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April 2024

Der Nutzen von Heilkuren - Zielstellungen der Kurorttherapie

Journal/Book: Fortschr. Med. 106. (1988) 22 S.457-459. 1988;

Abstract: Prof. Dr. med. habil. H. Jordan em. Prof. für Physiotherapie der Universität Jena ehem. Direktor des Forschungsinstituts für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster Zusammenfassung Gestützt auf den Begriff "Kurorttherapie" und dessen Komplexität wird versucht das Wesen einer Heilkur zu umschreiben. Die Ziele und Möglichkeiten dieser Heilbehandlungsform werden erläutert. Das Kurergebnis ist an eine sehr gewissenhafte Vorauswahl der Kurpatienten gebunden und wird in zweiter Linie durch eine ebenso gewissenhafte Durchführung der Behandlung selbst bestimmt. Eine vergleichende Beurteilung von Aufwand und Nutzen ist eine recht schwierige Aufgabe. Kuren sind notwendige Teilstücke der medizinischen Rehabilitationen im Rahmen des Gesamtheitsplanes die in ihrer Komplexität ein Mehr an therapeutischer Zuwendung und damit gesundheitlicher Effektivität erbringen. Unter Kurorttherapie verstehen wir die Komplexität aller während einer ärztlichen Behandlung in einem Kurort zur Anwendung kommenden Heilmethoden die zwar vorrangig die naturgegebenen ("ortsgebundenen" natürlichen ) Heilmittel aber ebenso auch zweckmäßige Therapieverfahren der Physiotherapie ("Physiotherapiemittel") und der Pharmakotherapie ("Arzneimittel") sowie Formen der Psychagogie und einer Gesundheitserziehung einbezieht. Ihre Organisationsform sind herkömmlich drei- bis sechswöchige Heilkuren präventiven kurativen und rehabilitativen Charakters deren zeitliche Begrenztheit ein besonderes Merkmal darstellt. Die Kurorttherapie - als Pendant zu den Begriffen häusliche ambulante und stationäre Therapie - kann als "komplexe Reizserientherapie am Kranken im veränderten Milieu" [5] beschrieben werden. Ziele Mehrschichtiger Ansatz Die Ziele der Kurorttherapie sind ihrer Definition entsprechend mehrschichtig und umfassen: ? spezielle therapeutische Leistungen im Rahmen der medizinischen Rehabilitation besonders im Früh- und Spätstadium chronisch verlaufender Erkrankungen ("spezifische Zielstellung"); ? Begünstigung der allgemeinen Hygiogenese durch fördernde Inanspruchnahme integrativer Funktionskreise des Organismus wie zum Beispiel der kardiozirkulatorischen thermischen motorischen immunmodulatorischen Regulation ("unspezifische Zielstellung"); ? chronobiologische Ordnung funktioneller Leistungen (Kurtagsgestaltung therapeutische Serie) ("ordnende Zielstellung"); ? Erlernen einer erforderlichen Subsistenztherapie d.h. die Vermittlung therapeutischer Hilfen die der Kranke zu Hause selbst ausüben kann [8] und Nutzung der Kurzeit zu gesundheitserzieherischer Arbeit ("hygiokinetische Zielstellung"). Indikationen und Kontraindikationen Das "Wen Wann Wohin" ist wichtig Der Erfolg einer Kurorttherapie wird weitgehend davon bestimmt wie gut es gelingt sie sachlich und zeitlich richtig in den Gesamtheilplan der vorliegenden Erkrankung einzupassen. Allgemeingehaltene "Heilanzeigen" genügen hierzu nicht. Viel wichtiger sind aussagefähige Darlegungen der Kontraindikationen die in generelle krankheitsbezogene temporäre (zeitbezogene) und kurortbezogene untergliedert werden um "den richtigen Kranken zum richtigen Zeitpunkt in den richtigen Kurort" zu bringen. Die Indikationsstellung zur Kur muß nicht nur eine Krankheit schlechthin sondern das Stadium die zum Zeitpunkt der Kur vorliegende Situation und eine medizinische Einschätzung des Stellenwerts der Kur im Gesamtheilplan mit Abklärung des eigentlichen Kurzieles berücksichtigen. Wichtig ist ferner die Übermittlung der für den behandelnden Arzt im Kurort erforderlichen Anschlußwerte wie Bekanntgabe bisheriger Therapie differentialdiagnostisch und -therapeutisch wichtiger Befunde Einschätzung der Kureignung und ähnliches. Verfahren der Kurortbehandlung Fünf praktische Ansätze Das Regime einer Kurortbehandlung beinhaltet herkömmlich ? eine sogenannte balneologische Grundbehandlung: Heilwässer Peloide bioklimatische Wirkfaktoren ? eine Kombinationsbehandlung: Physiotherapie Ergotherapie Musik- und Bibliotherapie aber auch falls nötig ? Pharmakotherapie welche zu Kurbeginn nicht abrupt abgesetzt werden sollte und wird soweit möglich durch ? Subsistenztherapie [8] und ? Gesundheitserziehung kurz einer "Ethotherapie" im Sinne Halhubers [2] ergänzt. Nicht zu vergessen ist die pädagogische Hilfe für Kurkinder die zur Minimierung des kurzeitbedingten Bildungs- und Erziehungsverlustes unabdingbar ist. Ganzheitliche Orientierung Die Kurorttherapie ist damit als eine zeitlich zwar befristete aber ganzheitlich orientierte Behandlung anzusprechen. Werden die folgenden fünf Aspekte praktisch ausgeschöpft wird mit der Heilkurtherapie in jedem Falle ein Mehr an therapeutischer Zuwendung und damit ein Mehr an Gesundheitsförderung eingebracht: - Adaptativ-bionomer Aspekt: Einsatz der Reizserientherapie mit Ausbildung funktioneller und trophisch-plastischer Adaptate; - bioklimatischer Aspekt: Durchführung der Kurorttherapie im und mit dem Klima Nutzung der thermohygrischen aktinischen und luftchemischen Exposition; Abhärtung; - chronobiologischer Aspekt: Anwendung der therapeutischen Serie Tagesgestaltung geregelte Nachtruhe; - sekundärpräventiver Aspekt: körperliche Konditionierung Training Erlernen zweckmäßiger diätetischer Verhaltensweisen von häuslich durchführbarer Physiotherapie Umgang mit Körperhilfen; - psychisch-hygagoger Aspekt: Nutzung der rekreativen Faktoren des Kurortes und seiner Landschaft einschließlich soziotherapeutischer Elemente aktive und passive Gesundheitserziehung. Eine solche Blickrichtung macht deutlich daß die "Kurorttherapie" als eine eigenständige Therapieform anzusehen ist. Wichtig: die Kurvorbereitung Der Erfolg oder Mißerfolg einer Heilkur hängt sehr davon ab wie sorgfältig und umfassend sie vom empfehlenden Arzt vorbereitet und dem Patienten erläutert wird. Wer Heilkuren als Verlegenheitslösungen ansieht oder dem Grundsatz huldigt: "Irgend etwas Gutes wird doch sicherlich dabei herauskommen" darf sich nicht wundern wenn der Kureffekt nicht optimal ausfällt. Das bedeutet zunächst daß der Arzt ein entsprechendes Maß an Wissen über das was den Kranken im Kurort erwartet besitzen muß (jahrzehntelange Erfahrung nötigt mich dies anzusprechen) um den Patienten auf das Wesen der Kurorttherapie einstellen zu können. Es ist sicherlich von Vorteil wenn dem Arzt dazu entsprechendes Material in die Hand gegeben werden kann (in der DDR sind dies beispielsweise das "Bäderbuch der DDR"). Die Zahl der Fehleinweisungen läßt sich auch beträchtlich reduzieren wenn die Kurvorschläge der Ärzte einer Vorprüfung (z.B. durch die ärztliche Leitung der Kureinrichtungen selbst) unterzogen werden können. Wertvolles medizinisches Potential Wir fassen den Gesamtkomplex der Kurorttherapie als ein effektives medizinisches Potential auf das auch aus gesundheitspolitischen Erwägungen heraus unbedingt in die Behandlung volksgesundheitlich und damit auch volkswirtschaftlich bedeutsamer Krankheiten und Leiden einbezogen werden muß. Je planmäßiger dies geschehen kann um so größer ist der erwartbare Nutzen. Dabei muß berücksichtigt werden daß dieses volumenbegrenzte Potential möglichst bedarfsgerecht aufgeteilt wird ohne das Ziel der medizinischen Effektivität zu unterlaufen. Daher stellt sich das Problem einer optimalen Relation zwischen individueller Kurdauer und Anzahl der möglichen Kuren pro Kureinrichtung. Heilkuren können daher nicht nur aufgrund medizinischer sondern müssen immer auch aufgrund sozialer Erwägungen geplant werden; die "Diagnose" muß zur "Perignose" erweitert werden. Vor allem sind dabei familiäre und berufliche Bedingungen zu berücksichtigen. Dazu ist eine möglichst enge sachliche und zeitliche (temporäre Kontraindikation!) Kooperation in Frage kommender Institutionen (Kliniken Betriebsgesundheitswesen Fachkrankenhäuser u.a.m.) notwendig. Das System der sogenannten "Direkteinweisung" das heißt der unmittelbaren Übernahme von Patienten aus solchen Institutionen in die Kureinrichtung (Anschlußheilverfahren) bietet Vorteile läßt sich aber nur selektiv durchführen. Belastung - Entlastung als Behandlungsprinzip Eine Heilkur sollte im Sinne einer sich möglichst über den ganzen Kurtag erstreckenden medizinischen Rehabilitationsbehandlung aufgefaßt und geplant werden. Dabei muß eine sinnvolle Abfolge von "entlastenden" und "belastenden" Phasen im Ablauf des Kurtages und der Behandlungsserie bedacht werden um sowohl Über- als aber auch Unterforderungserscheinungen zu vermeiden. Einer psychischen Konditionierung (Entmüdung Ausspannen Selbstbesinnung Konfliktbewältigung) muß ebensoviel Aufmerksamkeit geschenkt werden wie der physischen ("aktive Erholung" Rekonditionierung Training Abhärtung) - "die Kur als ständiger Gesundheitsdienst" ist hierzu ebensowenig eine vernünftige Grundeinstellung wie das Verbummeln der begrenzten Kurzeit. Hier gilt es sehr unterschiedliche Interessen und Gewohnheiten zu steuern und geschickt zu motivieren um ein gutes Kurergebnis zu erzielen. Hierin liegt vielleicht der kritischste Punkt für die Praxis der Kurorttherapie; ihn befriedigend zu überwinden setzt guten Willen und Einsicht von Arzt und Kranken voraus und erfordert Zeit für das Patientengespräch ! Gerade im Vergleich zu ambulanter und stationärer Therapie muß die Kurorttherapie auf ausreichenden ärztlichen Konsultationen bestehen (mitunter herrscht sicherlich ein Ungleichgewicht zwischen diagnostischem und psychagogem Zeitaufwand !). Der psychische Gewinn einer richtig genutzten Kurzeit ist ein wichtiger meist aber nicht meßbarer günstiger Anteil des Kurergebnisses. Der Kurpatient selbst mißt den "Kurerfolg" nicht allein an den eigentlichen indikationsbezogenen somatischen Fortschritten sondern auch am Grad seiner "Erholung". Kosten-Nutzen-Relation Heilkuren sind notwendig Die Hauptargumente für die Berechtigung ja Notwendigkeit der Kurortbehandlung sind zusammengefaßt folgende: ? Kuren sind ein gesundheitspolitisch und medizinisch unabdingbares Teilstück der medizinischen Rehabilitation unter definierten Bedingungen und besitzen damit eine gesicherte Position im Rahmen des Gesamtbehandlungsplanes vieler besonders sozialmedizinisch bzw. volkswirtschaftlich bedeutsamer Erkrankungen und Leiden. ? Sie stellen eine mittelfristige Behandlungsetappe mit kurativen präventiven rehabilitativen und rekreativen Zielstellungen dar. ? Sie können durch Nutzung überwiegend nicht-medikamentöser Therapiefaktoren einen - wenn auch zeitlich limitierten - "konzentrischen Angriff" auf den Organismus bedeuten der vor allem durch Funktionsübung Toleranzsteigerung gegenüber Belastungen Förderung des aktiven Leistungspotentials Entlastung und Erholungseffekte gekennzeichnet ist. ? Kuren bedeuten einen Zeitfonds der auch für gesundheitserzieherische subsistenztherapeutische pädagogische und bildungssubstitutive Arbeit (Kinderkuren !) nutzbar gemacht werden kann und soll. ? Kuren sind durch ihre ausgesprochen deutliche Beziehung zu jahreszeitlichen bioklimatischen Gegebenheiten gekennzeichnet und besitzen dadurch eine unterschiedliche Nutzbarkeit. Diesen Zweck können Kuren jedoch nur dann erfüllen wenn sie in ihrem Gesamtumfang und ihrer objektiv möglichen Wirkungsbreite geplant und durchgeführt werden. Berechenbarer Nutzen? Den strengen Maßstäben einer vergleichenden Therapieforschung entsprechend lassen sich Heilkuren kaum anderen Therapieverfahren beweiskräftig gegenüberstellen. Zwar lassen sich Behandlungszeitpunkt -dauer und -art annähernd vergleichbar arrangieren nicht aber alle anderen peristatischen Elemente des Kurablaufes der Effektoren des geophysikalischen bioklimatischen geopsychischen [3] und soziologischen Milieus; von der Schwierigkeit eines wirklich vergleichbaren Krankengutes einmal abgesehen. Selbst die Überprüfung unterschiedlicher Heilkurverfahren mit denselben Patienten zur jeweils gleichen Jahreszeit (Modell Callies und Mitarb. mit Moor- Schwefel- und Radonkuren bei Rheumatoid Arthritis) [1] muß die chronobiologische Progression der Krankheit unberücksichtigt lassen. Die Frage: Ist die Heilkur ein effektives aber ökonomisch billigeres Verfahren? hat sich bisher durch keine der verwendeten Prüfmethoden befriedigend lösen lassen. Die Zugrundelegung der Häufigkeitsdifferenzen von Arbeitsausfalltagen (sogenannten AU-Zeiten) vor und nach einem Kurheilverfahren ist zum Beispiel nur stichhaltig wenn die von Wagner aus unserem Institut herausgearbeiteten biometrischen Kriterien genau eingehalten worden sind. Eine besondere Beachtung muß dabei dem Vorgang geschenkt werden den wir den "epidemiologischen AU-Trend" genannt haben [9] d.h. die Berücksichtigung des Krankheits- und Arbeitsunfähigkeitsverlaufs nicht im Kurort behandelter Patienten. Ein weiteres oft kalkuliertes Moment ist die mögliche Einsparung von Arzneimittelkosten durch eine Kurorttherapie. Solche Einspareffekte sind nachweisbar (Antirheumatika Antiphlogistika Kortikoide Antiasthmatika Dermatika Glykoside Kreislauf- und Schlafmittel - cum grano salis !). Nicht aber vordergründig die Kosten- sondern die Nebenwirkungsfrage und die toxische Problematik der Arzneimittel selbst stellen hier das Problem dar. Je mehr die nichtmedikamentöse Therapie anwendbar ist um so mehr kann auf die medikamentöse Therapie verzichtet werden (ein komplementaristisches Prinzip der Physiotherapie) [s. dazu 7]. Man könnte sehr wohl formulieren daß die Kurorttherapie im Gegensatz zu erwartbaren schädlichen oder unerwünschten Effekten der Arzneimitteltherapie eine ganze Reihe "nützlicher" Nebenwirkungen aufweist (was nicht als Statement gegen die Arzneimitteltherapie mißdeutet werden soll !). Fazit Der Nutzen von Heilkuren ist offenkundig. Er wird nur dann verschleiert oder verspielt wenn die Kurorttherapie als eine Art angenehme Zugabe zum Einerlei der bisherigen Auseinandersetzung zwischen Krankheit und Krankem oder zwischen Arzt und Patient mißverstanden wird. Mögen auch die sachlichen Voraussetzungen in den einzelnen Ländern beziehungsweise Gesellschaftssystemen unterschiedlich gelagert sein: eine richtige ärztlich begründete Zielstellung und ein sauberes therapeutisches Handwerk sind gerade für die Kurorttherapie eine unerläßliche Voraussetzung. Die Einhaltung dieses Grundsatzes - so simpel er klingen mag - entscheidet über Nutzen oder Versagen über Ansehen und medizinischen Wert von Kuren. Literatur: 1. Callies R. Lindau P. Zielke A. Tirsch Chr. Peter A. Walther H. Vulpe B.: Programm und Dauer einer kurörtlichen Physiotherapie unterschiedlicher Zielstellung bei Patienten mit entzündlich rheumatischen Krankheiten. Z. Physiother. 36 387-394 (1984). 2. Halhuber M. J.: Aktuelle Probleme der Rehabilitation nach Herzinfarkt. Internist 12 233-236 (1971). 3. Hellpach W.: Die Menschenseele unterm Einfluß von Wetter und Klima Boden und Landschaft - Geopsyche. 5. Aufl.; W. Engelmann Leipzig 1939. 4. Jordan H.: Landschaftserlebnis: Wesen und Wertung. Z. angew. Bäder- u. Klimaheilkd. 17 364-370 (1970). 5. Jordan H.: Kurorttherapie - Prinzip und Probleme. Sitz.-Ber. d. Sächs. Akad.d. Wiss. z. Leipzig Math.-naturwiss. Kl. Bd. 112 H. 3. Akademie-Verlag Berlin 1976. 6. Jordan H.: Kurorttherapie. 2. Aufl.; VEB G. Fischer Jena 1980. 7. Jordan H.: Stellung und Bedeutung der Physiotherapie im therapeutischen System. Z. Physiother. 37 223-227 (1985). 8. Schenk E. G.: Sind Naturheilverfahren noch zeitgemäß? Phys. Med. u. Rehabilitat. 9 319 (1968). 9. Wagner H.: Arbeitsunfähigkeit und Kurerfolg. Eine kritische biometrische Betrachtung. Z. Physiother. 33 235-243 (1981).

Keyword(s): Heilkur Indikationen Kontraindikationen Kosten-Nutzen-Verhältnis


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