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November 2024

Unterschiedliche Schiefe der Meßwertverteilung von Pulsfrequenz und Körperkerntemperatur in Beziehung zu deren Verlaufscharakteristik bei Kurpatienten

Journal/Book: Z. Physiother. 35 (1983) 75-80. 1983;

Abstract: Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster (Direktor: OMR Prof. Dr. med. habil. H. Jordan) und dem Sanatorium Moorbad Bad Doberan (Direktor: MR Dr. I. Heitz) Die in den beiden Meßgrößen Pulsfrequenz und Körpertemperatur zum Ausdruck kommenden Körperfunktionen sind auch in biometrischer Hinsicht als regulativ gesteuerte Prozesse zu bewerten und unterliegen einer chronobiologischen Schwankungsbreite. Ihre über einen definierten Zeitraum ermittelten Meßwerte besitzen deshalb eine für ein bestimmtes Probandenkollektiv charakteristische Streuung die sich aus einem kollektivtypischen (interindividuellen) und einem individualtypischen (intraindividuellen) Anteil zusammensetzt. Der kollektivtypische Anteil wird weitgehend durch die Zusammensetzung des betreffenden Kollektivs gestaltet und beeinflußt. Die mittlere quadratische Abweichung der Einzelwerte vom Mittelwert des gesamten Kollektivs stellt hierfür in Annäherung eine geeignete statistische Maßzahl dar. Eine weitere Präzisierung ist zu erreichen wenn die eingebrachten Einzelwerte nicht auf einer einzigen Momentanmessung beruhen sondern als ein aus einer fortlaufenden Meßreihe errechneter mittlerer Wert für den betreffenden Probanden dargestellt werden. Der intraindividuelle Anteil einer Streuung läßt sich allein aus den Veränderungen der einzelnen Meßwerte zwischen aufeinanderfolgenden Meßterminen abschätzen. Da in diesem Falle Meßwerte desselben Probanden miteinander verglichen werden treffen Meßgrößen aufeinander die der statistischen Grundforderung nach gegenseitiger Unabhängigkeit der zu untersuchenden Ereignisse nicht nachkommen. Automatisch errechnen sich zwischen solchen voneinander abhängigen Größen korrelative Zusammenhänge. Hinweise auf echte ausgangswertbezogene unterschiedliche Veränderungen lassen sich nur mit Hilfe des Regressionskoeffizienten im Vergleich mit entsprechenden Kontrollgruppen nachweisen. Alle regulierten Funktionen für die in gewissen Abständen Meßwerte erstellt werden unterliegen jedoch dieser von uns sog. "Ausgangs-Endwert-Problematik" [4]. Liegen von jedem Probanden längere Meßreihen vor also z. B. tägliche morgendliche Messungen während eines Kurablaufes so läßt sich mit Hilfe der "Streuung der interdiurnen Änderungen" [7] eine biometrische Maßzahl zur Charakterisierung des intraindividuellen Streuungsanteils gewinnen. Als Bezugsniveau wird bei dieser Methode die über den gesamten Kurverlauf errechnete mittlere tägliche Änderung gewählt. Die einzelnen täglichen Änderungen mit positiven oder negativen Vorzeichen lassen sich in ihrer Schwankungsbreite während des Gesamtzeitraumes durch die mittlere quadratische Abweichung vom Bezugsniveau zahlenmäßig darstellen. Aufgrund des Ablaufs der einzelnen Meßwerte kommt damit in der Größe dieser Varianzen eine bestimmte Dynamik im Bereich des betreffenden Funktionskreises zum Ausdruck. Mit der Streuung werden Aussagen über einen regulativ gesteuerten funktionellen Mechanismus ermöglicht da in dieser Maßzahl Zu- und Abnahmen einer Meßgröße in gleichem Maße betont und erfaßt sind. Einige größere Untersuchungen erbringen den Nachweis2) daß solche Werte individual-typischen Charakter tragen und zahlenmäßige Hinweise auf den möglichen Umfang eines solchen "dynamischen" Verhaltens vermitteln das als eigentliche Ursache für die Ausbildung des oben erwähnten "intraindividuellen" Streuungsanteils angesehen werden muß. Die Streuung der Änderungen gehorcht damit anderen Gesetzen als das übliche Streuungsmaß das für die Kenntnis der Ausbreitung oder Streuung der Einzelglieder um den Mittelwert von größter Wichtigkeit ist [9]. Bei diesem Streuungsmaß "ist zu bedenken daß große Maße großen Abweichungen und kleine Maße kleinen Abweichungen ausgesetzt sind und daher die Messungen an größeren Objekten größere mittlere Abweichungen ergeben" [9]. Die Berechnung dieser Werte setzt immer eine Gaußsche Normalverteilung voraus. Tatsächlich ist es aber fast die Regel daß viele Verteilungen von Meßwerten mehr oder minder auffallende Rechts- oder Links-Asymmetrien aufweisen. Wenn ein "Streuungsmaß" als Kriterium zur Berechnung signifikanter Differenzen benötigt wird werden solche "schiefen" Meßwerteverteilungen meist durch entsprechende Transformation auf Normalverteilungen zurückgeführt. Da für die Entstehung der "Streuung der Änderung" ganz andere Voraussetzungen gegeben sind können die für das übliche Streuungsmaß gültigen Aussagen nicht ohne Einschränkung darauf übertragen werden. Gerade die Schiefe einer Verteilung dürfte im engen Zusammenhang mit der Streuung der Änderung stehen und könnte deshalb möglicherweise die Verbindungen zwischen der Zusammensetzung des Kollektivs und der Dynamik der Meßwerte näher beleuchten. Die folgende Untersuchung soll deshalb aufzeigen welche Beziehungen zwischen der Asymmetrie der Grundverteilungen der beiden Meßgrößen - Körpertemperatur und Pulsfrequenz - einerseits und dem dynamischen Verhalten dieser Funktionskreise andererseits aufzufinden sind. Die Analyse dieser Meßwerte erfolgt dabei an einem Patientenkollektiv das unter dem Einfluß eines kurorttherapeutischen Regimes steht. Patienten und Methodik Ausgewertet wurden die täglich gewonnenen Meßwerte von Pulsfrequenz und Körperkerntemperatur von 87 Männern und 68 Frauen die eine vierwöchige Kurbehandlung in Bad Doberan durchführten. Es handelte sich dabei ausschließlich um das Krankheitsbild des Lumbal- bzw. Zervikalsyndroms mit einem geringfügigen Anteil röntgenologisch nachweisbarer degenerativer Veränderungen von etwa 18%. Die Pulsfrequenz wurde dabei als Minutenwert angegeben der aus 4 einzelnen 15-Sekunden-Werten binnen 2 min gebildet wurde. Aus den täglich gewonnenen Meßwerten wurden zunächst der individuelle Mittelwert über 26 Tage und die Streuung der Meßwertänderung von Tag zu Tag errechnet. Diese individualtypischen Maßzahlen wurden für die weitere Untersuchung des dynamischen Verhaltens von Pulsfrequenz und Körpertemperatur kollektiv zusammengefaßt. Die Überprüfung auf das Vorliegen einer Schiefe in der Grundverteilung dieser Meßwerte erfolgte nach dem bei WEBER angegebenen Verfahren ("Schiefheitsmaß"). Schließlich wurden die absoluten Werte der Pulsfrequenz bzw. der Körpertemperatur mit den Werten der Streuung der täglichen Änderungen dieser beiden Meßgrößen formal korreliert. Zu diesem Zweck wurden die Meßwerte nach logarithmischer Progression in Klassen zusammengefaßt und die Klassennummern als dimensionslose Größen zur Korrelationsrechnung benutzt. E r g e b n i s s e P u l s f r e q u e n z (s. dazu Abb.1) Angaben in Pulsschlägen pro Minute 26 Kurbehandlungstage n = 155 Absolute Werte der Pulsfrequenz (x) Mittelwert: 67 3 ± 7 95 Variationsbreite: 53 2-94 0 Medianwert: 66 1 Schiefheitsmaß: +0 82 (linksseitige Asymmetrie) Streuung der täglichen Änderungen (y) Medianwert: ± 3 2 Variationsbreite: ± 1 1 bis ± 9 5 Korrelationsrechnung Korrelationskoeffizient: rxy = +0 24 (0 27%) Regressionskoeffizient : by = +0 25 K ö r p e r t e m p e r a t u r (s. dazu Abb. 2) Angaben in Grad Celsius 26 Kurbehandlungstage n = 155 Absolute Werte der Körpertemperatur (x) Mittelwert: 36 31 Grad ± 2 42 Zehntel Grad Variationsbreite: 35 57 bis 36 78 Medianwert: 36 33 Grad Schiefheitsmaß: -0 712 (rechtsseitige Asymmetrie) Streuung der täglichen Änderungen (y) Medianwert: ± 0 19 Variationsbreite: ± 0 06 bis ± 0 45 Korrelationsrechnung Korrelationskoeffizient: rxy = -0 20 (0 1%) Regressionskoeffizient : by = -0 13 Ohne Abb.1. 155 Pat. (82 Männer 68 Frauen); tägliche Messungen der Pulsfrequenz an 26 Kurtagen fortlaufend. Oben: Häufigkeitsverteilung der Patientenmittelwerte. Unten: Regressionsgerade der Beziehung zwischen Mittelwert und Streuung der täglichen Änderung Ohne Abb. 2. 155 Pat. (87 Männer 68 Frauen); tägliche Messungen der Körpertemperatur an 26 Kurtagen fortlaufend. Oben: Häufigkeitsverteilung der Patientenmittelwerte. Unten: Regressionsgerade der Beziehung zwischen Mittelwert und Streuung der täglichen Änderung Diese Ergebnisse sagen aus: 1. Die Pulsfrequenz weist insgesamt eine linksseitig asymmetrische Grundverteilung auf. Je höher die mittlere individuelle Pulsfrequenz für den Behandlungszeitraum liegt um so stärker ist die Streuung der täglichen Änderungen der Pulsfrequenz (s.Abb.1). 2. Die Körpertemperatur weist insgesamt eine rechtsseitig asymmetrische Grundverteilung auf. Je niedriger die mittlere individuelle Körpertemperatur für den Behandlungszeitraum liegt um so stärker ist die Streuung der täglichen Änderungen der Körpertemperatur (s. Abb. 2). Besprechung der Ergebnisse Regulativ gesteuerte funktionelle Prozesse im biologischen Bereich gehören in mehr oder minder strenger Zuordnung zu den sog. kreisverteilten Prozessen die im idealen Falle ein sinuskurvenmäßiges Auf und Ab der meßbaren Werte im Zeitverlauf bedingen. Der Grundverteilungscharakter solcher Prozesse wäre dann der einer Gaußschen Normalverteilung ersten Grades. Rechts- oder linksseitig asymmetrische Grundverteilungen beweisen daß der Idealfall der Kreisverteilung nicht vorliegt. Die angeführten Beispiele lassen dies einwandfrei erkennen. Man kann annehmen daß die Schiefe der Meßwerteverteilung ihren Ursprung und ihre Begründung in der Dynamik der zugrundeliegenden Funktion dem Funktionscharakter selbst hat. Sie die Schiefe markiert offenbar einen gewissen "Spielraum" der einer Körperfunktion zur Ermöglichung ihrer optimalen Leistung ("Funktion ist die Beziehung eines Teiles zu seiner Leistung" [5]) gegeben sein muß. Nach den schon von ROUX erkannten Grundgesetzen der Beziehungen zwischen Struktur und Funktion muß der Organismus bestrebt sein mit einem Minimum an Aufwand das Maximum einer Funktion zu erzielen und umgekehrt. Meßwerte einer solchen Funktion werden sich dann in einem Bereich gehäuft finden der dem Leistungsminimum näher liegt als etwa dem Maximum - ein gerade für die Pulsfrequenz bzw. Herzfrequenz einleuchtendes Phänomen: der "Spielraum" der Pulsfrequenz muß zur Ermöglichung breitgespannter Leistungsabforderung groß gehalten sein. Die Bedeutung der Linksschiefe wäre allein damit plausibel. Im Falle der Körpertemperatur läge die Situation gerade umgekehrt. Hier ist eine deutliche Grenze des physiologischen Spielraumes nach oben (= Erreichen der Fiebergrenze) gesetzt die dazugehörigen Meßwerte werden sich also in vorwiegend tieferen Bereichen abwärts 37 0°C häufen. Es ist ebenso einleuchtend daß die Nutzung dieser "Spielräume" auch z. B. im Zuge einer Kurortbehandlung angenommen werden muß einer Therapieform die ja bekanntermaßen durch eine markante Reaktionscharakteristik ausgezeichnet ist [1]. Frühere Untersuchungen haben uns immer wieder bestätigt wie deutlich solche reaktiven Änderungen nicht nur der Pulsfrequenz und der Körpertemperatur sondern auch des Blutdruckes und des Körpergewichtes bemerkbar werden insbesondere wenn man die Methode der Streuung der täglichen Änderungen (= interdiurne Änderungen) zur Aussage heranzieht [2]. Dabei besteht bei der Körpertemperatur nicht etwa nur eine Beziehung zu inflammatorischen oder immunpathologischen Prozessen. Schon 1954 konnten wir einmal nachweisen daß sich ein relativ niedriges Körpertemperaturniveau (gemessen als "Aufwach-Temperatur") mit einer hohen Tagesperiodik (gemessen als Differenz zur "Abendtemperatur") koppelt auch hier also eine Beziehung zwischen Niveau und Reaktionsbereitschaft [8] besteht. Es sei angemerkt daß schiefe Grundverteilungen von Meßwerten durchaus auch pathologische Situationen anzeigen können so z. B. wenn Hypo- Hyper- oder Dyskymatien der Biorhythmik vorliegen oder bei Rhythmusstörungen des Herzens [3]. Eine Erhöhung der Streuung der täglichen Änderungen kann in Anlehnung an solche Vorstellungen deshalb auch als ein Kennzeichen verstärkter Labilität angesprochen werden. Patienten mit höherer Pulsfrequenz könnten in den Kreis der "neurovegetativ Gestörten" einzuordnen sein denen demnach auch eine labilere reaktive Tendenz zuzuschreiben wäre. Analoges ließe sich vielleicht auch für die Körpertemperatur postulieren. Hier müssen weitere Untersuchungen ansetzen. Zusammenfassung Anhand täglicher Messungen der Pulsfrequenz und der Körperkerntemperatur über 26 Tage wird bei Kranken mit Zervikal-Lumbal-Syndrom unter einer Kurorttherapie untersucht ob Zusammenhänge zwischen der Höhe der Mittelwerte dieser Funktionen für den genannten Zeitraum und der Streuung der täglichen Änderungen der Meßwerte bestehen. Dabei zeigt sich daß eine Verstärkung der täglichen Änderungen für die Pulsfrequenz mit einem relativ höheren mittleren Wert (positive Korrelation) und für die Körpertemperatur mit einem relativ niedrigeren mittleren Wert gekoppelt sind (negative Korrelation). Dabei weist die Pulsfrequenz eine signifikante linksschiefe die Körpertemperatur eine ebensolche rechtsschiefe Asymmetrie der Grundverteilung der Meßwerte auf. Das Ausmaß der Schiefe ist demnach als ein reaktionskritisches Kriterium zu betrachten das biometrisch nicht außer acht gelassen werden darf. Literatur 1. JORDAN H.: Kurorttherapie. 2. Aufl. VEB Gustav Fischer Verlag Jena 1980. 2. Ders.: Kurverlauf und Kureffekt. Ergebnisse eines biometrisch-klinischen Arbeitskreises. Z. Physiother. 24 (1972) 267-302. 3. Ders.: Kurzzeitliche Schwankungen der Herzperiodendauer des Menschen. Schriftenreihe d. Z. ges. inn. Med. H.17 Cardiologie X S.137-178. 4. JORDAN H. D. REINHOLD und H. WAGNER: Untersuchungen zum regulativen Normbereich des Körpergewichts. Z. ges. inn. Med. 22 (1967) 277-280. 5. ROTHSCHUH K. E.: Theorie des Organismus. Bios. Psyche. Pathos. Urban & Schwarzenberg München-Berlin (W) 1959 Zit. S. 62. 6. ROUX W.: Beiträge zur Morphologie der funktionellen Anpassung. In: Gesammelte Abhandl. über Entwicklungsmechanik der Organismen. Bd. I. W. Engelmann Leipzig 1895. 7. WAGNER H.: Streuungsanalysen einfacher geregelter klinischer Meßgrößen. Abh. d. Dt. Akad. d. Wiss. Berlin Kl. f. Math. Physik u. Technik. Jahrg. 1967 Nr. 4 S.189-197 Akademie-Verlag Berlin 1968. 8. WAGNER H. und H. JORDAN: Frühniveau und Tagesperiodik als Kennzeichen der Körpertemperaturrhythmik. Naturwissenschaften 41 (1954) 557-558. 9. WEBER E.: Grundriß der biologischen Statistik. 6. Aufl. VEB Gustav Fischer Verlag Jena 1967. 1) Herrn OMR Dr. sc. med. Johannes Christoph CORDES zum 65. Geburtstag 2) Med. Dissertation von J. HILLIG

Keyword(s): Kurverlauf Biometrie Körpertemperatur Pulsfrequenz


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