Reaktionen der Puls- und Atemfrequenz auf einen Klimareiz an Hand der Streuung der täglichen Änderungen |
Journal/Book: Z. angew. Bäder- u. Klimaheilk. 16: 404-409 (1969). 1969;
Abstract: Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster (Direktor: Dr. med. habil. H. Jordan) Das Verhalten einfacher funktioneller Meßgrößen des menschlichen Organismus - wie beispielsweise Blutdruck Puls- und Atemfrequenz - von einem Tag zum anderen erlaubt nicht nur einen Längsschnittüberblick am einzelnen Patienten sondern auch eine Beurteilung des kollektiven Verhaltens einer bestimmten Untersuchungsgruppe. Die Variationen jedes Einzelnen (=intraindividuelle Varianz) und die des Kollektivs (=interindividuelle Varianz) d. h. die täglich beobachtete Streuung dieser gemessenen Werte ist ein Ausdruck dafür ob Prozesse der Divergenz (=Zunahme der Streuung) oder der Konvergenz ( = Abnahme der Streuung) des Kollektivs vorliegen. Streuungszunahme ist mithin einer Erweiterung sowohl der Plus- als auch der Minusabweichungen vom Kollektivmittel Streuungsabnahme mit einer Verminderung derselben gleichzusetzen. Mit dieser Betrachtung können Reaktionen des Kollektivs erfaßt werden auch wenn keine Veränderungen des Kollektivmittelwertes vorliegen. Vom biometrischen Standpunkt aus muß diese Art von Streuung gegen eine mathematisch echte Fehlerstreuung entschieden abgegrenzt werden da sie nicht Fehler sondern physiologische Variationen im Sinne einer Labilisierung (bei Streuungszunahme) bzw. Stabilisierung (bei Streuungsabnahme) oder m. a. W. eine Tendenz zur Normalisierung (bei Streuungsabnahme) oder zum Verlassen der Norm (bei Streuungszunahme) kundtut. Mittels Berechnung der Regression gelingt dies durchaus: Wir beobachteten 52 Teilnehmer an der Hochseeklimakur mit dem MS "Völkerfreundschaft" 1965 täglich durch Messung u. a. von Puls- und Atemfrequenz. Die Mittelwerte der Pulsfrequenz (Abb. 1) fallen initial kraß ab und ändern sich dann kaum mehr; die der Atemfrequenz zeigen am 7.-10. Bordtag eine leichte Erhöhung. Die Streuung der täglichen Änderung dieser Werte (Abb. 2) nimmt für die Pulsfrequenz ebenfalls initial steil ab; d. h. alle Patienten stabilisieren sich in Richtung einer Bradykardie. Bald nimmt aber - zwischen 4. und 10. Bordtag - die Streuung sowohl für Puls- als auch für Atemfrequenz wieder deutlich zu um danach - zumindest für die Pulsfrequenz - deutlich abzusinken. Ohne Abb. 1: Mittelwerte der Puls- und Atemfrequenz von 52 Ekzemkranken (Teilnehmer der Hochseeklimakur 1965) vom 1.-20. Bordtag. Ohne Abb. 2: Streuung der täglichen Änderung der Puls- und Atem£requenz des Kollektivs der Abb.1 vom 1.-20. Bordtag. Aus Abb. 2 ist ferner ersichtlich daß diese Streuungszunahme zum Zeitpunkt des Einfahrens in die stürmische Biskaya (z. T. Windstärke 10/11) auftritt und ihr Maximum beim Eintritt in das Klimagebiet erfährt. Nach Akklimatisation im Klimagebiet nimmt die Streuung ab. Wir haben diese Phase der Klimakur als die reizstärkste der ganzen Fahrt herausgegriffen und könnten also resumieren: 1. eine initiale Stabilisierung des Kollektivs in Richtung einer Bradykardie analog einer Kureintrittsreaktion mit Gewöhnung an das Schiffsmilieu 2. eine zunehmende Labilisierung des Kollektivs infolge starker klimatischer Wechselreize und 3. eine Stabilisierung des Kollektivs nach der Akklimatisierung im Klimazielgebiet. Hildebrandt hat nun bekanntlich Puls- und Atemfrequenz im sog. "Puls-Atem-Quotienten" (QP/A) quotiential verknüpft (1) in der Absicht das Zusammenspiel zweier verschiedenfrequenter Körperrhythmen zu untersuchen und dabei gefunden daß die Annäherung an ein ganzzahliges Verhältnis von Puls- und Atemfrequenz (insbesondere an ein solches von 4:1) eine Normalisierung und eine Ökonomisierung im Sinne einer Eukymatie bedeutet. Hildebrandt schloß dies aus den Verteilungsmaxima der unter den verschiedensten Aspekten geprüften beiden Frequenzen. Berechnet man nun die Anzahl der "ganzzahligen" Puls-Atemverhältnisse (Abb. 3) wobei alle ganzen Zahlen von 3 bis 7 berücksichtigt sind und faßt dabei die Perioden 1.-5. Bordtag gegenüber dem 12.-16. Bordtag in gedanklicher Anlehnung an das vorher im Bild Gezeigte zusammen so zeigt sich daß nach dem ersten Teil der initialen Stabilisierungsphase d. h. dem ersten Steilabfall der Pulsfrequenz auch die "Ganzzahligkeit" geringer wird (Abb. 4) und dann in der Labilisierungsphase relativ niedrig bleibt mit dem Erreichen der zweiten Stabilisierungsphase im Klimazielgebiet aber laufend zunimmt. Ohne Abb. 3: Gegenüberstellung aller ganzzahligen QP/A nach H i l d e b r a n d t (s. Text) in der Periode des 1.-5. im Vergleich zur Periode des 12.-16. Bordtages (gleiches Kollektiv wie Abb.1 und 2). Ohne Abb. 4: Verhalten der ganzzahligen QP/A (entspr. Abb. 3) 1.-20. Bordtag. Wir haben hier bewußt alle ganzzahligen QP/A zusammengestellt und uns nicht nur auf die "Idealnorm von 4 0 beschränkt wie dies nach Hildebrandt zulässig ja sogar notwendig zu sein scheint. Die Gründe dafür liegen in der Tatsache daß über die Abweichungen der Ganzzahligkeit vom Idealwert 4 0 für den QP/A noch keine hinreichende Klarheit besteht. Die Gründe hierzu sehen wir z.B. darin daß jeder "Normalwert" auch eine "normale" Variation d.h. Plus- oder Minusabweichung vom Mittelwert besitzt die als zufällig gelten können und die rechnerisch mit der sog. mittleren quadratischen Abweichung vom Mittelwert" erfaßbar sind. Gehen diese als zufällig zu bewertenden Variationen in die Berechnung von Quotienten ein so ergeben sich auch für diesen gewissermaßen "normale" Abweichungen. Untersucht man z. B. die Puls- und Atemfrequenzwerte unserer Schiffspatienten auf diese Weise so ergibt sich für die Pulsfrequenz (PFr) ein Wert von 78 0 ± 3 55 und für die Atemfrequenz (AFr) ein solcher von 16 0 ± 2 48. Daraus ließen sich demnach folgende "normale" Variationen des QP/A errechnen: PFr AFr QP/A Variantenkoppelung ---------------------------------------------------------------- 78 0 16 0 4 88 Ø 81 55 18 48 4 42 +/+ 74 45 13 52 5 51 -/- 81 55 13 52 6 03 +/- 74 45 18 48 4 03 -/+ --------------------------------------------------------------- D. h.: Bei zufälligem Zusammentreffen von den jeweiligen Plus- bzw. Minusvarianten der normalen" Streuung ergibt sich eine extreme Abweichung von der "Ganzzahligkeit" des QP/A bei Berechnung aus den jeweiligen entgegengesetzten Varianten dagegen eine extreme Annäherung an die "Ganzzahligkeit". Eine solche Normalisierung ausgedrückt durch Bevorzugung ganzzahliger Relationen zwischen Puls- und Atemfrequenz ist als Kureffekt mehrfach beobachtet worden [Hildebrandt (2)] und wir möchten die Übereinstimmung des Hildebrandtschen und unseren Verfahrens - also eines nach Häufigkeitsmerkmalen und eines nach kollektivstatistischen Prinzipien arbeitenden Vorgehens - als Zeichen dafür werten daß eine Stabilisierung die wir allgemein als "vegetative" Stabilisierung bezeichnen auch mit einer rhythmologischen Stabilisierung einhergeht. In eben diesem Sinne ist eine Verminderung der Streubreite z. B. von Pulsfrequenz systolischem Blutdruck Körpergewicht und Körpertemperatur als Ausdruck einer "Normalisierungstendenz" am Kurende gegenüber dem Kurbeginn von uns mehrfach nachgewiesen und als typisch angesprochen worden (3 4 5 6 7). Die Bezeichnung "Normalisierung" muß allerdings mit größter Vorsicht angewendet werden und gilt nur unter der Annahme daß die Situation vor diesem Prozeß der stärkeren Wertebündelung mit gutem Gewissen als nicht-normal bezeichnet werden kann. Vertieft man diese Aussage noch durch Heranziehen der Korrelation und bestimmt damit das Maß der "Strammheit mit der sich diese Varianzminderung vollzieht so hat man ein einfaches aber doch aussagekräftiges Mittel in der Hand eine reaktionsbezogene kollektivtypische Eigenart festzustellen. Auf die Bedeutung dieser Methodik sollte man in diesem Zusammenhang durch vergleichende Darstellung zum QP/A aufmerksam gemacht werden. Zusammenfassung Die Streuung der täglichen Änderung von Puls- und Atemfrequenz ist ein Maß für labilisierende bzw. stabilisierende Einflüsse auf ein Patientenkollektiv wie sie beispielsweise durch intensiven Klimawechsel zustandekommen. Auch der Puls-Atem-Quotient nach Hildebrandt spiegelt ein solches Verhalten wider indem die nachweisbare Stabilität durch eine Zunahme der ganzzahligen Verhältnisse von Puls: Atmung zum Ausdruck kommt. Literatur (1) H i l d e b r a n d t G.: Die rhythmische Funktionsordnung von Puls und Atmung. Z. angew. Bäder-Klimahkd. 7: 533 (1960). (2) H i l d e b r a n d t G.: Biologische Rhythmen und ihre Bedeutung für die Bäder- und Klimaheilkunde; in: Handb. d. Bäder- u. Klimaheilkunde hrg. v. W. A m e l u n g u. A. E v e r s Schattauer Stuttgart 1962 S. 730 ff. (Lit. bis 1962). (3) J o r d a n H.: Kureffekt u. Medikamentenwirkung. Z. ges. inn. Med. 19: 22 (196.4). (4) J o r d a n H.: Balneotherapie und Blutdruck biometrisch betrachtet. Z. angew. Bäder Klimahkd. 13: 380 (1966). (5) J o r d a n H. D. R e i n h o l d und H. W a g n e r: Kritische Untersuchungen zur Anfangs Endwert-Problematik von kardiodynamischen Meßgrößen unter dem Einfluß einer Bäderkur. Z. ges. inn. Med. 19: 897 (1964). (6) J o r d a n H. D. R e i n h o l d und H. W a g n e r: Untersuchungen zum regulativen Normbereich des Körpergewichtes. Z. ges. inn. Med. 22: 277 (1967). (7) W a g n e r H.: Zur Frage der Blutdruckveränderungen nach bestimmten Ausgangswerten. Biomtr. Z. 2: 117 (1960).
Keyword(s): Klimareiz Biometrie Hochseeklimakur Puls- u. Atemfrequenz
© Top Fit Gesund, 1992-2024. Alle Rechte vorbehalten – Impressum – Datenschutzerklärung