Indikationen und Erfahrungen im Mittelgebirgsklima unter besonderer Berücksichtigung der neuro-vegetativen Störungen

Journal/Book: Therapiewoche 7 11 322 (1957). 1957;

Abstract: Aus der Privatklinik Dr. Amelung Königstein/Ts. (Leit. Arzt: Prof. Dr. med. habil. W. Amelung) Bei der Behandlung der Symptome zahlreicher vegetativer Dysregulationen sind unzweifelhaft manche Medikamente wertvoll (nach unseren Erfahrungen besonders Belcaloid und Bellergal). Aber um eine kausale Therapie der vegetativen Regulationsstörungen zu treiben muß man die Ursachen kennen. Der Mensch von heute ist besonders gefährdet neben den immer mehr zunehmenden Verkehrsunfällen durch das Fortschreiten der Abnutzungs- und Verbrauchskrankheiten die die Technik des hochzivilisierten Lebens die ständigen seelischen Belastungen und Anstrengungen und die Entfernung des Menschen aus dem ihm gegebenen Lebensrhythmus mit sich gebracht haben. Diese Zivilisationsschäden äußern sich in zahlreichen Störungen der vegetativen Regulationen die man vielfach mit der Bezeichnung "vegetative Dystonie" (W i c h m a n n) oder "neurozirkulatorische Dystonie" (H o c h r e i n) aber auch als "Managerkrankheit" zu bezeichnen pflegt. Ohne hier Fragen der Nomenklatur erörtern zu wollen müssen wir anerkennen daß die zahlreichen subjektiven Beschwerden die durch die Störungen der vegetativen Regulationen eintreten einen Menschen subjektiv und objektiv krank machen und die Vorboten lebensgefährlicher Erkrankungen sein können. Im Einzelfall darf man sich nicht mit der Diagnose "vegetative Dystonie" zufrieden geben. Diese Krankheitsbezeichnung verpflichtet zunächst das einzelne Krankheitsbild genau durchzudenken (F. H o f f). Sehen wir in diesen vegetativen Regulationsstörungen die Reaktionen des Organismus auf eine unzweckmäßige unbiologische Lebensweise und gottferne Lebenshaltung so folgt daraus daß diese Krankheitsbilder durch eine Regulierung der Lebenshaltung durch die Wiederherstellung des normalen Lebensrhythmus zu überwinden sind. Das Bild der vegetativen Dystonie kann auftreten nach Infekten oder als das Zeichen einer noch bestehenden latenten Infektion. Wir sehen es als Folge von Nikotin- Kaffee- und Schlafmittelmißbrauch oder kombiniert mit zahlreichen innersekretorischen Störungen insbesondere mit hyperthyreotischen tetanoiden Erscheinungen und Störungen der Nebennierenrinde; wir sehen es als postcommotionelles Syndrom und als Zeichen einer beginnenden Arteriosklerose. Vielfach wird auch verkannt daß eine echte endogene Depression begleitet sein kann von zahlreichen vegetativen Meßempfindungen welche die schwere psychische Veränderung des Menschen überdecken können. Studiert man das nervenärztliche Schrifttum der Zeit um die Jahrhundertwende z. B. die ausgezeichnete "Pathologie und Therapie der Neurasthenie" von Otto B i n s w a n g e r (1896) so treten uns hier Schilderungen von körperlichen und seelischen Störungen entgegen die man damals als Neurasthenie heute als vegetative Dystonie bezeichnen würde. Wir müssen jedenfalls festhalten daß man die vegetative Dystonie nur per exclusionem diagnostizieren kann. ... ___MH

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