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December 2024

Ärztliche Anforderungen an den Charakter und die Gestaltung einer "Erholungslandschaft"

Journal/Book: Arch.Natursch.u.Landschaftsforsch.Bd.10 (1970) 2/3 199-206. 1970;

Abstract: Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster (Direktor: Prof. Dr. med. habil. H. Jordan) 1. "Erholungslandschaft" ist ein terminus technicus (6) der sich einer exakten und allgemein akzeptablen Definierung stark widersetzt. Ist schon schwer festzulegen was "Erholung" ist (16) so sicher noch schwerer wie eine Landschaft auszusehen habe die vorwiegend (ein Ausschließlichkeitsanspruch kann nur in sehr vereinzelten Idealfällen erhoben oder aufrechterhalten werden) der Erholung dienen soll. Den Gedankengängen A. v. Humboldt's folgend (15) kann "Landschaft" nicht nur als eine "räumliche Einheit der geografischen Synthese der örtlichen Verschiedenheiten und funktionellen Wechselbeziehungen der Litho- Hydro- und Atmosphäre" (38) naturwissenschaftlich verstanden oder allein als formale Kategorie (Naturlandschaft Urlandschaft Kultur- oder Wirtschaftslandschaft) gedacht werden. Bestimmend wird der Landschaftsinhalt die Funktionsanalyse der Landschaft (Landschaftsökologie) und über diese noch immer objektivierende Betrachtungsweise führt das Landschaftserlebnis hinaus das von Humboldt als ein "geheimnisvoller Verkehr" der Landschaftselemente "mit dem gemütlichen Leben des Menschen" (15) gekennzeichnet wurde. "Landschaftserlebnis" ist wohl so zu verstehen: eine intuitive Synopsis aller ihrer natürlichen oder künstlichen zufälligen oder geordneten rational erfaßbaren Elemente. In dieser Richtung liegen die Deutungen von Hellpach (12) Ponten (28) Simmel (26) Lehmann (24) Schultze-Naumburg (33) oder Schwenkel (34). Auf jeden Fall muß ein ärztlicher Aspekt der Gegenüberstellung der bewußten Begegnung von Mensch und Landschaft von einer solchen Position ausgehen (17). Landschaftserlebnis ist aber nicht ein rezeptiver sondern ein produktiver im Grunde künstlerischer Prozeß ein schöpferischer Akt von mehr oder minder hoher Intensität und Qualität bei dessen Vollzug Formen und Farben (12 36) das Raumerlebnis (10) oder rationale Bezüge (Szientifizierung (20) Zwecklandschaft (34) Landschaftsökologie (38)) eine wesentliche Rolle spielen. Dem geistig-seelischen Verarbeitungsvorgang kann ein körperlicher zugeordnet sein: Raum muß durchwandert werden um schöpferisch erlebt zu werden. Erwandertes ist Erfahrung; jede Landschaft fordert den Menschen: den stillen Wanderer den kühnen Sportsmann den zweckvollen Umgestalter - aber eben auch den Erholungsbedürftigen oder den Kranken der sich in sie hineinsehnt oder ihr fliehen möchte und damit den Arzt der diesen "Heilfaktor Landschaft" (18) nutzen will. Landschaft bedeutet immer auch "Lokalklima" ja sogar "Lokalwetter" - ersteres ist als ein konstant zu kalkulierender biotroper Wirkfaktor (Bioklima) anzusprechen während die jeweilige Wettersituation vorwiegend das psychische weniger dagegen das physische Reaktionsvermögen betrifft. 2. Die wesentlichen Kennzeichen der Landschaft wie sie der Arzt sehen möchte sind demnach folgende: 1. Der Raum bzw. der "Innenraum" als "Fern"- oder "Nahraum" (10) (Horizontfreiheit Geländeformung Bewuchs Bodenbeschaffenheit bzw. Begehbarkeit) 2. Das lokale Klima (Luv- und Leelagen Luftreinheit Sonnen- und Schattenbereiche Kaltluftsee- Nebel- oder Feuchtebildung Tag-Nacht Temperaturdifferenzen Sonnenscheindauer Niederschlagshäufigkeit Schneedecke) 3. Naturgegebene nutzbare Faktoren (Wasser bzw. Akratopegen Heilwässer Warmwässer bzw. Akratothermen Peloide Sonnenstrahlung Abkühlungsgröße) 4. Psychische Einflüsse ("Stimmung" der Landschaft (36) Abgeschiedenheit Bewältigungs- oder Überwältigungserlebnis landschaftstypische Geräusche Fremdlärm). In jedem dieser Faktoren sind logischerweise auch negative Effektivitäten gebunden die bei falscher Applikation oder bei abartiger Reaktionsweise dessen dem sie appliziert werden den "Heilfaktor Landschaft" in sein Gegenteil umkehren - wie dies von jedem Heilmittel bekannt ist. Und genau in diesem Umstand liegt die Schwierigkeit der Definition ja sogar bereits der Interpretation des Angriffes "Erholungslandschaft". 3. Es muß daher kurz dargestellt werden was unter "Erholung" zu verstehen ist um die Aufgabe klarzumachen die sich dem Arzt stellt der eine zielbewußte Steuerung der Konfrontation des Erholungsbedürftigen mit der Erholungslandschaft vollziehen soll. Erholung ist unter die hygiogenetischen Prozesse zu rechnen die insgesamt der "Wiederherstellung leistungsdienlicher Strukturen und Funktionen" dienen (29 S. 257). Sie ist definierbar als "die längere Zeit anhaltende Wiederherstellung normaler Reaktionsabläufe aus dem Zustand der Abspannung" (13). "Abspannung" Erschöpfung Ermüdung sind inzwischen hinreichend definierte Begriffe der funktionellen Pathologie geworden (29 S. 302 14 31 9 27 2). Die "Erholungsbedürftigkeit" entsteht aus vielseitigen Ursachen: Tempo der Zeit mit ständiger Heraufsetzung der Erlebnisreizschwelle (25) fortschreitende Erlebnispassivität (21) Ernährungsfehler und Genußgifte zunehmende körperliche Inaktivität Verweichlichung Zivilisationsanheliose (chronischer Besonnungsverlust (22)) Lärmbelästigung (1) falsche Gestaltung der Arbeitsphase (Überforderung Monotonie Leistungslohn Wechselschicht oder Nachtarbeit (26) Konfliktsituationen (32) Dysrhythmie (19) bereits vorliegende psychische oder physische Erkrankungen bzw. die "Gesamtgeschichte der Persönlichkeit" (4) Unterschiedlichkeit des Reaktionstypus (23) des Adaptationsgrades (30) und der Situationseinschätzung (4). Ermüdung kann grundsätzlich sowohl durch eine als auch für eine psychische oder physische Leistung gegeben sein (41). Die Erholung besteht demnach in der systematischen Überwindung dieser vielschichtigen zur Abspannung führenden Bedingungen und ist - aufbauend auf den Erkenntnissen Setschenows 1903 (5) - nicht nur als passiver ( Abschirmung) sondern als aktiver Prozeß zu interpretieren ("etwas anderes tun als das was müde gemacht hat" (8)). Das gilt zwar besonders für die geistige trifft aber auch für die körperliche Ermüdung zu. Im Prinzip sind es demnach passive entlastende (Wegfall der ständig das psychophysische Gleichgewicht auslenkenden Stimuli und damit Verminderung der Reizbeantwortungsnötigung Erreichung einer Eurhytmie) und aktive belastende (Übung untertrainierter regulativer Funktionen Schaffen und Aufrechterhalten eines nicht mehr oder zumindest vermindert wirksamen pathogenen Milieus) Maßnahmen die hierbei zur Geltung gebracht werden müssen (19). Es entspricht den von Hellpach (12) formulierten "Reizgesetzen" daß "je schonungs- erholungs- ausspannungs- oder genesungsbedürftiger ein Organismus ist desto reizmilder auch der ihm zugemutete Klimawechsel sein muß da die Reizbarkeit (das gilt allgemein nicht nur für Klimareize) eines Organismus um so empfindlicher ist je weniger normal er als Ganzes oder in einzelnen Teilen funktioniert . Der Erholungsprozeß dauert längere Zeit; je nachdem wieviel "Restmüdigkeit" bei kurzdauernden und im Prinzip ungenügenden Erholungsvorgängen (tägliche oder Wochenend-Erholung) verbleibt die in ihrer endlichen Aufsummierung den Grad der Erholungsbedürftigkeit bestimmt. Die ungenügende "Kurzerholung" kann sich gerade in besonders auffälliger Weise als pathologischer Prozeß auswirken (Leistungsminimum zu Beginn und am Ende der Arbeitswoche (37)) blauer Montag Montagshäufigkeit der Verkehrsunfälle durch Intensivierungszwang des Kurzurlaubs erhöhte Unfalls- oder Schädigungsgefahr u.ä. m.). Als notwendige Erholungsfrist gilt daher allgemein eine Mindestzeit von 3 Wochen (13). Entsprechend muß eine Erholungshygiene die tägliche die wöchentliche und die jährliche Erholungs- und Urlaubsgestaltung planen; dies nicht nur hinsichtlich der Länge der Erholung sondern auch ihrer "Intensität" (Erlebnisüberfütterung "Programm-Reise") und ihrer Ablaufscharakteristik ("Entmüdungsvorgänge" Urlaubsreaktionen" mit der Typik von Umstimmungsvorgängen im Organismus). 4. Die sich im Begriff "Erholung" zusammendrängende Problematik konnte nur in aller Kürze angedeutet werden. Die Rolle die die Landschaft in diesem Zusammenhang spielen kann ist damit aber schon deutlich vorgezeichnet. Die Gegenüberstellung von ästhetischem "Landschaftserlebnis" und "Landschaftswert" von "Geurgie" und "Geopsyche" (12) oder von "Er-Lebens-Raum" zu "Lebensraum" - gewinnt maximal Bedeutung im Sinne des zur Erholung erforderlichen Milieuwechsels ("Tapetenwechsel"). Wir fordern "günstige geopsychische Bedingungen" für eine solche Landschaft ohne indessen allgemeingültige Definitionen hierfür geben zu können. Sicher gelten hier "statistische" Maßstäbe - was "allgemein" als geopsychisch günstig bezeichnet würde (reiche Landschaftsgliederung in Berg und Tal Weitläufigkeit im Wechsel mit Unterbrechungen von Form Farbe oder Beschaffenheit genügende Horizontenfreiheit ohne Eintönigkeit des Blickfeldes Wechsel von Land und Gewässer von Sonne und Schatten Variationen im Bewuchs mehr "lieblicher" als "majestätischer" Gesamteindruck) kann im Einzelfall genau das Falsche sein: Die ruhige weite Fläche der See kann beruhigen oder niederdrücken das majestätische Gebirge kann einen maximal belebenden oder zermürbenden Eindruck auslösen das bunte Vielerlei des Mittelgebirges kann zerstreuen aber auch keine Ruhe finden lassen - kurz weil der Mensch (und insbesondere der erholungsbedürftigte) in erster Linie die Landschaft erlebt sein Geist diese Landschaft "umdichtet" (24) und sie nicht nur rational als den ihm nunmehr amtlich zugewiesenen "Erholungsraum" bewertet wird die Auseinandersetzung mit den Landschaftselementen unter Umständen sehr abweichend vom allgemeingültigen Klischee (Prospekte ! 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Sie muß dem bisher Gesagten entsprechend - 1. das psychische Erholungsmoment berücksichtigen: Entfernung ästhetisch störender Elemente aus dem Landschaftsbild; Anlage von Grünflächen Gehölzgruppen (7) Rabatten künstlicher Gewässer Aussichtsplätze; Ausschaltung von Lärmquellen; angepaßte Architektur der erforderlichen Bauten; 2. den Erfordernissen der körperlichen aktiven Erholung Rechnung tragen: Ausbau von Schwimm- und Badegelegenheiten bzw. wassersportlichen Anlagen (unter möglichster Nutzung natürlicher Gewässer); Bereitstellung von winterfesten Rodel- und Skigelände; Anlage von Terrainkurpisten (möglichst different nach Länge und Steigung nach Sonne und Schatten Sommer- und Winterwege (39 40); Einbau von Sport- und Spielgelegenheiten in das Landschaftsgefüge (nicht nur offizielle "Spielplätze" !) Liegewiesen Luft- und Sonnenbäder; Ausgestaltung weiterer Wanderwege (Aussichtsplätze Schaffung von Durchblicken Rastmöglichkeiten Sicherheitsvorkehrungen a. u.); 3. der Nutzung des gegebenen Bioklimas dienen (das seinerseits durch landschaftsgestalterische Maßnahmen mehr oder minder merklich beeinflußt werden kann): Anlage von Windschutzstreifen; Maßnahmen zur Begünstigung der lufthygienischen Situation (Aufforstung bzw. Erhaltung von Wäldern (42) (11); Beseitigung oder Vermeidung von stauberzeugenden Flächen Verhinderung von Belästigungen durch Rauch Ruß oder Abgase); Anlage sonnenbegünstigter windgeschützter Plätze für Sonnen- und Luftbäder bzw. Wanderwege; Ausbau von lokalbioklimatisch nach Strahlungsgenuß und Abkühlungsgröße differenzierten "Therapie"-Plätzen; Sorge für genügend Schattenspender (Variationen im Lokalklima quantitative Planung der "grünen Lunge" (3); 4. vorhandene natürliche Heilmittel nutzbar machen: Wiesen Wasserläufe zum Tau- bzw. Wassertreten; "Schwingweg"-anlagen in moorigem Gelände; eventuell Bade- oder Trinkmöglichkeiten von Heilwässern; klimatherapeutisch gezielter Aufenthalt z. B. an der Meeresküste oder im Hochgebirge mit deutlichen klima-therapeutischen Effekten. 5. Sind damit zwar gewisse "Kennziffern" für den "Erholungswert" der Landschaft gegeben so ist einschränkend klar daß es keine "Erholungslandschaft" schlechthin sondern nur Landschaften mit unterschiedlichem Erholungswert geben wird welcher durch landschaftsgestalterische und medizinische Bemühungen allerdings gegebenenfalls recht erheblich gesteigert werden kann. Das betrifft insbesondere die saisonabhängige Nutzung des Erholungsgebietes. Selbstverständlich ist eine ganzjährige Nutzbarkeit sowohl aus medizinischen als auch aus ökonomischen Gründen zu fordern. Gerade die Wintererholung bietet z. B. bestimmte Vorteile hinsichtlich Luftreinheit Strahlungsgenuß Intensivierung der körperlichen Aktivität und Möglichkeit der Abhärtung d. h. der Überwindung der wärmeregulatorischen Verweichlichung. Der Winter kann ferner auch als eine recht reaktionsstabile Jahreszeit für den Menschen - etwa im Vergleich zum Frühjahr und Herbst - gelten. Ein weiterer wichtiger Umstand für den Landschaftsplaner liegt darin daß Erholungsgebiete von vornherein als Ballungsgebiete betrachtet werden müssen. Nicht nur organisatorische verkehrstechnische sanitäre und gastronomische Probleme entstehen dadurch sondern auch Fragen der Gliederung der Aufteilung des Erholungsgebietes (ausgiebiges Wanderwegenetz stille Winkel ) der vielseitigen Nutzbarkeit und der geschickten territorialen Einplanung der notwendigen Gebäude und Einrichtungen sowie der Planung von Erholungsgebieten in differenten Großlandschaften als "Austauschräume" Tatsache ist daß dieser "Ballungseffekt" zum schwerwiegendsten Hemmschuh der wirklichen und potentiellen Erholung werden kann so daß hier eine besonders verantwortungsbewußte Lenkung geboten ist. Eine derartige Betrachtung kann nicht abgeschlossen werden ohne auf den hohen gesundheitspolitischen Nutzen der richtigen und gezielten Erholung aufmerksam gemacht zu haben. Die Probleme insbesondere der wissenschaftlich-technischen Revolution sind auch Probleme unserer Gesundheit und die Planung für Erholungslandschaften kann einen wesentlichen Teil dazu beitragen die Menschen möglichst unempfindlich für bzw. widerstandsfähig gegen nocive Einflüsse zu machen die in dieser Entwicklung liegen könnten. Es ist daher richtig zu betonen daß Landschaft nicht nur geografischer und wirtschaftlicher sondern vor allem auch kultureller und medizinischer Raum ist und als solcher gepflegt sein will. Literatur ALTVATER W.: Lärm und Lärmschäden ein gesundheitspolitisches Problem; Öff. Gesundh.-Dienst 19 (1957) Heft 2 BARTENWERFER H.: Neuere Ergebnisse zum Problem psychischer Beanspruchung und Ermüdung; Zbl. Arbeitswiss. 15 (1961) Heft 8/9 BERNATZKY A.: Kurpark und Klima; klimatische Auswirkungen des Kurparks und seine Beziehungen zur Planung der Kurorte; Heilbad u. 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