H. Helmchen zum Thema: Depression - immer noch unerkannt und unbehandelt? |
Journal/Book: Münch. med. Wschr. 140 (1998) Nr. 11 S. 25. 1998;
Abstract: Depressive Störungen sind so häufig daß man sie als Volkskrankheit bezeichnen kann. Die mit den heute üblichen operationalisierten Diagnose-Systemen ICD-10 und DSM-IV erfaßte Prävalenz von Depressionen liegt in der Gesamtbevölkerung bei ca. 10%. In einer von der WHO weltweit durchgeführten Untersuchung zur psychiatrischen Morbidität von Patienten in Allgemeinarztpraxen (unter Ausschluß von Patienten über 60 Jahren) ergab sich eine Gesamthäufigkeit psychischer Erkrankungen von etwa 20% darunter 8 6% depressive Erkrankungen [6]. Erfaßt man alle depressiven Störungen die aufgrund des psychopathologischen Befundes der Vorgeschichte und der Behandlungsbedürftigkeit als krankheitswertig zu beurteilen sind dann verdoppeln sich diese Raten in etwa. Bezüglich alter Menschen wurden in der Berliner Altersstudie (BASE) bei der über 70jährigen Bevölkerung - die sich hinsichtlich der Depressionshäufigkeit nicht wesentlich von der jüngeren Bevölkerung unterscheidet - in 9 1% depressive Erkrankungen aber in weiteren 17 8% nicht näher bezeichnete depressive Störungen festgestellt [3]. Von diesen depressiven Störungen wurden sowohl bei den Hausarztpatienten wie in der Altenbevölkerung weniger als die Hälfte der Fälle von den behandelnden Ärzten als psychisches Problem erkannt was auch Erfahrungen aus anderen Ländern entspricht [7]. Die Erkennung von Depressionen ist aber auch nicht einfach. Um nur zwei von vielen Gründen zu nennen: 1) Wenn es sich nicht gerade um die sehr ausgeprägten und schweren Depressionsformen handelt dann ist ihre Abgrenzung gegenüber nicht krankhafter Mißbefindlichkeit oft unsicher [2]. 2) Depressionen treten häufig zusammen mit anderen Erkrankungen auf (Komorbidität) so daß beispielsweise körperbezogene Beschwerden im Vordergrund stehen und die zugrundeliegende (larvierte oder maskierte) Depression nicht erkannt oder die depressive Begleitstörung einer körperlichen Erkrankung nicht beachtet wird. Nicht erkannte Depressionen werden auch nicht therapiert. Dementsprechend weisen epidemiologische Studien aus daß die Hälfte bis drei Viertel aller Depressionen unbehandelt sind [4 6]. Dies wäre vielleicht nicht so bedeutsam wenn nicht die Folgen dieser nicht erkannten und nicht behandelten Depressionen schwerwiegend wären. Sie reichen vom subjektiven Leiden mit Rückzug aus sozialen Beziehungen über ein Nachlassen der Arbeitsfähigkeit und kostenträchtige Behandlungen (einschließlich gehäufter Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte) fehldiagnostizierter depressiver Beschwerden bis hin zum Suizid mit dem bei 10-15% der Depressiven zu rechnen ist. Diese Nicht-Erkennungsrate und Unterbehandlung sind insofern besonders beklagenswert als diese Störungen im Prinzip gut behandelbar sind [1]. Von daher sind Ärzte und ihre Fachgesellschaften aufgerufen verstärkte Anstrengungen zu unternehmen um die Erkennung und konsequente Behandlung depressiver Störungen zu verbessern. In den folgenden Beiträgen werden einige Initiativen beschrieben die sich dieses Problems annehmen. Es bleibt zu wünschen daß sie ihr Ziel auch erreichen. ___MH
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