Streuung bedeutet aber eine gleichzeitige Zunahme von Plus- und Minusabweichungen und spiegelt damit eine kollektive Labilisierung in ambivalenter Richtung wider - das Gegenteil wird in einer Verminderung der Streuwerte dokumentiert. Die Aussagekraft derartiger biometrischer Untersuchungen möge die Abbildung 2 unterstreichen die die Streuungen der täglichen Änderungen des Körpergewichtes gegenüber der einfachen Mittelwertverlaufskurve unter einer gezielten Reduktionsdiät von 1200 Kcal über 32 Tage bei 38 Adipösen darstellt. Man sieht unschwer daß zwischen 10. und 15. Tag bei völlig gleichmäßig absinkendem mittleren Körpergewicht eine erhebliche Streuungszunahme der Gewichtsänderungen einsetzt später von kleineren Schwankungen ähnlicher Art gefolgt. Das bedeutet daß in dieser kritischen Zeit ein nicht unerheblicher Teil der Patienten unter währender Reduktionskost keine Gewichtsabnahme oder sogar eine Gewichtszunahme erfährt. Eine derartige Verhaltensweise stellt sicherlich ein ganz allgemeines kollektivtypisches Reaktionskriterium dar. Ein ähnliches Registrierbeispiel zeigt z. B. die Abbildung 3 die die täglich gemessenen Streuungsänderungen der Puls- und Atemfrequenz während eines massiven Klimawechsels (Hochseeklimakur 1965 im November/Dezember über Rostock die hochstürmische Biskaya in das Klimazielgebiet der Kanarischen Inseln [27]) wiedergibt. Ohne Abb. 2. Mittelwerte des Körpergewichtes von 29 männlichen Adipösen bei einer Reduktionsdiät von 1200 Kcal. über 32 Tage (oben) und die Streuung der täglichen Änderungen der Körpergewichte (unten) Die beschriebene und eigentlich ausnahmslos beobachtete Verminderung der Streuung gegen Ende der Kurorttherapie ist ein wichtiges Glied in der Beweiskette gegen die Meinung daß es sich bei den in der histiotropen Phase beobachtbaren Normalisierungsvorgängen um Zufallseffekte etwa im Sinne des sogenannten "a:(a-b)-Effektes" nach von der Bijl [2] handle. Dieser Effekt tritt als "einer der 5 Fehlerquellen biologischer Statistik" d. h. als rein zufällig immer dann auf wenn Veränderungen von Meßwerten beurteilt werden sollen die kreisverteilte d. h. regulierte Körperfunktionen repräsentieren. Findet man für eine solche Körperfunktion zum Zeitpunkt a einen relativ hohen Meßwert so wird dieser mit großer Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt b nicht wieder gleichhoch sondern niedriger befunden werden und umgekehrt. Die Korrelation a:(a-b) muß demnach einen praktisch immer relevanten Grad an Zufälligkeit besitzen; allerdings ist dann auch zum Zeitpunkt a bzw. b eine gleiche zufällige Streuung zu fordern. Dies aber ist wie wir sahen mit absoluter Regelmäßigkeit bei den unter der Kurorttherapie zu beobachtenden Veränderungen nicht der Fall. Die Abnahme der Streuung bedingt eine Drehung der Regressionsgeraden gegen die Regressionslinie bei angenommener Streuungsgleichheit womit sich der aleatorische vom nichtaleatorischen Anteil trennen läßt. Ohne Abb. 3. Streuungen der täglichen Änderungen von Pulsfrequenz (oben) und Atemfrequenz (unten) während einer maximalen Klimaänderung im Verlauf der Hochseeklimakur 1965 (aus: Linser und Kleinsorge [27]) Die "Ausgangswert-Endwertproblematik" [20] spielt bei allen Untersuchungen über therapeutische Effekte eine ausschlaggebende Rolle. Ihre Vernachlässigung führt zu Fehlschlüssen in der Bewertung. Daß "hohe Werte" abnehmen und "tiefe Werte" zunehmen ist beispielsweise solange kein Beweis eines "Normalisierungseffektes" solange die Streuung der Meßwerte zu Beginn und zu Ende der Beobachtung nicht deutliche Unterschiede aufweist. Die Kurreaktionen sind sehr wesentlich durch das Alter der Patienten mitbestimmt. "Die Wirksamkeit einer jeden Therapie steht in enger Beziehung zur Biomorphose" formulierte Max Bürger einmal [3] - jede Kurorttherapie besitzt dementsprechend auch eine spezielle geriatrische Problematik (Jordan und Wagner [21]). Ähnliche Differenzen in der Ausprägung der Kurreaktionen lassen Männer und Frauen erkennen. Eine Kureffekts- oder -erfolgsbeurteilung ohne Auftrennung nach diesen beiden Parametern Alter und Geschlecht muß von biometrischer Warte aus als unzulänglich bezeichnet werden. Derartige Grundforderungen werden in der vergleichenden Therapiebeurteilung nicht selten völlig außer acht gelassen. Ein gleiches gilt für Krankheitsgruppen Krankheitsstadien Therapiegruppen und - das ist erst in jüngster Zeit genauer untersucht worden - für die Jahreszeit in die eine Kurortbehandlung fällt. Die Reaktion des Menschen auf die saisonalen Änderungen des Lichteinflusses und des Klimas einschließlich des Wetters ist sicherlich ein endogenes Geschehen welches durch jahreszeitlich variable äußere Zeitgeber synchronisiert wird. Es könnte sein daß dabei der jeweiligen Licht-Dunkel- Relation d. h. praktisch der Tag- oder Nachtlänge eine fundamentale Bedeutung zukommt. Dabei mag der Zeit zwischen Februar und August eine insgesamt stärker stimulierende der anderen Jahreshälfte eher eine entgegengesetzte Reizcharakteristik zuzuschreiben sein. Aus Untersuchungen unseres Arbeitskreises in Heiligendamm ergibt sich z. B. daß sehr charakteristische Merkmale der Kurreaktion wie etwa Schlafstörungen ganz eng mit dem Auftreten von strahlungsreichen Tagen im Winter und strahlungsarmen im Sommer gekoppelt sind - praktisch also Situationen die der sommer- bzw. winteradaptierte menschliche Organismus als ungewöhnlich empfinden muß [24]. Als Beispiel für derartige saisonale Einflüsse auf die Ergebnisse der Kurorttherapie sei der Zusammenhang zwischen Morbidität Kurerfolgen und den sehr guten Kureffekten nach einer Klimakur beim endogenen Ekzem dargestellt. Abbildung 4 zeigt daß das Maximum der sehr guten Kurbehandlungsresultate in den Monaten zu erwarten ist die dem Frühjahrs-Morbiditätsmaximum dieser Erkrankung unmittelbar folgen (April bis Juni); eine entsprechende Korrelation fehlt jedoch zum Zeitpunkt des 2. Morbiditätsgipfels in den Monaten September/Oktober. Für die langfristigen "Kurerfolge" fällt dagegen die Koinzidenz mit den beiden "Morbiditätsmaxima" ins Auge [37]. Die in diesem Blickwinkel von Klinker [22 23] erarbeiteten Ergebnisse lassen sich zusammenfassend dahingehend interpretieren daß mit großer Regelmäßigkeit - wenn auch nicht starr - eine 10fache Oberwelle der Jahresrhythmik d. h. eine 35-Tage-Rhythmik vorliegt deren Einfluß auf Kurreaktionen und Kureffekte unbedingt diskutiert werden muß. Ohne Abb. 4. Kureffekte (oben) und Kurerfolge (Mitte) von Klimakuren bei endogenem Ekzem in Heiligendamm sowie die saisonale Verteilung der Morbidität (unten) von insgesamt 1675 Kranken (aus: Serowy und Klinker [37]) Aus diesen Oberwellen lassen sich wenn man beispielsweise tägliche Messungen bestimmter funktioneller Parameter vornimmt kleinere Perioden abgliedern die örtlich bedingte Phasendifferenzen aufweisen. So kann man beobachten daß Personen die etwa aus dem Süden unserer Republik an die Ostseeküste reisen nach sehr kurzer Latenz aus der gewohnten in die jeweilige Ortsphasenlage einschwingen wobei die rhythmische Grundfrequenz einer ungefähr 7tägigen Periodik beibehalten wird. Ein derartiger 7-Tage-Rhythmus der sich typischerweise auch bei den sogenannten "Kurreaktionen" (Eintrittsreaktion Akklimatisations- reaktion histiotrope Umstimmung Kurendreaktion) [18] auffinden läßt ist nicht als ein einfacher "Wochenrhythmus" anzusprechen wie er offensichtlich durch die stereotype Abfolge von Arbeits- und Ruhetagen der normalen Arbeitswoche ausgelöst werden kann. Dies läßt sich beim Vergleich der "Kurtage" gegenüber den "Wochentagen" leicht zeigen. Dennoch besteht eine solche endogene "Circaseptan-Rhythmik" mit nachweislichen reaktiven Maxima und Minima. Bei den schon erwähnten Schlafstörungen konnten z. B. Phasenverschiebungen festgestellt werden die einer 14tägigen (d. h. 2x7-Tage-Periodik) entsprechen. Es läßt sich an diesen wenigen Beispielen so hoffe ich schon begründen daß eine richtig durchgeführte Kurorttherapie stets ein Mehr an gesundheitsfördernden Effekten aufweisen muß als eine anderweitige ambulante oder gar stationäre Therapie. Und dies nicht deshalb weil im Kurort polypragmatisch gearbeitet wird sondern weil die Art der Inanspruchnahme der dortigen Heilmittel eine nicht unwesentliche Erweiterung des hygiogentischen Aktionsradius darstellt. Mit Recht kann deshalb die Kurorttherapie ihren definierten Platz in der medizinischen Rehabilitation beanspruchen. Natürlich läßt sich auch die Krankenhaustherapie durch einen verstärkten Einsatz von physiotherapeutischer Behandlungsmethoden in ähnlicher Richtung verbessern - besonders dürfte dies für die Chirurgie und die Innere Klinik zutreffen. Jede Operation und jede erzwungene längere Bettruhe sind Belastungs- und Schädigungsmomente gegen die der Organismus des Kranken widerstandsfähig gemacht und erhalten werden muß. Besonders in den angelsächsischen Ländern spielt deshalb die präoperative und postoperative Physiotherapie eine dominierende Rolle; bei uns beginnt sich dies eben erst anzubahnen. Dieses "Mehr" an Therapie ist nun auch untrennbar mit dem Prozeß der Erholung verbunden die ihrerseits eben nicht allein über eine passive Abschirmung sondern nachhaltig vor allem über einen aktiven Weg erreicht werden kann. Auch für die Erholung trifft das Prinzip der gelenkten "Entlastung und Belastung" [14] zu von dem schon die Rede war. Es gilt hierbei noch heute unverändert die Erkenntis Setschenows aus dem Jahre 1906 [38] daß der Erholungsvorgang über einen aktiven Weg schneller und nachhaltiger vollzogen werden kann als über einen passiven daß also "sicherholen" heißt etwas anderes zu tun als das, was müde gemacht hat [4]. Der Grad der Erholungsbedürftigkeit bestimmt dabei die Intensität des Erholungsvorganges; in diesem Sinne bestehen wesentliche Unterschiede zwischen kurz- mittel- und langfristiger Erholung wie dies das in der Abbildung 5 wiedergegebene Schema zeigt. Abb. 5. Erholungsbedürftigkeit und Erholungsvorgang (zur Layout-Ansicht wechseln !) II Die praktische Realisierung einer solchen Kurorttherapie stößt nun auf mancherlei Schwierigkeiten und Probleme. Hierbei ist vordergründig der sachlich und seitlich optimale Einsatz der Kurorttherapie im Rahmen des Gesamtheilplanes des Kranken sowohl als Problem für den einweisenden Arzt als auch für die Organisation des Kurablaufes anzusprechen. Die Handlungsfreiheit wird hierbei entscheidend durch die Diskrepanz zwischen Kurenbedarf und Kurmöglichkeiten und das Erfordernis einer optimalen Kurbehandlungsdauer limitiert. Gegenwärtig können wir mit einer Kapazität von etwa 127 Kuren auf 10000 Einwohner rechnen. Über ein gezieltes rationalisiertes Einweisungssystem läßt sich eine gewisse Optimierung der Verhältnisse erreichen. Wesentlich ist ferner die Forderung nach einem möglichst förderlichen Milieuwechsel während der Kur womit unter anderem auch das Problem der territorialen Verteilung der Kuren angesprochen sei. Gewiß ist der Arzt in dem Kurort in der Lage eine Therapie nach bioklimatologischen Gesichtspunkten durch Modifizierung des Lokalklimas zu ermöglichen aber größere Klimadifferenzen lassen sich künstlich nicht herausarbeiten; sie sind allerdings auch durchaus nicht immer erforderlich. Die historisch entstandenen Kurorte stellen von ihrer örtlichen Lage her reale Gegebenheiten dar was u. a. auch dazu führt daß die einzelnen Bezirke der Republik unterschiedliche Kurenlasten tragen ein Gesichtspunkt der gewisse ökonomische Berechtigung hat. Dies zeigt die Abbildung 6. Ohne Abb. 6. Kurenbilanz der Bezirke der DDR (EDV 1974). Schraffiert: Zahl der Kuren in den Kureinrichtungen des Bezirkes weiß: Zahl der Bürger des Bezirkes die eine Kur durchführen Je nach dem Vorhandensein der natürlichen Heilmittel der medizinischen Fachkader und der Gesamtausrüstung bietet jede Kureinrichtung ein bestimmtes Indikationsprofil dessen fachlicher Zuschnitt und dessen Teilkapazität mit den sozialmedizinischen Gesamterfordernissen bestmöglich in Einklang gebracht werden muß. Unsere Kureinrichtungen besitzen derzeit einen Profilierungsgrad von etwa 80% d. h. daß 80% der zu einer Kur eingewiesenen Kranken auch tatsächlich der jeweiligen Hauptindikation der Einrichtung voll entsprechen. Gewiß läßt die relativ breit variierbare Komplextherapie im Prinzip eine Ausweitung der Indikationspalette zu. Es ist aber aus Rationalisierungsgründen richtiger die Indikationsebenen nicht zu verbreitern. Vielmehr muß z. B. die Forderung abgesichert werden daß im gleichen Indikationsprofil Kuren für Kinder für geriatrische Kranke für Blinde Körper- geschädigte Diabetiker d. h. für Kurpatienten mit besonderen Ansprüchen an die Betreuung ermöglicht werden falls sie bei diesen Personen notwendig werden. Dieser Intensivierungsprozeß besitzt gegenüber einer extensiven Erweiterung unbedingt den Vorrang. Bestimmte Kurorttherapiemöglichkeiten wie z. B. die Hochgebirgs- klimatherapie sind in der DDR nicht gegeben; hier setzt eine (natürlicherweise begrenzte) Kooperation mit denjenigen sozialistischen Ländern ein die über solche Gegebenheiten verfügen. Die Zahl der in diesem Sinne erforderlichen und ökonomisch durchführbaren Auslandskuren beläuft sich gegenwärtig auf etwa 4 1% für Erwachsene und 7 2% für Kinder (EDV des Kur- und Bäderwesens der DDR 1974). Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist das Vorhandensein natürlicher Heilmittel nicht mehr die condition sine qua non sondern nur ein besonders günstiger Umstand für die Planung und Entwicklung von Kurorten. Kurorte sind prinzipiell planbar; in Ländern mit diesbezüglichen territorialen und ökonomischen Möglichkeiten wie z. B. der Sowjetunion werden solche medizinischen Einrichtungen an Orten mit erschließbaren natürlichen Heilmitteln und günstigen bioklimatischen Bedingungen planmäßig entwickelt. sicherlich ist gegebenenfalls eine derartige Neuschöpfung eines Kurzentrums die ökonomisch bessere Lösung gegenüber den ständigen Rekonstruktionsnotwendigkeiten der historisch gewachsenen Kureinrichtungen mit ihrer meist doch unzulänglichen Gesamtsituation. Diese wird erst dann richtig offenbar wenn man die vier Grundforderungen bedenkt die an eine Kureinrichtung gestellt werden müssen wenn sie medizinisch und ökonomisch gleichermaßen rentabel sein soll. Diese Grundforderungen sind - Absicherung einer fachklinischen korrekten Kurorttherapie in ihrer zeitlich optimalen Position im Gesamtheilplan - Absicherung der gezielten Komplextherapie - Ganzjährige Nutzung der Kureinrichtung - Absicherung einer aktiven Therapie und Erholung einschließlich der Gesundheitserziehung und der Subsistenztherapie. Das Gewicht und der Umfang eines solchen 4-Punkte-Programms sind leicht auszurechnen - ich erinnere nur beispielhaft an das Problem der Gymnastik- und Schwimmhallen der Terrainkurmöglichkeiten und der lokalen Klimatherapie in fast allen unseren Kurorten - ohne seine Realisierung aber bleiben wichtige reale Potenzen der Kurorttherapie ungenutzt. In diesem Zusammenhang ist auch an die territoriale Ausdehnung und die Flächenrelation zu erinnern die im Kurort gewahrt sein muß wenn er seine Funktion ausreichend erfüllen will d. h. Flächen für Unterbringung und Betreuung für Freizeit und Erholung für aktive Therapie und bioklimatische Therapie zusätzlich aber auch Flächen für den Schutz der Heilfaktoren. Fläche je Bürger in den Stadtkreisen der DDR 574 Quadratmeter Fläche je Bürger im Gebiet der DDR außerhalb der Stadtkreise 8643 Quadratmeter Bad Elster Fläche je anwesende Person 19.625 km² 9000 Personen 2181 Quadratmeter Abb. 7. Flächenvergleich pro Bürger der Republik in Stadtkreisen außerhalb der Stadtkreise und im Kurort Bad Elster (unter Benutzung des Statistischen Jahrbuches der DDR 1973) (zur Layout-Ansicht wechseln !) Ein Beispiel zur Situation zeigt die Abbildung 7 mit einem Vergleich der Fläche die einem Bürger in den Stadtkreisen außerhalb derselben und im Kurort Bad Elster zur Verfügung steht. Eingeschlossen in diese Fläche sind die Schutzzonen für die Mineralwässer Bad Elster für sein balneoarchitektonisches geopsychisches und bioklimatisches Kurmilieu und für den äußeren Kurbereich der den Kurpatienten als Wanderraum zur Verfügung steht wie dies Abbildung 8 zeigt. Aus dieser Darstellung erkennt man gleichzeitig die Bedeutung des Waldes in seiner Rolle als lokalklimatologischer Faktor Schattenspender Lärm- und Staubschutzelement kurz bezüglich seiner Komitativeffekte wie man sie nennt [34] die es gegenüber z. B. forstwirtschaftlichen Nutzungsgesichtspunkten oft energisch zu verteidigen und zu erhalten gilt. Ohne Abb. 8. Kurbereich und Schutzzonen für Heilwässer und Bioklima des Kurortes Bad Elster Kurorte sind unweigerlich Ballungsräume - nicht nur durch die Vielzahl der dort weilenden Kurpatienten selbst sondern auch durch ihre allgemeine Attraktivität für Touristen. Es ist durchaus ein Problem hier die richtigen und vertretbaren Relationen zu finden um durch den Ballungseffekt den Kureffekt nicht zu gefährden. Hier ist vordergründig den Forderungen des Arztes Rechnung zu tragen. Dabei ist der Kurort auch als "psychischer Ballungsraum" zu verstehen - es gibt durchaus jene "psychologia balnearia" von der Hermann Hesse so anschaulich in seinem "Kurgast" [10] erzählt - die zwar ". . . eines der großen Geheimnisse und Zaubermittel aller Kurorte" sein kann: " . . . die Leidensgenossenschaft das socios habere malorum" die aber auch eine unerwünschte und negative Atmosphäre heraufbeschwören kann. Krankheit und Kranksein können im Kurort zum dominierenden Gesprächsthema derer werden die Heilung suchen - nicht immer zum Nutzen des Kranken und zumeist erst recht nicht im Interesse des Arztes. Auch kann die Kurorttherapie zu einer passiven Grundeinstellung des Kranken verleiten mit dem "etwas geschieht" der "behandelt" wird. Beidem muß eine bewußt gestaltete aktive Therapie und Gesundheitserziehung im adäquaten Milieu entgegensteuern. Des weiteren ist der Tatbestand der fortschreitenden Urbanisation der Kurorte ein in allen Ländern erkanntes Problem geworden; die ständige Forderung nach Verbesserung des Komforts der Sauberkeit des gastronomischen Niveaus u. ä. hat diesbezügliche Konsequenzen. Nicht zuletzt ist die Ansiedelungstendenz in und um den Kurort nach wie vor spürbar; das Zersiedelungs- und Anrainerproblem führt nicht selten zur erheblichen Beeinträchtigung des medizinischen Nutzraumes von der ästhetischen Problematik die hiermit verbunden ist ganz zu schweigen. Auch für den unmittelbaren Kurmittelschutz ergeben sich dadurch konkrete Gefahren. Das Kurortstatut zu dessen Ausarbeitung jeder Kurort verpflichtet ist bietet in dieser Hinsicht eine gewisse gesetzliche Handhabe und stellt im Verein mit der erwähnten Kurortverordnung [39] und dem Landeskulturgesetz ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Kurortbelange dar wenn auch keineswegs voll ausreichenden Schutz. III Eine letzte Betrachtung gelte der Frage wie die Kurorttherapie sozialmedizinisch beurteilt werden muß. Der gesellschaftliche ökonomische Aufwand für die Kurorttherapie ist nicht unerheblich - was ist zum gesellschaftlichen Gewinn zu sagen? Man pflegt derartige "cost-benefit"-Analysen gerne am Vergleich der Arbeitsausfallstage vor und zu bestimmten Zeiten nach einer Kur aufzuziehen um auch ökonomisch konkrete Effektivitätskriterien zuhaben. Mit derartigen Berechnungen läßt sich gegebenenfalls wirkungsvoll argumentieren. Wir haben gleichzeitig mit polnischen Kollegen vor vielen Jahren erstmals solche Kalkulationen aufgestellt dabei aber auch die Probleme aufgedeckt die sich einer wirklich stichhaltigen Überprüfung derartiger Zusammenhänge in den Weg stellen. Sie liegen darin daß es zunächst nicht einfach ist repräsentative Zahlen über den Arbeitsausfall mit detaillierten Angaben über denjenigen Anteil der Arbeitsunfähigkeit zu erhalten der für das Krankheitsgeschehen repräsentativ ist dessentwegen die Kurbehandlung durchgeführt worden ist. Ferner sind die betreffenden Häufigkeiten des Arbeitsausfalls vor der Kur ausgesprochen rechtsschief verteilt wodurch statistische Berechnungen erschwert werden. Eine Häufigkeit der Krankmeldung wird ja zwangsläufig den Arzt veranlassen eine Kurbehandlung in Erwägung zu ziehen. Die Arbeitsunfähigkeit ist außerdem stark saisonabhängig mit einem ausgesprochenen Minimum im Sommer und schließlich sind die Kurpatienten einer beobachteten Stichprobe als Auswahlmaterial mit entsprechenden biometrischen Konsequenzen charakterisiert. Nicht zuletzt ist selbstverständlich daß ein eigenständiger epidemiologischer Trend der Arbeitsunfähigkeit vorhanden ist der entweder auf spontane oder durch anderweitige Therapie bedingte Heilungsprozesse zurückzuführen ist. Selbst unter voller Berücksichtigung dieser Einwände aber zeigen bereinigte Berechnungen daß z. B. bei Frauen eines chemischen Großbetriebes die durchschnittliche Arbeitsausfallszeit bis zu 24 Monaten nach einer Kur gegenüber 12 Monaten vor der Kur deutlich niedriger liegt (Abb. 9). Hierbei sind die jüngeren Altersgruppen gegenüber den älteren offenbar etwas begünstigt d. h. die AU-Zeiten sind also mit dem Lebensalter gekoppelt. Ich hatte bereits auf die geriatrische Problematik im Zusammenhang mit den Kurreaktionen hingewiesen. Dabei sei auf das Phänomen des Anstieges der Arbeitsunfähigkeit bis zum Kurtermin hin aufmerksam gemacht das die eben erwähnte rechtsschiefe Verteilung zeigt; hier spielt ein "Kurerwartungseffekt" sicherlich ebenso eine Rolle wie die richtige Entscheidung des Arztes zur Kurauswahl besonders indizierter Kranker. An der Signifikanz der erreichten Senkung der Arbeitsunfähigkeit in der Nachbeobachtungsperiode gegenüber dem Wert 12 Monate vor der Kur ist aber gar kein Zweifel. Ohne Abb.9. Arbeitsunfall wegen Krankheit vor und nach einem Kuraufenthalt. Angaben in Kalendertagen pro Patienten und Monat (532 Frauen eines Chemiegroßbetriebes der DDR) Tabelle 1 Arbeitsunfähigkeits-(AU)Tage von 1 167 Kurpatienten eines Chemiegroßbetriebes der DDR vor und 24 Monate nach der Kur geordnet nach den Diagnosengruppen der AU-Meldungen ------------------------------------------------------------------------------------------------------ AU-Tage AU-Tage %-Veränderung vor der Kur 24 Monate der
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