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April 2024

Die Stellung der Kurorttherapie im Mensch-Umwelt-Konzept

Journal/Book: Z. Physiother. 31 (1979) 359-367. 1979;

Abstract: Forschungsinstitut für Balneologie und Kurortwissenschaft Bad Elster (Direktor: OMR Prof. Dr. med. habil. H. Jordan) 1Nach einem Vortrag auf dem Symposium über Themen der Balneologie anläßlich des 175jährigen Bestehens des Volksbades Salzelmen am 22. Juni 1977. Kein Geringerer als das ständige Mitglied der berühmten "Freitagsgesellschaft" Goethes und dessen Leibarzt Christoph Wilhelm Hufeland hatte zusammen mit dem Experimentalphysiker und Meister des kritischen Aphorismus Georg Christoph Lichtenberg aus Göttingen gegen Ende des 18. Jahrhunderts energisch aufgerufen das Klima der Meeresküsten und das Meerwasser selbst in den Dienst der Gesundheit des Menschen zu stellen. Englischen Vorbildern folgend entstanden denn auch im deutschen Raum der Nord- und Ostseeküste die Seebäder Kiel (1776) und Doberan (1793) sowie Norderney und Heringsdorf. Damit war der Klimatherapie entscheidend zum Durchbruch verholfen und der erste große Schritt der Medizin in Richtung Umweltnutzung getan worden. Allerdings stand zunächst das Meereswasser selbst als medizinisches Objekt im Blickpunkt des Interesses und so waren es der Gründer Salzelmens Dr. Tolberg und der Hallenser Professor Reil die in der binnenländischen reichhaltig vorhandenen Sole das Äquivalent zum Meereswasser sahen und seine wichtigen Eigenschaften - die auffällige Verminderung des spezifischen Gewichtes und die reinigenden Effekte auf die Schleimhäute der oberen Luftwege - in breitem Maße in den Dienst der Gesundheit und der Wiedergesundung zu stellen versuchten. Dabei war Joh. Christian Reil der Lehrer Chr. W. Hufelands ein Mann der sich aus der idealistischen Naturphilosophie Schellingscher Prägung insofern bedeutend heraushob als er dem damals geläufigen Begriff der "vis medicatrix naturae" eine eindeutig materialistische Formulierung entgegensetzte. Reil sagt 1795 wörtlich: "Wir sind geneigt die Kraft als etwas von der Materie Verschiedenes zu denken und die Materie gleichsam als das Vehikel der Kraft anzusehen obgleich ihre Erscheinungen von ihr unzertrennlich und Resultate ihrer Eigenschaften sind" [19]. Mit der Tat Tolbergs und Reils war gewissermaßen das historische Modell für eine Fragestellung entstanden die in der Bäder- und Klimaheilkunde bis heute eine wesentliche Rolle spielt: das gleiche Heilwasser zu Hause getrunken hat es denselben Effekt wie das im Kurort getrunkene? Nun - erstens wissen wir daß Salzelmener Sole und Meereswasser natürlich nicht identisch sind; die Unterschiede betreffen indessen sicherlich nur die inhalative und enterale Verwendung der beiden Heilwässer. Zweitens wird die Sole unserem heutigen Kurregime entsprechend viel intensiver appliziert als die Einatmung des in der Brandungszone zerstäubten Meereswassers es ermöglicht. So mußte man sich nicht allzusehr wundern daß beispielsweise ein Vergleich der Therapieergebnisse bei Asthmakranken während der 1965 durchgeführten Hochseeklimakur mit einer Soleinhalationskur in Bad Salzungen wenig differierende Ergebnisse aufwies [1] - übrigens ein leider in der Kurorttherapie viel zu wenig praktiziertes Modellverfahren dessen man angesichts der Tolbergschen Tat die uns heute Anlaß zur 175-Jahrfeier gibt erinnernd gedenken sollte. Gerade am Beispiel eines Kurortes zu dessen Hauptindikationen Krankheiten des allergischen Formenkreises zählen wird uns immer wieder bewußt welche Bedeutung der Umwelt- und besonders der Klimasituation in unseren Kurorten beigemessen werden muß - sei es das Mikro- oder Lokalklima sei es die gesamtkurörtliche Charakteristik. In unserem Zeitalter der sich ständig intensivierenden Technik wächst adäquat das Problem Freiräume zu reservieren oder neu zu schaffen in denen das geschehen kann was man mit "medizinischer Umweltnutzung" bezeichnen kann. Ich habe an anderer Stelle in diesem Zusammenhang vom "hygiogenetischen bzw. hygiokinetischen Aspekt der Beziehung Mensch-Umwelt" gesprochen [13]. Man darf ohne zu übertreiben sagen daß die Kurorttherapie den einzigen und bisher umfassendsten Versuch darstellt die für den Menschen relevanten Umweltfaktoren in den Dienst der Gesundheit der Prophylaxe Präventive Therapie und Rehabilitation systematisch einzubeziehen. Umwelt: das ist in unserem medizinischen Bezug d.h. für die Kurorttherapie die den Kurort umgebende Landschaft das hier und in seiner unmittelbaren Umgebung herrschende Bioklima das architektonische landschaftsgestalterische und hygienische Niveau die "Stimmung" des Kurortes und das ist die in ihm gegebene soziologische Situation als "Ballungsraum" von Kranken und Heilungssuchenden. Der damit gegebene Komplex der "Leidensgenossenschaft" (manche Mitglieder einer solchen vermögen wahrhaft ihre Leiden miteinander zu genießen!) ist ein reizvolles Sonderkapitel der Krankenpsychologie das hier aber ausgespart bleiben soll. Ich erwähne nur einige Schlagworte: Der "Seelenputz" im Kurort der Du-Trieb mit seinem Anpassungs- oder Sexzwang der Drang nach Gaudi statt nach wirklicher Freude (oder umgekehrt) [7]. Hermann Hesse hat es die "psychologia balnearia" genannt. Wir müssen natürlich stets bestrebt sein die positive Seite des medizinischen Ballungsraumes zu sehen und - z.B. im Aufgabenbereich der Gesundheitsbildung und Gesundheitserziehung - voll zu nutzen. Jede Umwelt gibt ein Beispiel - ein schlechtes oder ein gutes -; die unmittelbare Umwelt des Kranken in einem Kurort hat hierbei wichtige ästhetische hygienische und ethotrope Aspekte. Betrachten wir die einzelnen Umweltfaktoren aus dieser Sicht uns etwas genauer; zunächst das Problem Landschaft und Umraum: Die Landschaft des Kurortes sollte grundsätzlich den Charakter der "Erholungslandschaft" [4] tragen und damit folgende Charakterzüge aufweisen [10]: - Genügend "Innenraum" - als Fern- und Nahraum - aus dem ästhetisch störende Elemente entfernt und fördernde als solche einfühlsam eingepaßt worden sind - Abschirmung gegen Störfaktoren aus der Umwelt (Lärm Luftverschmutzung) Vorhandensein von "Rückzugsinseln" für den einzelnen Kurgast - Einbeziehung naturgegebener Faktoren (Gewässer Gelände) sowie des Bioklimas (Sonne Schatten Wind) und seiner jahreszeitlichen Besonderheiten (Schnee Eis Wasser) zur Förderung der aktiven Therapie und Selbstbeschäftigung (Terrainkurwege Rodelbahnen Skipisten Liegewiesen Luft- und Sonnenbäder) und der Abhärtung Jede Landschaft ist zugleich auch Landschaftserlebnis [11] - die scheinbar wenig sinnvolle Wortbildung "Geopsyche" [5] gibt tatsächlich jenen dialektischen Prozeß zwischen Mensch und Landschaft zu erkennen den Simmel so beschrieben hat: "So ist die Einheit die die Landschaft als solche zustande bringt und die Stimmung die uns aus ihr entgegenschlägt . . . nur nachträgliche Zerlegung eines und desselben seelischen Aktes". Wahrhaftig wird jeder "Lebensraum" stets auch zu einem "Erlebensraum" [11]. Dazu gehört - so der Geograph H. Lehmann - neben dem "'Schaubild' des Auges auch das 'Hörbild' des Ohres das 'Duftbild' der Nase und das 'Temperatur- und Tastbild' der Haut" womit die Erlebnisreichhaltigkeit der Landschaft sinnfällig deutlich gemacht wird. Der landschaftliche Kurraum muß vor allem dem Erholungsmoment der Kurorttherapie Rechnung tragen und einen entsprechenden Freiraum ausweisen. Er ist es den vor allem der Stadtmensch in einem Kur- oder Erholungsort sucht und freudig genießt - verständlich wenn man die Relationen zwischen Fläche und Bevölkerungszahl in unseren Stadt- und Landgebieten betrachtet. Dem statistischen Jahrbuch 1972 der DDR entsprechend betragen die Gebiete außerhalb der Stadtkreise rund das 39fache der Stadtkreisgebiete beherbergen aber nur das 2 5fache der Stadtbevölkerung. Das heißt daß 71 6% der Republikbevölkerung in ländlichen Gebieten mit relativ großem "Freiraum" 28 4% in den Städten wohnen. Dem Einwohner einer Stadt stehen rund 574 (Quadratmeter) dem Landbewohner etwa 8643 (Quadratmeter) (= das 15fache) zur Verfügung. Jeder anwesenden Person in Bad Elster z.B. (=Einwohner und Kurpatient) stehen immerhin 2181 (Quadratmeter) (= das 3 8fache) zur Verfügung (s. Abb. 1). Dazu kommt der Zeitfaktor der dem Kurpatienten für den Freiaufenthalt eingeräumt werden kann. Dies wiegt um so mehr als die kurz- und mittelfristige Erholung in weitaus größtem Maße in der Stadt oder deren nächsten Umgebung gesucht werden muß [24] sie betrifft den Sektor "Freizeit" der als Ausgleichsvorgang für den Komplex der Ermüdung und Anspannung genügt nicht aber für weiter fortgeschrittenere Erholungsbedürftigkeit wie sie meist mit dem zur Kurverschickung des Patienten führenden Leiden verbunden ist. Die Zahl der Kurpatienten sollte diesen Verhältnissen in etwa Rechnung tragen. Abbildung 2 zeigt daß die höheren Ortsgrößenklassen auch den relativ größten Anteil an den Kurpatienten stellen. Beispielhaft sei dargestellt daß der Relativanteil der Hypertoniekranken ebenfalls mit den Ortsgrößenklassen progressiv ansteigt (s. Abb. 3) womit die Richtigkeit dieser Auswahl nur eben unterstrichen werden soll. Vielleicht ist die Hypertension ja eine besonders markante pathologische Erscheinung im Mensch-Umwelt-Konzept; auf Einzelbelege hierzu kann ich hier in diesem Rahmen nicht eingehen. Ohne Abb.1. Vergleich der Flächen je Bürger in den Stadtkreisen außerhalb der Stadtkreise und im Bereich von Bad Elster. Ohne Abb. 2. Vergleich der Kurpatienten von Bad Elster (des Jahres 1958) mit der Gesamtwohnbevölkerung der DDR aufgeteilt nach Ortsgrößenklassen (weiß: Wohnbevölkerung; schraffiert: Kurpatienten) Ohne Abb. 3. Anteil der Kurpatienten mit einem systolischen Blutdruck von 160 und 170 Torr (obere Kurve) und 180 Torr (bzw. 21.3 -22.7 u. 24.0 kPa) und darüber aufgegliedert nach den Ortsgrößenklassen der Heimatgemeinden Daß die bei solchen Kranken durchgeführte Kur auch effektvoll ist läßt sich an einem vollkommen auswahlfreien Material daran erkennen daß der Prozentsatz von ausgesprochenen Hypertonikern (= systolischer Druck > 180 Torr = 24 kPa) Kurpatienten in Bad Elster der Jahre 1957 und 1959) von Kurbeginn zu Kurende mit den höheren Ortsgrößenklassen ansteigt m. a.W. daß der relative "Kureffekt" am Blutdruckverhalten gemessen bei den Großstädtern am deutlichsten wird. Der gezielten Landschaftsgestaltung für die Nutzung als medizinischer Raum steht die bewußte Landschaftserhaltung und die Verteidigung dieser Interessen gegen andere Nutzungsansprüche zur Seite meist als das viel schwierigere Problem; denken wir nur an die Bereiche der Industrie oder der Land- und Forstwirtschaft. Jede Schutzgebietserklärung für einen Kurort enthält nicht nur die für den qualitativen und quantitativen Schutz der Heilwässer Peloide und Klimafaktoren sondern auch für ein optimales Kurmilieu erforderlichen Angaben; Grenzen Nutzungsbeschränkungen und Auflagen betreffend. Ohne Abb. 4. Terrainkurwegenetz um den Kurort Bad Elster Hier spielt vor allem die Kurparkzone eine wichtige Rolle ferner der Wald auf dessen "Komitativwirkungen" von unserer Seite immer wieder verteidigend gegenüber den - natürlich berechtigten - ökonomischen Nutzungsansprüchen hingewiesen worden ist [21]. Bad Elster hat einen Flächenanteil von 66 1% Wald und 25 4% Freiland und Parkgebiet bei nur 8 5% bebauter Fläche [13]. Da die durchschnittliche Tageseinteilung der Kurpatienten nur etwa 5 6 Stunden am Tag d.h. etwa 22 5% der Tageszeit für den Freiluftgenuß zuläßt die sich noch zwischen zwei Mahlzeittermine einpassen müssen ergibt sich ein sinnvoller für den Kurpatienten auch ausnutzbarer Freiraum von rund 2 5 km Radius - d.h. im Schnitt etwa eine Stunde Spaziergang - wie ihn das Terrainkurwegesystem Bad Elster beispielhaft ausweist (Abb. 4) das nahezu kreisförmig angelegt ist und Sektorenwanderungen gestattet. Seine Abstufung erfolgt sowohl nach dem Belastungsgrad als auch nach dem Verhältnis von Sonne und Schatten. Diese Einteilung gestattet es einen "Sommertyp" und einen "Wintertyp" der Terrainkur zu differenzieren [27]. Das ist wichtig wenn man bedenkt daß 83% der genannten Freizeit vom Patienten zu Wanderungen und Spaziergängen genutzt wird womit während einer Kur Laufstrecken zwischen 300 und 500 km absolviert werden [25]. Damit kommen wir zum Problem des Bioklimas. Gerade die Problematik der abstufbaren Nutzung der Sonnen- und Himmelsstrahlung ist jedem in einem Kur- oder Erholungsort tätigen Arzt bestens bekannt: ich erinnere als Beispiel nur an die Verhältnisse am offenen Strand die dadurch gekennzeichnet sind daß dort Himmels- und direkte Sonnenstrahlung in einem Verhältnis 1 : 1 stehen daß die Himmelsstrahlung unter den dargestellten Verhältnissen etwa 70% des UV-Gehaltes der direkten Sonnenstrahlung enthält die Albedo von Wasser Strand und weißen Gebäuden im Hintergrund unterschiedliche Prozente (bis zu 90% ) beträgt und daß dem freistehenden am Strand spielenden Menschen damit insgesamt etwa ein Mehr von 40% UV-Strahlung zukommt. Auch der unter einem Sonnenschirm im Sonnenschatten sitzende Mensch muß noch mit maximal 70% der Gesamtstrahlungsmenge rechnen - "Sonnenschatten ist nicht gleich Lichtschatten". Damit ist schon ein wesentlicher Teil der Einflußgrößen der Landschaft selbst auf ihr Mikro- oder Lokalklima dargestellt: die Variierbarkeit der aktinischen Situation. Eng damit verknüpft ist die Abwandelbarkeit des thermohygrischen Wirkkomplexes für die Konfrontation des Organismus mit Kühlreisen zur Abhärtung als einem wesentlichen Teilziel der Erholung und auch der Kur an sich. Ohne Abb. 5. Wärmebilanz (W) bei Aufenthalt auf einer Dünenkuppe (A) bzw. in einer Dünenkuhle (B) die für A einen "subarktischen" für B einen "subtropischen" Wert ausweist. v = Windgeschwindigkeit; T(L) T(H) T(f) = Luft- Haut- und Frigorigrafentemperatur Dazu noch ein Vergleich der Wärmeverhältnisse bei einem Aufenthalt auf der Dünenkuppe bzw. in der Dünenkuhle. Es läßt sich nachweisen daß mit dieser geringen Ortsänderung der Wechsel zwischen subarktischen und subtropischen Bedingungen möglich wird (s. Abb. 5). Andererseits kann die Landschaftsgestaltung unerwünschte Wetter- und Klimaeffekte z. B. die Kaltluftseebildung starke Windeinbrüche exogene Verschmutzung u. ä. beseitigen etwa durch Anlegen von Waldschutzstreifen Aufforstungszonen Abbau stauberzeugender Flächen Ausbau sonnenbegünstigter aber windgeschützter Plätze für Freilicht- und -luftbehandlung oder Anlage künstlicher Wasserflächen. Bei der Besprechung der Terrainkurwege ist bereits auch auf die Berücksichtigung der saisonalen Unterschiede hingewiesen worden. Der phasenhafte Ablauf der Jahreszeiten ist ein weiterer wichtiger Faktor im Mensch-Umwelt-Konzept aus medizinischer Sicht. Obschon nur wenige bestimmte Erkrankungen zu den "saisonbedingten" Krankheiten im Sinne de Rudders [20] zählen lassen sich jahreszeitabhängige Verläufe der Morbidität und der therapeutischen Beeinflußbarkeit bei vielen Krankheiten nachweisen besonders bei entzündlichen oder allergischen Prozessen. Gut untersucht sind diese Verhältnisse beim endogenen Ekzem dessen langfristige Aufzeichnung der Kureffekt- und Kurerfolgsergebnisse auffällige Beziehungen zum Morbiditätsverlauf dieser Erkrankung erkennen läßt [22]. Sichergestellt ist - gewissermaßen als "background"-Schwingung - eine 35-Tage-Rhythmik d. h. eine "zehnfache Oberwelle" des Jahres wie sie Klinker u. Mitarb. herausgearbeitet haben [14 15 16] wobei offenbar überhaupt Multiple einer 7- bzw. 3 5-Tage-Rhythmik bevorzugt sind. Die 3- bis 4-Tage-Rhythmik die als mittlere Wetterrhythmik angesehen werden kann und der "Wochenrhythmus" könnten wesentliche exogene Zeitgeberfunktionen hierfür übernehmen die die Circadianrhythmik überlagern. Im Jahresablauf kann die einfache Licht-Dunkel-Relation (d. h. die Tag- und Nachtlänge) nicht der alleinige prägende Faktor sein so richtig dieses Grundmodell [15] auch ist da theoretisch dann eine Gleichheit von Frühjahrs- und Herbstreaktion erwartet werden müßte. Dagegen ist aber - auch bei den vorhin gezeigten Kurreaktionen des endogenen Ekzems - der sog. "Vernalisationseffekt" [3] wirksam d. h. eine merkwürdige stimulative Präponderanz des Frühjahres bei sehr vielen derartigen Untersuchungen sichergestellt demzufolge das Frühjahr die reaktionskritisch markanteste Saison darstellt. Daß im Gegensatz dazu auch ein Herbstgipfel deutlicher in Erscheinung treten kann als der Frühjahrsgipfel zeigen unsere auswahlfreien Untersuchungen der Blutkörperchensenkungsreaktion nach Westergreen (1. Stundenwert) von 47275 Kurpatienten die im Zeitraum 1954-1957 ohne Berücksichtigung anderer Kriterien ausschließlich jahreszeitlich geordnet wurden auf die ich bereits 1964 hingewiesen habe [9]. Diese Beispiele mögen zeigen wie die Umweltfaktoren während einer Kurorttherapie im positiven Sinne nutzbar gemacht werden können wobei der Einfluß der geschilderten äußeren rhythmischen Zeitgeber - Tagesablauf Tag-Nacht-Rhythmik Saisonrhythmik - besonders hoch veranschlagt werden muß angesichts der Tatsache daß eben viele funktionelle Erkrankungen bzw. psychoneurotische Zustände auf eine Dysrhythmie als eine der typischen pathokinetischen Momente unserer Gegenwart ursächlich zurückgeführt werden müssen. Sicherlich sind es aber nicht nur positive Faktoren die im Mensch-Umwelt-Konzept berücksichtigt werden müssen. Hier ist in erster Linie zu bedenken daß Kurorte - auch Erholungsorte - als landschaftlich reizvolle und auch in gewisser Weise gesellschaftlich attraktive Anziehungspunkte gelten und deshalb zu sowohl stoßweise als auch langfristig überbeanspruchten Territorien werden oder werden können. Ist der Kurort - um bei diesem zu bleiben - schon von sich aus naturgemäß ein Ballungsraum hinsichtlich der Zahl der in ihm ständig lebenden Menschen so wird er das in vielen Fällen durch den Tourismus noch in weit höherem Maße. Bad Elster z.B. zählt im Schnitt ebensoviel Kurpatienten wie Einwohner - mit der Ausnahme etwa eines Monats durchweg über das ganze Jahr! Das Kur- und Erholungsgebiet "Oberes Vogtland" zählte 1975 rund 1 1 Mill. Übernachtungen - das sind Größenordnungen wie sie wohl auch für andere ähnlich gelagerte Territorien zutreffen mögen [26]. Unsere Kurorte an der Ostseeküste kennen diese Problematik ebenso wie die unserer polnischen Nachbarn z.B. Dazu tritt in diesem speziellen Erholungsraum das Problem der zunehmenden Verschmutzung der Badegewässer der eigentlichen Attraktion für den Erholungssuchenden das weltweit besteht [8] und das besonders deshalb bedeutsam ist weil die Selbstreinigung des Meereswassers erheblich langsamer vonstatten geht als die des Süßwassers [2]. Davon werden nun eben auch die dortigen Kurorte unweigerlich betroffen. Die DDR - als ein Land mit relativ hoher Bevölkerungsdichte und vergleichsweise beschränktem Potential an natürlichen Heilfaktoren - muß deshalb besonderen Wert auf den Schutz dieser Heilfaktoren und des kurörtlichen Umweltmilieus legen wie dies denn auch in der einschlägigen Gesetzgebung (Kurortverordnung Landeskulturgesetz) konkret angesprochen wird. Derartige Schutzmaßnahmen reichen nicht nur flächenmäßig sondern auch sachlich weit über das unmittelbare Kurgebiet und seine Interessen hinaus: Wasserwirtschaft Bergbau Land- und Forstwirtschaft Industrie und Verkehrswesen sind diejenigen Volkswirtschaftszweige die bei Nichtbeachtung der für die Kur- und Erholungsräume lebenswichtigen Bedingungen u.U. irreparable Schäden setzen können. Das betrifft beispielsweise die Schadstoff- und/oder Allergenbelastung der Luft die Beeinträchtigung des Grundwasser als Basis der Mineralwasserversorgung oder der Badetorfgewinnung die Zerstörung der Mineralwasserleiter infolge tiefgreifender oder mittels Sprengungen betriebener Erdarbeiten Rauchschäden an der für einen Kurort wichtigen Vegetation z.B. des Waldes u.ä.[12]. Umwelt nützen verlangt Umwelt schützen! So gehört es meines Erachtens in die Grundüberlegungen eines sozialistischen Gesundheitswesens die medizinischen Aspekte des Mensch-Umwelt-Konzeptes zu erkennen zu achten und zu fördern als einen effektiven ökonomischen und rationellen Faktor der Hygiogenese bzw. der Gesundheitspolitik. Wenn wir heute einen historischen Gedenktag zum Anlaß nehmen über diese Probleme zu sprechen dann sicherlich nicht ganz ohne Absicht: zu den positiven Traditionen die es zu erhalten gilt zählt eben auch die unsere Kurorte als "Oasen der Wiedergesundung" im vollen Umfange dieses Wortes [18] zu erhalten. Was wir aus der Geschichte dankbar übernehmen muß uns Verpflichtung sein es auch der Nachwelt unversehrt weitergeben zu können - lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das mahnende Wort von Thomas Mann in den Raum stellen: "Es gibt keinen Besitz der Nachlässigkeit vertrüge". Zusammenfassung Die Kurorttherapie stellt den umfassendsten Versuch dar die für den Menschen relevanten Umweltfaktoren in den Dienst der gesundheitlichen Betreuung einzubeziehen. Die hierbei wichtigsten Einflußgrößen: Landschaft Bioklima Kurortmilieu soziale Umwelt im Kurort werden beispielhaft erörtert. Ihr Schutz und die ständige Verbesserung ihrer Qualität ist eine vorrangige Aufgabe der Kurorttherapie. Literatur 1. Blaha H. H. Dümmler E. Härtwig und I. Winkler: Vergleich mit Solekuren in Bad Salzungen. In: Die Hochseeklimakur. Hrsg. v. K. Linser und H. Kleinsorge. J. A. Barth Leipzig 1969 S. 193-197 (Allergie- und Asthmaforschung Bd. 6). 2. Brodniewicz A. und K. Korzeniewski: Z. angew. Bäder- u. Klimaheilkd. Stuttgart 18 (1971) 253-262. 3. Brünning E.: Gesetzmäßigkeiten der Chronobiologie. Verh. dt Gesellsch. inn. Med. 73 (1967) 887-895. 4. Carl F. E.: Betrachtungen zur Erholungsplanung in der Deutschen Demokratischen Republik Dt. Gartenarchitektur 1 (1960) 100. 5. 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