Die Wirkung der Kurorttherapie bei Herz-Kreislauferkrankungen |
Journal/Book: Verhandlungsbericht 13.Weimarer Therapietagung 4.-6.5.1967 Sonderdr.. 1967;
Abstract: Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster (Direktor: Dr. med. habil. H. Jordan) Die Bedeutung der Kurorttherapie - wir sprechen absichtlich von dieser und nicht von "Balneotherapie" - in der medizinischen Rehabilitation der gegenwärtig zum Schwerpunkt gewordenen Herz-Kreislauferkrankungen steht - angesichts der diesbezüglichen Entwicklung in der ganzen Welt - völlig außer Frage. Wir möchten in unserem Beitrag versuchen die bisher hierzu bekannten Grundtatsachen die großenteils auch durch eigene Untersuchungen belegbar sind anzuführen. Die Kurorttherapie vermag folgende Fakten zu bieten die zur Behandlung von Herz- Kreislauferkrankungen bemerkenswert sind [26]: 1. Psychische Effekte im Sinne der "Entheimung" Neubeheimung [42] eines Milieuwechsels [22] des Landschaftserlebnisses ("Geopsyche" Hellpachs [10]) und der "Konfrontierung mit sich selbst". [29] Der Patient wird praktisch hinsichtlich des Milieus "umgetopft". 2. Klimareize zum Training vor allem der thermoregulativen Reaktionsgüte als "zirkulokinetisches Übungsmoment" [21] meist verbunden mit 3. körperlichen Trainingsmöglichkeiten wie sie durch die Landschaftsform der Kurortumgebung gegeben sind (Terrainkuren [36] Seestrand [40]). Es wird hierunter besonders eine dosierte und nach dem Intervallprinzip aufgebaute Übungsbehandlung verstanden. 4. Wiederherstellung der "Physiokymatie" [26] d. d. der physiologischen Grundrhythmik [12] und damit auch der "Grundfunktionen" nach Vogler [44] über das hierauf abgestimmte und abstimmbare Kurregime. 5. Spezielle Bäder wie vornehmlich Kohlensäurebäder Schwefelwasserstoff- oder Solebäder mit folgenden Wirkeigenschaften: Die hydrostatischen Effekte des Bades zeigen sich in einer thorakalen Volumenzunahme [43] mit Steigerung des zentralen Venendruckes [30] und der Herzfüllung Absinken des Atemminutenvolumens und Senkung des O2-Verbrauches [32]. Warme Bäder steigern kalten Bäder senken den O2-Verbrauch nach der vant' Hoffschen Regel um 17%/Grad C. Der spezifische Effekt der CO2 für ein Einzelbad besteht bekanntlich in einer zusätzlichen Mobilisation von etwa 1/6 - 1/8 des strömenden Kreislaufvolumens berechnet auf eine arteriovenöse Sauerstoffdifferenz von 5 Vol.-% und der Auslösung einer axonreflektorisch bedingten Kapillarerweiterung mit einer Mehrdurchblutung von etwa 400 - 600%. Diese Steigerung des Minutenvolumens bringt auch eine solche des Koronarvolumens mit sich nicht aber ist die Koronarerweiterung ein adäquater Effekt der allgemeinen Vasodilatation durch CO2 in der Peripherie (!) wobei es sich hier wesentlich um eine Volumen- nicht aber eine Druckzunahme handelt. Experimentelle Untersuchungen zeigen daß im CO2-Bad die Anspannungszeit [43] zu- der Systemdruck aber abnimmt [48]. Auch die Herzfrequenz sinkt [3] [20]. Da das CO2-Bad infolge seiner Verschiebung des Temperaturdifferenzpunktes kühl gegeben werden kann erfolgt eine temperatur- und hydrostatisch bedingte Senkung des Sauerstoffverbrauches. Alle diese Faktoren: Steigerung des Durchflußvolumens bei herabgesetztem Systemdruck Minderung der Herzfrequenz und Senkung des O2-Verbrauches bedingen eindeutig eine Verbesserung der "Koronargüte" nach Gollwitzer-Meier und Kroetz [9] wobei der niedrigbleibende Perfusionsdruck im Koronarbereich entscheidend ins Gewicht fällt [5]. Überhaupt ist die reflektorische hypoxiebedingte Koronardurchblutung bei artieller Hypertension behindert! [41] Zu diesen speziellen Effekten treten 6. Wirkungen die wir mit Ott [37] als "Summation trophotropcholinergischer Sekundäreffekte" bezeichnen möchten und die wir mit biometrischer Methodik am pharmakologischen Wirkungsvergleich sicherstellen konnten [23] [27]. Eine solche trophotrope Phase ist als "zweite Phase" schon in der Folge eines jeden einzelnen Kohlensäurebades nachzuweisen in der sie als Antihistamineffekt der badebedingten Histaminfreisetzung nachgeht [35]. 7. seien schließlich noch alle sonstigen physiotherapeutischen Maßnahmen - Diät Massage- und Bewegungstherapie Atemgymnastik Bürstungen kleine Hydrotherapie Wärmeanwendung [18] [38] - und auch letztlich alle notwendigen pharmakologischen Verordnungen die allerdings dem Kurregime und auch den Reaktionsbesonderheiten der Kurpatienten gut angepaßt sein müssen besonders da die Arzneimittelwirkung selbst zum Teil durch den Kurverlauf modifiziert wird. [23] Überblickt man diese Therapiefaktoren so läßt sich resumieren daß - sowohl von der einzelnen kurorttherapeutischen Maßnahme als auch vom Gesamtgeschehen der kurmäßigen Reizserientherapie her gesehen - folgende medizinische Effekte im Herz-Kreislaufsystem zu diskutieren sind: 1. Hämodynamisch wirksame 2. vegetativ umstimmende 3. kortikodynamisch stimulierende und 4. rhythmologisch ordnende. Diese Eingriffe können als wesentliche Elemente der Kurorttherapie herausgestellt werden. Ihre synchrone und synerge Summation führt zu einer Reduzierung des mittleren Blutdruckes und der Herzfrequenz [24] zu einer Mobilisation der Kreislaufdynamik mit entsprechender Belastung des linken und auch des rechten Herzens in ökonomischer Form - letzteres belegt durch die Untersuchungen Buchers der nachwies daß die hämodynamische Volumenbelastung des rechten Herzens zu einer Abnahme der Minutenvolumenleistung des linken Herzens führt [1] [2]. Die körperliche Trainierbarkeit ist mittels der Kurorttherapie in jeder Stufenhöhe möglich wobei für das Übungsziel das gleiche gilt wie für die kardiale Dynamik im CO2-Bad: Auferlegung einer Mehrarbeit [8] unter Reduzierung des Widerstandes in der Peripherie und Einstimmen der kardiovaskulären Autoregulation mit Verbesserung der diesbezüglichen Regelgüte durch Sollwertverstellung des Regelkreises in ökonomischer Tendenz. Die Unterstützung durch eine geeignete Diät muß hier nochmals der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Die Bedeutung der rhythmologischen Ordnung der Eukymatisierung wie der Fachausdruck dafür lautet ist in einer Koordinierung bestimmter Körperrhythmen zu sehen z. B. der Atem- und Pulsfrequenz (der sog. "Puls-Atem-Quotient" nach Hildebrandt [13]) oder der Pulsperiodendauer und der arteriellen Grundschwingung [7] im Sinne des "Magneteffektes" von v. Holst [16] (sog. "Tau/Tfem-Quotient").Er ist erkennbar an einer Verminderung der Streubreite kardiodynamischer Meßgrößen [24] oder der Herzrhythmik [6]. Der Charakter und der Ablauf der Kurorttherapie garantiert eine gleichmäßige rhythmische Ordnung der Zeitgeber die zu einem Einschwingen vorher recht divergenter Reaktionsweisen auf ein "Normalnull" [15] [46] führt. Rhythmus und Regulation sind funktionell unauflösbar miteinander verknüpft [14]; die rhythmische Funktionsgestalt ist Ausdruck der Regulation. Es geht nun nur darum darum die Konsequenzen aus diesen Fakten für jede einzelne ins Auge gefaßte Indikationsstellung zu ziehen - ein Unternehmen das in einem einzigen Vortrag nicht in extenso geschehen kann. Für die Koronarerkrankungen und für das chronische Cor pulmonale - zwei sehr umstrittene Indikationen - ist dies von uns andernorts ausführlich geschehen [21] [25] [26]. Entscheidend für eine erfolgversprechende Kurorttherapie ist nicht so sehr die Gruppen- als die Situationsdiagnose [28] die an den einweisenden Arzt und an den im Kurort tätigen Kollegen gleichermaßen hohe Anforderungen stellt. Wie schwer es tatsächlich ist eine richtige Situationsdiagnose zu stellen bedarf keiner Erläuterung - schematisierende Forderungen für den Kurantrag nützen gar nichts. Das klinisch richtige und wirkungsphysiologisch geschulte Denken ist erforderlich und wird die sooft gerügten Fehleinweisungen [4] [11] [17] [19] [31] [34] [39] [47] verhindern helfen. Noch schwieriger dürfte es sein eine völlig zutreffende "individuelle Reaktionsdiagnose" zu stellen wie sie Lachmann fordert [33]. Zudem ist der Kurverlauf durch eine Abfolge typischer Reaktionen gekennzeichnet die diese "individuelle Reaktionsweise" abändert so daß neben die Forderung der möglichst sicheren Anfangsdiagnose noch die einer guten Überwachung des Kurpatienten kommt. Wir sehen es aus diesem Grunde als eine Primärforderung an die Leitung des Kurortsanatoriums dem Fachinternisten in diesen speziellen Fällen also dem Kardiologen zu übertragen der zudem noch eine Superspezialisierung für das Fach Physiotherapie besitzen sollte. Die Kurorttherapie der kardiologischen Therapie klinischen Charakters möglichst nahe zu bringen ohne die Vorteile des Kurorts gegenüber der Klinik damit einzuschränken ist das oberste Ziel unserer Bemühungen. Es gilt die Kurorttherapie fest und gezielt in die Dispensairebehandlung der Herz-Kreislaufkrankheiten einzubauen. Die Kurorttherapie bietet in diesem Rahmen die Möglichkeit einer umfassenden Behandlungsform im Sinne eines Rekonditionierungszentrums wie es u. a. von den amerikanischen Kardiologen gefordert wird [49]. Die Kurorttherapie kann unter diesen Kautelen sehr wohl die medizinische Rehabilitation der Herz-Kreislauferkrankungen verbessern und abkürzen und ist darüberhinaus das Kernstück der chronischen Therapie solcher Leiden die vielmehr eine allgemeinphysiotherapeutische sein sollte als sie es heute noch ist. Dabei kann kein Wettstreit mit der pharmakologischen Therapie sinnvoll sein. Nicht ein "aut aut": - ein "et - et" erscheint uns in dieser Hinsicht die richtige weil erfolgversprechende Wahldevise zu sein! Zusammenfassung Das Kernstück der Kurorttherapie für Herz- und Kreislauferkrankungen ist die Behandlung mit Bädern aus den natürlich vorkommenden Heilquellen. Diese entfalten unspezifische und spezifische kreislaufaktivierende Effekte die quantitativ faßbar und steuerbar sind. Diese Therapie wird sinnvoll durch eine Reihe anderer physiotherapeutischer Maßnahmen einschließlich der Diätetik unterstützt und mit einer gezielten ansteigend belastenden Bewegungstherapie gekoppelt. Eine solche langfristige Reizserienbehandlung führt insgesamt zu trophotropen Umstimmungseffekten die der Kreislaufökonomie zugute kommen so daß mit der Kurorttherapie direkte und indirekte Fördermechanismen der Kreislaufdynamik gegeben sind. LITERATUR [1] Bucher K. u. D.v.Capeller: Helvet.physiol. pharmacol. Acta. 12 253 (1954) [2] Bucher K. L.Dettli K. Weisser u.. D.v.Capeller: Helvet. physiol. pharmacol. Acta. 13 79 (1955) [3] Budelmann G.: Z. angew. Bäder-Klimahk. 2 319 (1955) [4] Bünte H.: Dtsch. Ges.wes. 12 875 (1957) [5] Bretschneider A. J.: Dtsch. Med. Wschr. 86 1649 (1961) [6] Füger K.: Dissertation K. M. Univ. Leipzig 1967 [7] Gadermann E. G. Hildebrandt und H. Jungmann: Z. Kreislaufforschg. 50 805 (1961) [8] Gollwitzer-Meier Kl.: Balneologie 2 289 (1935) [9] Gollwitzer-Meier Kl. u. H. Chr. Kroetz: Klin. Wschr. 1940 588 u. 616 [10] Hellpach W.: Geopsyche 6. Aufl. F. Enke-Verlag Stuttgart 1950 [11] Henschel J.: Dtsch. 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