Begutachtung im Sozialrecht; Die Begutachtung von Neurosen und psychosomatischen Störungen - aus juristischer Sicht - |
Journal/Book: Z. ärztl. Fortbild. 86 (1992) 798-800. 1992;
Abstract: Günter Hennies Vizepräsident des Landessozialgerichts Berlin a. D. Berlin Als letzter Referent eines Tages mit einem vielgestaltigen Programm muß ich mich darauf beschränken einige sozialrechtliche Probleme nur anzureißen. Das Bundessozialgericht hat schon vor nahezu 30 Jahren 1964 neurotische Störungen und Hemmungen als Krankheit definiert vorausgesetzt daß der Versicherte sie aus eigener Kraft nicht überwinden kann. Ich möchte nicht darauf eingehen worüber damals intensiv diskutiert wurde: über die Willensfrage die Denk- und Verhaltensweisen von Gnostikern und Agnostikern über Determinismus und Indeterminismus. Diesen Diskussionen wurde schon bald die Spitze abgebrochen weil die Willensfrage bei Erörterungen über den rechtlichen Krankheitswert von Neurosen allmählich ihre Bedeutung verlor. Aus heutiger Sicht lassen sich die Probleme auf einen einfachen Kern zurückführen. Es kommt darauf an ob der Neurotiker imstande ist eigene Kräfte zu mobilisieren und seine psychischen Störungen selbst zu beheben oder ob ihm dies nicht gelingt. Bedarf er ärztlicher oder sonstiger therapeutischer Hilfe dann hat die medizinische Krankheit auch rechtlich Krankheitswert juristisch einwandfreier ausgedrückt: Die Voraussetzungen einer Krankheit im Rechtssinne sind erfüllt. Rechtlich wird als krank derjenige anerkannt dessen Kräfte nicht ausreichen um seine neurotischen Störungen oder Hemmungen selbst zu überwinden. Der Akzent liegt nicht beim Ausmaß einsetzbarer Willenskräfte die Kardinalfrage lautet vielmehr: Besteht Bedarf an therapeutischer Hilfe? Das Bundesverwaltungsgericht hat einmal kurz bündig und treffend erklärt: Der sozialrechtliche Krankheitsbegriff ist behandlungs- und bedarfsorientiert. Auf die Rentenversicherung übertragen bedeutet das: Die neurotische Störung oder Hemmung muß zu Funktionsbeeinträchtigungen führen muß die Leistungsfähigkeit für Erwerbstätigkeiten einzuschränken drohen oder bereits einschränken und einen bestimmten Bedarf an Hilfe hervorrufen nämlich entweder auf Leistungen zur Rehabilitation oder auf Rente. Vornehmlich in der Rentenversicherung hat das Bundessozialgericht Neurosen in die Nähe von Simulation und Aggravation gerückt. In einer seiner älteren Entscheidungen spricht es von der "Simulationsnähe neurotischer Zustandsbilder" (SozR Nr. 38 zu § 1246 RVO). Deshalb erwartet es vom medizinischen Sachverständigen Antwort auf die Beweisfrage ob es sich um neurotische Störungen oder bloß um Simulation oder Aggravation handele. ... wt
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